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Die Kulturwissenschaftlerin Asal Dardan, 1978 in Teheran geboren

© Sarah Berger

Asal Dardans "Betrachtungen einer Barbarin": In der Fremde

Was es bedeutet in einem Land aufzuwachsen, in dem man nicht geboren ist: Asal Dardans autobiografischer Essay "Betrachtungen einer Barbarin".

Es beginnt, wie so oft in Autobiografien, mit der Kindheit. Asal Dardan erzählt von ihren ersten Jahren in Köln, nachdem sie mit ihren Eltern als Einjährige auf der Flucht vor den Revolutionsgarden des Ayatollah Khomeini aus dem Iran nach Deutschland gekommen war.

Eine Hochhauswohnung im Kölner Stadtteil Höhenberg, ausgerechnet Carl-Spitzweg-Drucke an den Wänden, die Sehnsucht danach, so zu leben wie die Mitschülerinnen, die iranischen Popsongs, die ihre Eltern hören, Goldfische in einem Glasbehälter, die unabdingbar sind für das iranischen Neujahrsfest: „Die alte Zeit existierte neben der Zeit weiter, die wir als Familie bewohnten.“

Asal Dardan hält sich in ihrem Buch „Betrachtungen einer Barbarin“, zumindest hinsichtlich ihrer eigenen Person, den Stationen ihres Lebens, an eine größtenteils lineare Chronologie; doch früh mischen sich ihre Erinnerungen mit Reflexionen darüber, was es bedeutet in einem anderen, fremden Land aufzuwachsen.

Das Anderssein spielte in den USA keine Rolle

In einem Land, das vor allem nicht das ihrer Eltern ist, das es aber deshalb auch ihr schwer oder gar unmöglich macht, von ihr als Heimat betrachtet zu werden – obwohl sie die meiste Zeit ihrer Kindheit und Jugend in Deutschland verbracht hat: „In Schweden war ich eine freiwillig Ausgewanderte. Manchmal wünschte ich mir, wieder in Deutschland zu leben und meinen Kindern ein bisschen mehr zu zeigen, mit dem ich aufgewachsen bin. Ich feiere das iranische Neujahrsfest nicht und habe gelernt, dass das schlechte Gewissen, das mich begleitet, spezifisch für uns Migrantenkinder ist.“

Dardan, die in Hildesheim und im schwedischen Lund Kulturwissenschaften und Nahostpolitik studiert hat, erzählt einerseits von ihrer Schul- und Internatszeit oder auch sehr intim und privat von ihren Schwangerschaften und warum sie sich bei ihrer dritten gegen ein weiteres Kind entschieden hat.

Andererseits sinniert sie mit Hilfe von Hannah Arendt oder Edward Said über das Exil, schreibt sie über den Holocaust, über die rechten Gewalttaten in der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung. Oder sie macht in den USA bei einem CNN-Praktikum in Atlanta noch einmal ganz andere, ihr neue Erfahrungen. Da merkt Dardan, wie sehr die Adoleszenz in Deutschland sie geprägt hat, „mein Anderssein spielte nur in Deutschland eine Rolle.“

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Jedes der zehn Kapitel dieses Buches ist ein kleiner autobiografischer Essay, und jedes Mal ist man aufs Neue überrascht, wohin es die Autorin jetzt wieder gedanklich trägt.

Sie verbindet beispielsweise bestimmte regelmäßige Wege als junge Mutter durch ein Viertel in Prenzlauer Berg mit einem kurzen Porträt der deutsch-jüdischen Kommunistin Olga Benario-Prestes, die 1942 von den Nazis im Konzentrationslager Ravensbrück ermordet wurde. Denn in diesem die „Grüne Stadt“ genannten Viertel tragen viele Straßen Namen von linken, kommunistischen Widerstandskämpferinnen und - kämpfern.

Am Ende des Kapitels weist Dardan namentlich auf in jüngerer Zeit ermordete Menschenrechtsaktivistinnen und Regimekritikerinnen überall auf der Welt.

Gleich in dem darauf folgenden Kapitel geht es zum einen um ihre eigenen Privilegien als Urlauberin in einem von der Moderne weit abseits liegenden Dorf in Sardininen. Aber auch um den Status der damals sogenannten Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen der Bundesrepublik und wie diese heutzutage von der deutschen Bürokratie behandelt werden.

Diskriminierung gehört zur "Textur ihres Lebens"

Auch zwischen Schweden, wo Dardan eine Zeit lang gelebt hat, und Deutschland, weiß sie zu unterscheiden, ohne dabei das skandinavische Land zu überhöhen.
Es ist erschreckend, dass jemand wie Dardan sich trotz ihrer Kindheit und Jugend als Fremde fühlt in einem Land, von dem man glaubt, dass es langsam begriffen hat, ein Einwanderungsland zu sein. Und dass zur „Textur ihres Lebens“ rassistische Anfeindungen gehören: „Wenn man einer Minderheit angehört, dauert es oft sehr lange, bis man Diskriminierung als solche erkennt und sie ansprechen kann."

Asal Dardan macht das in ihrem Buch, aber nie larmoyant, nicht platt anklagend, sondern reflektiert, analytisch, auch formal stilsicher. Mit Differenzen kann die Autorin gut umgehen., sie weiß um deren Vorteile, versucht manchmal sie zu überbrücken. Dardan weiß zwar nur zu gut um ihre Heimatlosigkeit, doch schimmert bisweilen durch, dass sie doch eine zögerliche, leise Sehnsucht nach sowas wie Heimat hat.

Wenn aber einmal von einem „Leben zwischen mehreren Welten“ die Rede ist und dass dieses „keine ganzen, sondern aus Phantasien und Sehnsüchten gebaute Fastorte“ biete, „Orte, an denen man bleiben will, auch wenn man nie dort gewesen ist“, kann man nicht zuletzt den Eindruck bekommen, dass Asal Dardan ihr iranisch-deutsch-schwedisches Lebensamalgam durchaus als Gewinn versteht.

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