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In der Umlaufbahn: Am Stand der Galerie Spinello Projects, die Arbeiten von Agustina Woodgate zeigt.

© Britta Pedersen/dpa

Art Berlin Contemporary: Staub im Herzen

Die Berlin Art Contemporary ähnelt immer mehr einer Messe - und macht sich zu gut wie nie zuvor. Besonders die neue Architektur wertet die Kojen der 100 teilnehmenden Galerien auf.

Sie sind gekommen. Mit dem Rennrad, per Mountainbike oder auf einem kleinen Kinderfahrrad. Was alle Fahrzeuge eint, sind ihre großen, farbigen Reifen: viereckig und aus Blech gemacht! Ein Wettrennen wird Gerd Rohling mit seinen eigenwillig aufgemotzten Rädern nicht gewinnen, auch wenn er ein handgemachtes „Giro Futuro“-Shirt trägt. Dafür fliegen dem Berliner Künstler auf der Art Berlin Contemporary (ABC) die Herzen der Besucher zu. Weil seine recycelten Objekte so schräg wie sinnlich sind und einem das Gefühl vermitteln, dass es neben der hochpolierten High-End-Kunst mancher Großgalerie noch etwas anderes gibt. „Da fehlt etwas und manchmal denke ich, es ist vorhanden und ich muss es nur noch rausfinden und das Bild komplettieren“, stellte Rohling kürzlich fest, als andere seiner Arbeiten in der Galerie Contemporary Fine Arts zu sehen waren. Das Statement passt auch wunderbar zur aktuellen Installation, die von der selben Galerie nun auf einer Kunstmesse gezeigt wird, die immer noch keine Messe sein mag, sich aber absolut in die Richtung bewegt. Und es tut ihr gut.

Erhabenes im Messetrubel

Wichtigste Neuerung ist die Architektur. Statt rauer Baugerüste erheben sich nun Kreuze in gleichmäßigem Abstand, deuten rechtwinkelige Kojen an und geben den Hallen Struktur. Jede der teilnehmenden 100 Galerien hat für sich entschieden, ob es die Kreuze zu Wänden verlängert oder gar schließt. So weit, so Messe. Für den großen Unterschied sorgt weiterhin die Konzentration der Galeristen auf ein oder zwei künstlerische Positionen – und ihre sorgfältige Hängung respektive Installation der Arbeiten. Deutlich wird das etwa bei André Schlechtriem, der seinem jungen Star Julian Charrière Platz für die bekannten, großformatige Fotos von verstrahlten Region in Kasachstan gegeben hat und dazu das sechs Meter lange Aquarium „Tropisme“ (2014) mit kalt konservierten, modellhaften Pflanzen aus prähistorischen Zeiten. Eine konzentrierte Schau, wie sie auch im White Cube der Galerie stattfinden könnte. Andere Teilnehmer haben gleich ganze Hallenabschnitte gemietet und für die Werke ihrer Künstler passend gemacht – mal mit gezielten Blickachsen, mal mit intimen Ruhezonen, wenn es die Arbeit verlangt. Sprüth Magers oder Mehdi Chouakri mit Saâdane Afif, N. Dash und Luca Trevisani gehören zu den Galeristen, die ihre Künstler in korrespondierenden Überblicken präsentieren. Andere brauchen diese Art der Abschottung gar nicht. Der riesige, fleischfarbene „Trashstone“ (2011) von Wilhelm Mundt zum Beispiel liegt still und friedlich in einer Eingangsschleuse. Und der belgische Bildhauer Peter Buggenhout packt seine mächtigen Schrott-Staub-Skulpturen der Serie „The Blind leading the Blind“ in ähnlich monumentale Glasvitrinen, wo sie als apokalyptische Findlinge schlummern. Eine Installation, so erhaben und beunruhigend, dass man sie trotz des Messetrubels zur ABC-Eröffnung nicht vergisst.

Grit Richter ist eine andere Kandidatin, bei der Ähnliches geschieht. Die intensive Malerei zieht einen förmlich in die Koje von Galeristin Tanja Wagner – wohl auch, weil die Künstlerin aus Dresden den beschränkten Raum derart nutzt, dass man sich in ein prall gefülltes Atelier voller Möglichkeiten für Entdeckungen versetzt fühlt. Solche Eindrücke sind nach wie vor das Ziel der Messe, die dank ihrer maßvollen Teilnahmegebühr zu Experimenten animieren will.

Alternative zu den Turbo-Modellen des internationalen Messebetriebs

Erfolgsverwöhnte Galerien wie Neugerriemschneider nehmen solche Effekte gern mit. Ihr Risiko ist vergleichsweise gering, die Namen ihrer Künstler kursieren international. So leistet man sich ein Feld von Tischtennisplatten, an denen Rirkrit Tiravanija zum Kräftemessen lädt; dazu ein Feld aus rostigen Reispflänzchen von Ai Weiwei, das unbetretbar und kontaminiert wirkt. Und im Entree der ABC ein fliegendes, aufblasbares Boot von Simon Starling, das einen grünen Garten beherbergt. „Project for a Floating Garden“ (2011 /2015) gehört wie Ais eisenharte Nahrungspflanze zu den wenigen Arbeiten, in denen sich die Zumutungen der politischen Gegenwart spiegeln. Deutlich wird noch die saudi-arabische Galerie Athr, die zum ersten Mal auf der ABC vertreten ist und den Künstler Abdullah Al Othman ein Video über Folter zeigen lässt.

Ansonsten wundert man sich beim zweiten Rundgang doch ein bisschen über die Entspanntheit, die in einigen Gängen herrscht. Während es auf der Art Basel zwingend neu Produziertes der Künstler gibt, spielt in den Station-Hallen am Gleisdreieck das Entstehungsjahr offenbar eine nachgeordnete Rolle. Das mag sympathisch wirken, zumal die ABC sich explizit als Alternative zu den Turbo-Modellen des internationalen Messebetriebs versteht. Wenn man aber gleichzeitig Sammler aus aller Welt für die Dauer der Art Week nach Berlin holen möchte, braucht es mehr Zug. Es sei denn, man besinnt sich wie Contemporary Fine Arts auf angehende Klassiker wie den 2013 verstorbenen Günther Förg, der mit bronzenen Köpfen aus den frühen Neunzigern vertreten ist.

Dennoch fällt das Fazit durchweg positiv aus. Das frische architektonische Konzept sorgt für ein homogenes Bild, und die Galerien sorgen für Vielfalt. Max Schaffer (Galerie Aanant & Zoo) oder Tobias Hantmann (Galerie Bernd Kugler), ja selbst Alice Creischer (Galerie KOW) zählen zu jenen Namen, die nicht auf jeder anderen Messe zu finden sind. Genau so wenig wie die erste, von Nikola Dietrich kuratierte Sonderschau in der „Bananenhalle“, die als Segment der Messe immer schwierig zu inszenieren war. Diesmal hat man es ganz gelassen und stattdessen überwiegend Berliner Privatsammler um ein, zwei Werke aus ihrem Besitz gebeten. Darunter sind herausragende Arbeiten von Elaine Sturtevant, Heimo Zobernig, Elmgreen und Dragset, Ana Mendieta oder Hannah Wilke, die endlich auch einmal mit einem ewigen Vorurteil aufräumen: dass in der Hauptstadt nicht gekauft und gesammelt wird.
ABC, Station Berlin, Luckenwalder Str. 4-6; bis 20. 9., Sa 12–19 Uhr, So 12–18 Uhr

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