zum Hauptinhalt
Kreisch! Das Areal gehörte einst Künstlern. Heute ist es Teil der Investorengruppe Augustus Capital (Zalando), die die Nutzungsfläche verdoppeln will.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Ateliers in den Uferhallen in Gefahr: Künstler wehren sich gegen Startup-Investoren

Eine Investorengruppe hat im Wedding ein Areal mit Ateliers aufgekauft. Die Künstler dort fürchten um ihre Zukunft - und reagieren.

Wer die Uferhallen besucht, sieht zunächst Banknoten überdimensional im Wind flattern. Lena von Goedeke hat sie auf Fahnen drucken und am Eingang des Geländes an drei Masten hochziehen lassen. Die Künstlerin hatte zuvor Mitglieder der eigenen Familie befragt, die als Investoren tätig sind, woran sie als Erstes denken, wenn sie eine Immobilie erwerben, um sie dann weiterzuentwickeln. Die Antwort fiel eindeutig aus: vor allem an die Rendite. Dem wollte die Bildhauerin in Klarheit nicht nachstehen und macht dem Besucher der Uferhallen mit ihrem Werk gleich am Eingang klar, worum es hier geht – ums Geld.

Die Linien scheinen in der Uferstraße 8 gezogen: auf der einen Seite die rund 70 Künstler, die Angst um ihre hier beheimateten Ateliers haben, auf der anderen die Käufer des insgesamt 19 000 Quadratmeter großen Geländes, eine Investorengruppe. Seit dem Kauf geht die Angst um. Findet im Wedding die nächste große Gentrifizierung statt? Droht einem Kulturstandort erster Güte mit mehr Ateliers als überall sonst in der Stadt, der außerdem Konzerträume, Tanzprojekte, Theaterinszenierungen, Tonstudios und Probenräume beherbergt, der Ausverkauf? Oder könnte es zu einer gütlichen Einigung kommen?

Aktuell sitzen Ephraim Gothe, der Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung in Mitte, seine Denkmalpfleger, die neuen Besitzer und deren Architekten, das Büro Ortner + Ortner, am Tisch, um eine Lösung zu finden. Mit einem Trick verschafften sich die Künstler ebenfalls Zugang zu den Verhandlungen, indem sie bei der Bilanzpressekonferenz des Kultursenators im April einfach dazwischenfragten, warum sie als Nutzer nicht beteiligt werden, die Gespräche seit einem Dreivierteljahr ohne sie laufen.

Seitdem dürfen sie dabeisitzen, wenn auch ohne Stimmrecht. Entschieden ist noch nichts. Bis Ende 2020 gilt ein Moratorium. „Während Verhandlungen wird nicht geschossen“, beschreibt Hansjörg Schneider vom Vorstand der Uferhallen e. V., der die Künstler vertritt, die Situation.

Ausstellung gegen Gentrifizierung

Mit der Ausstellung „Eigenbedarf“, zu der auch Lena von Goedekes Fahnen gehören, geben die Künstler nun allerdings ein starkes Statement ab. Rund 65 Künstler nehmen daran teil, darunter Monica Bonvicini, Maria Eichhorn, Katharina Grosse, Philipp Lachenmann, Heiner Franzen, Asta Gröting, Sven Drühl und Rosa Barba. Fast alle haben ihre Ateliers auf dem Gelände, die rund 8000 Quadratmeter Fläche ausmachen. Mit ihrer Gruppenschau in einer der Hallen, mehreren Ateliers, rundum auf dem Gelände wollen sie auf ihre prekäre Situation, die sich ändernden Wohn- und Arbeitsbedingungen insgesamt in Berlin aufmerksam machen.

Vielfach sind es Hommagen an den Ort oder ironische Anspielungen auf die ungewisse Lage. Kerstin Gottschalk hat die Handläufe eines Seitengebäudes über drei Etagen liebevoll mit Salzteig verkleidet, Peter Böhnisch sein Atelier nach draußen in einen Bretterverschlag verlegt, Antje Blumenstein arrangierte vor ihrem Studio einen Balkon, der vollkommen funktionslos ist, Peter Klare macht mit einem Architekturmodell einen ganz eigenen Vorschlag zur künftigen Bebauung des Geländes in Gestalt eines gigantischen Rings auf Stelzen

[Uferstr. 8, 24. – 31. 8., Eröffnung 16 bis 20 Uhr, Podiumsdiskussion, 29. 8., 19 Uhr.]

Die Ausstellung soll Öffentlichkeit herstellen für einen gefährdeten Ort, an dem es um mehr als „Eigenbedarf“ geht, wie der augenzwinkernde Titel suggeriert. Die Uferhallen sind eine Probe aufs Exempel. Wenn es hier dem Kultursenator, der rot-rot-grünen Regierung, dem Bezirk mit seinem SPD-Baustadtrat nicht gelingt, eine für alle einigermaßen akzeptable Lösung zu finden, dann ist viel von ihrer Glaubwürdigkeit verspielt. Berlins Ruf als Kunststadt hat bereits darunter gelitten, dass durch den Bauboom immer mehr Ateliers verloren gegangen sind, die Künstler an die Peripherie verdrängt werden.

Was kommt? Was bleibt?

In der Uferstraße 8 werden die Konflikte wie unter einem Brennglas sichtbar. Den Senat treibt nicht zuletzt das schlechte Gewissen. 2006 hatte er das Gelände verkauft, auf dem bis dahin die BVG ihre Straßenbahnen und Busse reparierte. Zunächst lief es gut, die Uferhallen GmbH als neuer Besitzer vermietete an Künstler und kreatives Gewerbe, die sich zwar selber einrichten mussten, dafür nur 3,50 Euro Miete plus gehörig Nebenkosten zu zahlen hatten.

Der Versuch, über Aktienbeteiligung eine Publikumsgemeinschaft zu bilden, um den Standort für die Kunst zu sichern, lief allerdings schief. Am Ende zerstritten sich die Hauptanteilseigner und verkauften die Immobilie für 27 Millionen Euro. Seitdem geht die Unsicherheit um. Was kommt? Was bleibt?

Terrain unter Denkmalschutz

Bei den Sondierungsgesprächen dreht es sich nicht nur um die künftigen Mieten und das Wohnrecht für die jetzigen Nutzer, sondern bereits um konkrete Pläne. Die bisherige Nutzfläche soll verdoppelt werden: 4000 Quadratmeter für Wohnungen, 4000 Quadratmeter für Kleinbetriebe. Dafür müssen Ortner + Ortner auf Lücke bauen, denn das Terrain steht unter Denkmalschutz.

Die ersten Gebäude stammen noch von 1891, als hier ein dreistöckiger Pferdestall entstand. Wenig später folgte die Straßenbahnhalle mit ihren Sheddächern. In den 20er Jahren ergänzte Jean Krämer, der Hausarchitekt der Straßenbahn Aktien-Gesellschaft, die Werkstätten um weitere Backsteinbauten im Stil der Neuen Sachlichkeit.

All dies hat die Denkmalpflege für sakrosankt erklärt, auch die Freiflächen sollen unberührt bleiben. Für die Architekten stehen deshalb nur die in der Nachkriegszeit veränderten oder hinzugekommenen Bauteile zur Disposition, etwa die halbe Straßenbahnhalle, die nach einem Bombenschaden ergänzt werden musste.

Dort sollen stattdessen zwei Häuser rund 35 Meter in die Höhe schießen, was zehn Geschossen entsprechen dürfte. Um sich davon eine räumliche Vorstellung zu machen, wird Karen Winzer am 29. August (18 Uhr) als Kunstaktion eine Drohne die ungefähren Maße der geplanten Neubauten abfliegen lassen.

Es muss sich etwas ändern

Die Entwürfe selbst sind für die Öffentlichkeit noch nicht freigegeben, um die interne Kommunikation, die Gespräche zwischen Senat und Auftraggebern, nicht zu stören, wie Markus Penell, Gesellschafter von Ortner + Ortner, erklärt. Den Aufschrei mag er sich nach dem Drohnenflug trotzdem ausmalen können, denn das Gelände wird durch die Hochhäuser seinen Charakter, den ruppigen Charme, vollkommen verändern. Der industrial chic wird dann nur noch Kulisse sein für die Start-up-Unternehmen als künftige Mieter, die womöglich irgendwann auch die Ateliers verdrängen, um die gerade gerungen wird.

Dass sich etwas ändern muss, steht fest, die Sanierung der Gebäude ist längst überfällig, stellenweise regnet es herein. Mit Wehmut blicken da die Künstler auf die andere Straßenseite, wo die Verkehrsbetriebe direkt an der Panke in den späten 1920er Jahren ebenfalls Werkstätten bauen ließen.

Dort hat die Tanzfabrik in den „Uferstudios“ seit 2010 ihren zweiten Standort. Mithilfe des Bundes konnte sie das Gelände erwerben und durch Lottogelder sanieren. „Was“, „Für“, „Wen“ steht auf drei weiteren Fahnen am Eingang der Uferhallen. Bei den Tänzern ist dies längst geklärt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false