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Herz Trumpf. Jeff Koons „Sacred Heart“ am Stand der Galerie Gagosian.

© Coffrini/AFP

Art Basel 2019: Klotzen, protzen, mit Millionen handeln

Teure Kunstwerke, etablierte Galerien und eine große Dichte an Rolex-Uhren und Gucci-Schuhe. Die Kunstmesse Art Basel bleibt sich treu.

Basel ist, im Juni zumal, eine wunderschöne Stadt. Stadtmarketing völlig unnötig. Trotzdem kommt einem der „Parcours“ genannte Teil der Art Basel mit seinen Skulpturen vor allem als solches vor. Eigentlich eine gut Idee, die Besucher einmal aus dem Kokon der 290 Messe-Galerien hinaus in die Stadt zu führen – doch bringt sie sie seit Jahren immer wieder an dieselben Orte um den Münsterplatz, wo das beschauliche Basel am beschaulichsten ist. So kommt der „Parcours“ so einem selbstgemachten, wiederbefüllbaren Adventskalender inzwischen näher als der Schnitzeljagd, die er einmal war.

Aber vielleicht sitzt man da, aus dem rauen, unwirtlichen Berlin kommend, auch einem Irrtum auf. Nirgendwo auf der Welt dürfte in diesen Tagen die Dichte an Rolex-Uhren und Gucci-Schuhen größer sein als in den Basler Messehallen. Und möglicherweise kommen dieselben Leute vor allem aus Gründen der Selbstvergewisserung nach Basel und wollen deshalb am liebsten immer wieder nur das Immergleiche sehen. Im Erdgeschoss von Halle 2: Picasso und Miró bei Beyeler, danach bei Helly Nahmad: Miró und Picasso. Gestapelte, verzinkte Metallkisten von Donald Judd und eins der Quadratbilder von Josef Albers – „Homage to the Square: Embedded“ von 1963 – bei David Zwirner. Das Bauhaus-Jubiläum geht also auch an Basel nicht vorbei.

Bei White Cube kostet die mehr als viereinhalb Meter lange Fotografie „May Day IV“ von Andreas Gursky 1,85 Millionen Euro, bei Sprüth Magers gibt es das kleine Motiv „Kodak“ von 1995 schon für 40 000 Euro. Flankiert von zwei Sicherheitsleuten, protzt der Welt erster und größter Galerist Larry Gagosian mit der dreieinhalb Meter hohen Bling-Bling- Jeff-Koons-Edelstahlskulptur „Sacred Heart“ für 14,5 Millionen Dollar. Und natürlich führt der „Parcours“ auch an Gagosians Basler Dependance vor.

Wären da nicht die Preise – die Chuzpe mit der die Händler ihre Blue Chips an die Wände pappen, erinnert an das „Alles muss raus“-Gebaren anderer Branchen. Kuratiert wird anderswo. Berliner Galeristen bilden die Ausnahme. So steht der Stand von Berinson ganz im Zeichen des von Hans Bellmer doppelseitig auf Holz gemalten Gemäldes „Die Puppe/Die Glasmurmel“ (1,4 Mio. Euro) – laut Hendrik Berinson eines von nur zwei überhaupt bekannten Vorkriegsgemälden Bellmers.

Wer zu den Galerien im Hauptsektor gehört, ist etabliert

Eine echte Soloschau können – müssen sich die Galerien aus dem geförderten „Statements“-Sektor leisten. Erstmals auf der Art Basel zeigt die in Kreuzberg ansässige Galerie Klemm's Fotografien aus dem „Kitchen Still Lifes“-Zyklus der 2012 verstorbenen Jan Groover: extreme Nahaufnahmen etwa von Gabeln oder Eierschneidern (10 000-30 000 Dollar). Der andere Feigenblatt-Sektor für Kuratiertes heißt „Feature“. Für ChertLüdde, auch aus Kreuzberg, hat dort der Spanier Alvaro Uribe 29 verschwundene, verschollene Kunstwerke aus Holz und Metall nachgebildet („Ever Since Night Falls“, 5000-14 000 Euro).

Wer zu den 232 Galerien im schlicht Galleries genannten Hauptsektor gehört, ist etabliert. Es gibt da gleichwohl feine Unterschiede. Die nicht ganz so saturierten unter den etablierten Galerien stellen im etwas weniger prestigeträchtigen Obergeschoss regelmäßig die interessanteren Positionen aus. Auch bei der Berliner Galerie Mehdi Chouakri finden sich gestapelte Metallkisten à la Donald Judd – darauf aber organisch geformte violette Häufchen. „Eternal Wow on Shelves (bronze)“ von 2008 ist Sylvie Fleurys bittersüßer feministischer Kommentar auf den Machismo der Minimal-Künstler.

Die längste Schlange der Welt

Neu ist die 2018 noch auf der Nebenmesse Liste präsente Galerie Société Berlin. Sie hat dort das 15-teilige „Self-portrait as Clone of Jeanne d'Arc“ von Bunny Rogers gehängt. Ihr „Lady Train“ rollt durch die Messekoje und stellt dort das kostspieligste der für Basler Verhältnisse (2000–65 000 Euro) vergleichsweise zurückhaltend ausgepreisten Werke dar. Was sagt das über eine Messe, wenn statt der großen die kleineren Preise als bemerkenswert empfunden werden? Judy Lybke von Eigen + Art findet es „keine Nachricht“, dass er sein Neo-Rauch-Rätselbild gleich am ersten Tag für 880 000 Euro verkauft hat. Wohl aber, dass auch sämtliche Werke des altmeisterlich dekonstruktivistisch arbeitenden Italieners Nicola Samorì zu Preisen zwischen 13 000 und 50 000 Euro weg sind.

Und noch eine Nachricht: die längste Schlange der Messe. Sie steht vor Abdulnasser Gharems „The Safe“ von 2019. Es ist einer der wenigen Momente, in denen die angebliche Politisierung der Messe nicht als Phrase erscheint, sondern beklommen macht. Weniger weil der Bezug des Kunstwerks als solchem (ein weißer, schallisolierter Raum mit Liegemöbel, Sektionstisch, saudischer Flagge, zahlreichen Stempeln ) zu der mutmaßlichen Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi in der saudischen Botschaft in Istanbul so augenfällig eindeutig wäre. Wohl aber, weil er einem vorher sowohl von den Galeristen (Nagel Draxler) als auch von den Hostessen, die den Zugang nur einzeln und für 40 Sekunden gewähren, eingetrichtert wurde. Warum nur meinen sie annehmen zu dürfen, dass die Rachsucht des saudischen Öl- und Kronprinzen ausgerechnet vor einem Künstler haltmachen würde?

Der Duden versteht „Parcours“ übrigens als Hindernisbahn. Könnte es sein, dass der eigentliche Parcours gar nicht draußen stattfindet, sondern in den Messehallen, und die Gucci-beschuhten Füße meint, über die nicht zu stolpern man schon während der ersten zwei „Private Days“ (in die man sich erstmals teuer einkaufen kann) achtgeben muss?

Jens Müller

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