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Blendend. Die Matthew Gallery, eine von über 250 Galerien bei der Art Basel Miami Beach, präsentiert Neonschilder der Villa Design Group.

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Art Basel Miami Beach: Seid überwiesen, Millionen!

Picasso, Bacon, Lichtenstein: Die großen Namen ziehen auf der Art Basel Miami Beach – und zielen auf ein Promi-Publikum mit Portemonnaie.

Etwas Lektüre vor dem Messebesuch kann nicht schaden. Das US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ fasst auf seiner Website „sechs Dinge“ zusammen, die man auf der aktuellen Art Basel Miami Beach unbedingt vermeiden sollte. Sonnenbrillen beim Anschauen von Kunst zum Beispiel. Sich für Selfies in die Koje stellen oder mit Gesprächen die Zeit des Galeristen verplempern, obwohl man gar nicht kaufen möchte. Der vierte Hinweis galt Besuchern wie jenem, der zur Eröffnung der Messe im hautengen Catsuit durch die Gänge streifte: „Denk dran: Du bist kein Künstler und solltest deshalb auch nicht so tun. Verzichte auf auffällige Outfits und lass' der Kunst den Vortritt.“

In Miami fällt diese Geste naturgemäß schwer. Die Art Basel Miami Beach hat sich über die Jahre ein Publikum erzogen, das Parties und Socializing während der Messe mindestens so liebt wie die Kunst. Für Glamour sorgen verlässlich Stars, die wie Sylvester Stallone entweder selber malen und deren Galeristen – in diesem Fall Gmurzynska – ein Fest für ihren Künstler schmeißen. Andere nutzen die Messe, um im tropisch warmen Florida exzessiv zu feiern. Dann gibt es Käufer wie Leonardo DiCaprio, Adrien Brody oder Brad Pitt: Ihretwegen stehen die Journalisten alljährlich am Eingang D, den die Messe traditionell am Mittwoch um 11 Uhr freigibt. Bis dahin müssen sich offiziell alle gedulden.

Die Schlange wächst mit jeder Minute

Auch diese Choreografie gelingt Messedirektor Marc Spiegler und seinem Team seit Jahren perfekt: Zur 14. Art Basel Miami Beach wächst die Schlange mit jeder Minute, kurz vor der Eröffnung schiebt sich das Publikum im Gang zusammen. Als gäbe es bei den 267 Galerien etwas umsonst und nicht für Millionen von Dollar, die zahlreiche der Arbeiten kosten. Mit Helly Nahmad, der Galerie Landau, Aquavella, Richard Gray und Karsten Greve bestücken Schwergewichte am Kunstmarkt das Entree zu den Hallen. Ihnen laufen die Messebesucher förmlich in die Arme – in den ersten Stunden ausnahmslos solche, die eine „First Choice VIP“-Karte besitzen.

Kuck an. Ein hängendes Stoffauge des polnischen Künstlers Piotr Uklanski.
Kuck an. Ein hängendes Stoffauge des polnischen Künstlers Piotr Uklanski.

© dpa

Dass sie zu Hunderten kommen, lässt die Galerien reagieren. Mit auffallend vielen Werken von Picasso, Alexander Calder, Max Beckmann oder dem „Man in Blue VI“ (1954) von Francis Bacon, den der New Yorker Kunsthändler Van de Weghe Fine Art schnell verkauft hat. 10,5 Millionen Dollar sollte das Gemälde kosten. Etwas günstiger sind in derselben Koje zwei Bilder zu haben, die Roy Lichtenstein um 1970 gemalt hat – jedes für knapp sieben Millionen Dollar. Dass man bei dem Künstler auch billiger wegkommt, zeigt sich gegenüber in der Koje von Matthew Marks: Die Galerie aus New York bietet „Pink Seascape“, eine wunderbar abstrakte Arbeit des US-Amerikaners aus den sechziger Jahren, für 200 000 Dollar feil. Doch der Arbeit, eine Collage aus changierendem Plastik, sieht man Lichtenstein nicht gleich an. Im Gegensatz jedenfalls zu jenem Comic-Rasterbild, das eine Sammlerin gerade als Alloverprint ihres Blazers spazieren führt. Der bizarre Vergleich macht deutlich, dass die ruhige, rosa Landschaft wohl kaum das ist, was ihr für die eigene Kollektion noch fehlt.

Hier liegt auch das Dilemma der Messe. Der teure Standort und ein Publikum, das von deutschen Sammlern bis tief nach Südamerika reicht, braucht eine verlässliche Schnittmenge. Am besten etwas, das jeder gleich erkennt. Andy Warhols Porträt von Joseph Beuys (1980), das ein Käufer bei der Galerie Thaddaeus Ropac für 1,4 Millionen Dollar erstanden hat. Oder eine Assemblage aus Metall von Robert Rauschenberg am selben Stand, die für 770 000 Dollar den Besitzer wechselte. Überraschend ist höchstens, dass Händler wie die Hammer Gallery genügend Werke von Picasso und Matisse zusammenstellen können, um eine ganze Koje damit zu füllen. „Acht Millionen, fünfzig Millionen, das hier dreißig Millionen“: Die Mitarbeiterinnen am überfüllten Stand geben geduldig Auskunft, wenn einer abschätzen möchte, ob sein Etat für eines der Gemälde reicht.

Experimente sind dagegen selten. Manches lässt die Messe professionell (wieder-)entdecken, wenn sie mit Förderkojen wie „Kabinett“ oder „Survey“ den Blick gezielt auf eine künstlerische Position richtet. Den ganzen Stand so einzurichten, ist jedoch etwas für Hasadeure. Oder coole Galerien à la Jocelyn Wolff aus Paris, die ihr Kabinett mit Architekturfantasien von Isa Melsheimer zum Zentrum der Koje machen und außen mit ein paar Arbeiten des amerikanischen Konzeptkünstlers William Anastasi sowie zwei spröden Skulpturen von Franz Erhard Walther ausstatten.

Es ist ein Auftritt ohne Kompromisse. Mit Namen, die nicht jeder auf den Lippen hat und deren Positionen erläutert werden wollen – wie ein paar Kojen weiter eine monumentale Zeichnung von Jorinde Voigt. Man kennt das anders in Deutschland, wo das Werk der Berliner Künstlerin eine ungeheure Strahlkraft entwickelt. „5 Cavallini Sequences“ von 2015 tut das ebenso, weil das meterlange Blatt an vielen Stellen hauchdünn mit Gold überzogen ist. In Miami aber muss die Mitarbeiterin der Galerie David Nolan (New York) ihr Publikum davon überzeugen, dass 175 000 Euro für diese Arbeit gut investiert sind. Denn das zählt auf der Messe vor allen Dingen.

Die Erfolgsmeldungen der ersten Tage zeigen zwar, wie breit sich das Interesse streut. Die Galerie Hauser & Wirth konnte eine Skulptur von Paul McCarthy für 1,5 Millionen Dollar und zwei Zeichnungen von Philip Guston zu je 300 000 Dollar verkaufen. David Zwirner hat einen Sammler für Neo Rauchs Gemälde „Lösung“ (1,5 Millionen Dollar) gefunden und ebenso für eine Arbeit von Wolfgang Tillmans (75 000 Dollar). Die Galerie Sprüth Magers nimmt allein für drei Werke von Barbara Kruger, Andreas Gursky und George Condo 1,3 Millionen Dollar ein. Doch auch das sind Künstler, die sich schon lange am Markt bewähren.

Ihre Spannung schöpft die Messe aus den mutigen Entscheidungen einzelner Galeristen. Am Stand der auf Fotografie spezialisierten Galerie Kicken mischen sich Abzüge von Man Ray, Peter Keetman und Monika von Boch mit serieller Kunst von Heinz Mack oder dem jüngst verstorbenen Bernard Aubertin. Bei Mary-Anne Martin Fine Art kann man feine Zeichnungen von Gunther Gerzso für 38 000 Dollar entdecken, während die Galerie Projects SD aus Barcelona kleine Fotoarbeiten von Jochen Lempert anbietet – ein Düsseldorfer, den die starke BecherSchule mit ihrem sachlichen Blick an den Rand gespült hat und dessen Naturansichten ab 1900 Euro zu haben sind.

Das große Geld ist mit diesen Positionen nicht zu machen. Wohl aber braucht die Art Basel Miami Beach solche Hüter der Kunst ebenso wie ihre Big Seller, deren Macht sich längst in der visuellen Überpräsenz manifestiert hat. Es ist die letzte Messe in Miamis schmucklosem Convention Center, das ab 2016 umfangreich saniert wird. Und die erste mit Noah Horowitz als neuem Messedirektor. Was er verändern will, behält er einstweilen für sich.

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