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Mit den Füßen Furchen ziehen. Ein Junge am Strand von Maputo.

© imago/Danita Delimont

„Asche und Sand“ von Mia Couto: Unter der Herrschaft der weißen Männer

Mia Couto beschließt mit „Asche und Sand“ seine große Romantrilogie über die Wunden des portugiesischen Kolonialismus in Mosambik.

Am 15. Juni 1985 erwartete Samora Machel, einer der Führer der mosambikanischen Unabhängigkeitsbewegung und bis zu einem nie aufgeklärten Flugzeugabsturz erster Präsident der Volksrepublik Mosambik, einen ungewöhnlichen Gast. An diesem Tag wurden die sterblichen Überreste des Königs von Gaza, Herrscher des letzten großen Bantu-Reiches, in das Land am Indischen Ozean überführt.

Ngungunyane, „der Schreckliche“, so der selbst zugelegte Name, hielt sein viele Völker umfassendes Herrschaftsgebiet mittels Unterwerfung, Raub und Vergewaltigung zusammen, bis er nach Einmarsch der Portugiesen unter dem Befehl von Mouzinho de Albaquerque 1895 gefangengenommen und mit seinem Sohn Godide auf die Azoren verbannt wurde. Ein weiterer Sohn, Zixaxa, konvertierte im Exil zum Katholizismus.

Vor diesem historischen Hintergrund spannt der 1955 im mosambikanischen Beira geborene Mia Couto eine großangelegte Romantrilogie, für dessen ersten Band der ehemalige Aktivist der mosambikanischen Befreiungsbewegung Frelimo kürzlich mit dem hochdotierten Schweizer Jan-Michalski-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Der zweite und dritte Teil erscheinen nun in einem Band.

[Mia Couto: Asche und Sand. Aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner. Der Imani-Zyklus, Bd 2 und 3 . Unionsverlag, Zürich 2021, 554 S., 26 €]

Nach „Imani“ verfolgt Couto in „Asche und Sand“ die Geschichte der 15-Jährigen Imani weiter, die in einer Missionsschule perfekt die Sprache der Kolonialherren erlernt hat. Zwischen die Kulturen geraten scheint sie prädestiniert als Vermittlerin. Statt barfuß geht sie in Schuhen, doch dieses Symbol hat seinen Preis: „Deine Schritte werden nie mehr die eigenen sein. Du wirst dich von den anderen schwarzen Frauen unterscheiden. Und immer wenn du die Schnürsenkel zusammenziehst, wird es deine Seele sein, die du einschnürst“, wird ihr im Traum prophezeit.

Eine Liebe gegen alle Widerstände

Der erste Band endet mit dem Überfall der VaNgunis auf Imanis Dorf Nkokolani, dem Tod der Mutter und dem Schuss des Mädchens auf Serganto Germano de Melo, bei dem sie Hausangestellte war. Der republikanisch gesinnte Mann, der die portugiesische Monarchie hasst und wider Willen in ihrer Uniform steckt, verliert dabei mehrere Finger. Dennoch keimen zwischen beiden zarte Gefühle.

Der zweite Teil setzt ein mit der Flucht der Protagonisten: Neben Imani und dem schwerverletzten Serganto sind das der lebensuntüchtige Vater Katini Nsambe und und die Bordellbetreiberin Bianca, eine Italienerin, die aus der schönen Imani eine Prostituierte machen will. Sie treiben auf einem Boot auf dem Inharrime, Ziel ist die Krankenstation eines Schweizer Missionars. Doch zunächst landen sie bei jenem Pater, bei dem Imani erzogen worden ist. Dort wird ihr einzig verbliebener Bruder, der sich bei den Portugiesen verdingt hat, von einem Offizier erschossen.

De Melo und Imani wollen gegen alle Widerstände heiraten. „Sie haben keine Vorstellung, wie es ist, mit einer Schwarzen verheiratet zu sein“, wird de Melo in einem Brief gewarnt. Und: „Wenn Sie eine Schwarze heiraten, heiraten Sie eine ganze Rasse.“ Der Pater wiederum gibt Imani zu bedenken: „Willst du das sein, eine Schwarze in der Welt der Weißen?“

Indessen ist die politische und militärische Lage völlig unübersichtlich. Der Versuch Zixaxas, die Portugiesen zu vertreiben, misslingt, diese sind auf dem Vormarsch, ohne jedoch die Kontrolle über das Hinterland zu gewinnen. Abtrünnige Missionare werden des Landes verwiesen, während General Mouzinho de Albaquerque, der den VaNguni-König im Verlauf der Handlung gefangen nehmen wird als Trophäe für sein Land, unabhängig von den Weisungen der portugiesischen Krone sein eigenes Spiel betreibt.

Misstrauen, Spionage und Verrat

Wie im ersten Band erzählt Couto die komplizierten und nur allmählich nachvollziehbaren Handlungsstränge aus unterschiedlichen Erzählperspektiven. Imani berichtet in quasi mündlichem Duktus die Erlebnisse auf dem Boot, in den Missionsstationen und später im portugiesischen Exil. Der politische Background wird eingefangen in Briefform.

Zunächst korrespondieren de Melo und sein historisch verbürgter Vorgesetzter, Tenente Ayres de Ornelas; später gehen immer mehr Briefe zwischen unterschiedlichen Akteuren hin und her, um das komplizierte Geschehen abzubilden. Belegbare Quellen und überlieferter Mythos, Gedichte und Selbstaussagen, die jedes der kurzen Kapitel einleiten, kommen hinzu.

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Die Orientierung in diesem ständigen Wechsel von Chronik und Erfindung ist schwer, weil immer neue Ariadnefäden gelegt werden. Misstrauen, Spionage und Verrat sind in der Kultur der europäischen Kolonial- und Missionierungskonkurrenz, der machtpolitischen Absicherung in Afrika und der unzähligen Stammesfehden allgegenwärtig. Auch die mittlerweile schwangere Imani wird in die lusitanische Propaganda eingespannt: „Jeden Abend wechsle ich die Rolle, die Dolmetscherin wird zur Denunziantin – entweder verrate ich meine Brüder und Schwestern oder man schickt mich nach der Entbindung zurück nach Mosambik. Ohne mein Kind, ohne Germano, ohne meine Träume.“

Dass die Männer in diesem Roman allesamt eine traurige Figur machen, folgt den historischen Vorlagen, die im Anhang des Buches auch fotografisch zu besichtigen sind. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wird diese „Männerdämmerung“ in ganz Europa offenbar werden.

Der Roman punktet mit fantastischen Bildern und mythischen Erzählungen

Noch aktueller jedoch ist die „nicht zu heilende Wunde“, die der Kolonialismus in Afrika geschlagen hat. Die „verstümmelte Erinnerung“ daran wird in dieser Trilogie literarisch ans Licht gebracht, mit all dem Rassismus und dem ihn begleitenden, noch heute schwärenden Kulturrelativismus. „Ich will keine Schwarze, die so gut Portugiesisch spricht wie ich und mir arrogant in die Augen sieht“, heißt es in einem Brief eines portugiesischen Offiziers. „Mich interessieren die anderen, die richtigen Negerinnen, die echter sind und wilder.“

Es ist bezeichnend für dieses zwischen Historiografie und Fantasie changierende Werk, dass die realen Figuren konturierter und farbiger auftreten als die erfundenen. Imani etwa dirigiert eher den Chor der einheimischen Frauen, als dass sie als leibhaftige Figur auftritt: „Ich trage an meinen Füßen Wörter und spinne daraus ein Netz, das die unterschiedlichen Rassen verbindet“, so das poetologische Programm.

Was der Schriftsteller Mia Couto an Figurenzeichnung schuldig bleibt, gleicht er mit fantastischen Bildern und mythischen Erzählungen aus. Sie verleihen dem Politischen des Romans eine geradezu bezaubernde Aura. „Seit langem ist mein Körper ein Pflug, der mit den Füßen Furchen zieht“, erklärt die uralt gewordene Imani einem Besucher. Ihr Bericht endet schließlich mit denselben Worten, mit denen die Trilogie begann: „Jeden Morgen gehen über der Ebene von Inharrime sieben Sonnen auf ...“

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