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Kultur: Asien-Pazifik-Wochen: Ein getanztes Yin und Yang

Niemand käme auf die Idee, sich den Videoclip einer Band anzusehen, die gleichzeitig vor dem Fernseher spielt. Bei dem einen ist die Musik ein Element von vielen, es geht um die Bilder und Assoziationen, die sie vermittelt.

Niemand käme auf die Idee, sich den Videoclip einer Band anzusehen, die gleichzeitig vor dem Fernseher spielt. Bei dem einen ist die Musik ein Element von vielen, es geht um die Bilder und Assoziationen, die sie vermittelt. Ist aber jemand live auf der Bühne, dann interessiert das Zusammenspiel der Musiker, ihre Fähigkeit, ein Klangwerk zu schaffen. Der selbe Widerspruch existiert, wenn die Tänzer des Opernhauses Shanghai - wahre Meister ihres Faches - die h-Moll Messe von Bach tanzen. Denkt man.

Denn zunächst konkurrieren barocke Musik und Ballett um die Aufmerksamkeit des Zuschauers, es dominiert die absurde Dissonanz. Ruft der Chor im "Kyrie" Christus um Erbarmen an, zirkelt eine einzelne Tänzerin über die Bühne, springt, kreiselt, um dann im Sohn Gottes eine Stütze zu finden. Atemberaubend schnell und abgehackt bewegt sich die Frau - nur sieht es aus wie eine aufgescheuchte Nachtigall, die mit einem von Bettlaken umhüllten Schlossgespenst turtelt. Singt der Sopran das Lob Gottes, ecken und kanten vier in grauen Filz gehüllte, gesichtslose Gestalten dazu im Kreis und lassen das Pathos der Sängerin seltsam steif und lächerlich wirken.

Aber bald zieht der Tanz den Zuschauer immer mehr in seinen Bann, Orchester und Chor finden sich mit der Rolle des opulenten Tongebers ab. Die Bewegungen werden geschmeidiger, die Choreografie fließt, und auf einmal finden die vor mehr als 250 Jahren komponierte Messe und das moderne Ballett in einem zeitlosen Einklang zusammen. Auf der Grundlage des christlichen Gottesdienstes erwächst ein Appell für die Ebenbürtigkeit aller Religionen, den Choreograf Hu Jia Lu nähert sich der christlichen Messe aus buddhistischer Perspektive.

Das Credo tanzen nun zwei Frauen miteinander. Die eine in Pink gekleidet, die andere in schillerndem Türkis, ahmen sie die Bewegung der jeweils anderen nach und gehen wechselseitig aufeinander ein. Das sieht aus wie ein sich ständig neu formendes Perpetuum-Mobile. Manche Figuren wieder greifen ineinander, ergänzen sich - ein getanztes Yin und Yang.

Hu Jia Lu geht mit dem fremden Glaubensbekenntnis sehr respektvoll um. Zu Anfang lässt er den Sohn Gottes sich wie einen hyperaktiven Fitnesstrainer auf dem Boden wälzen. Doch die religiösen Handlungen als solche nimmt der Choreograf ernst. Am Ende des Credo-Teils bewegt sich eine Frau, die das Christentum symbolisiert, gemeinsam mit einem Tänzer, der in ein buddhistisches Gewandt gehüllt ist, zwischen den Menschen und segnet sie. Diese Menschen unterscheiden sich nicht voneinander, weil alle mit einem weißen Schurz bekleidet sind. Der Gottesdienst endet in einem orangenen Feuerwerk aus Stoffärmeln, Federn und Schirmen, so wie man sich das von der chinesischen Oper vorstellt.

Der Abend hatte mit einem erschreckenden Satz begonnen. Vor der Aufführung tritt Horst Göbel auf die Bühne, Vorstand der Gotthard-Schierse-Stiftung, die das Ereignis im Rahmen der Asien-Pazifik-Wochen organisiert. Er bittet um eine Schweigeminute für die Opfer in Amerika. Und erregt sich über eine "tumbe deutsche Hausfrau", die im Fernsehen gesagt hatte, das sei "alles so interessant". "Da wäre man doch froh", sagt Göbel, "wenn solche Menschen vom Erdboden verschwinden."

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