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Anmut der Armen. „Hof des Waisenhauses in Amsterdam“ (1876, Ausschnitt) von Max Liebermann.

© Aus dem Katalog der Ausstellung „Armut“/ Stadtmuseum Trier, Primus Verlag

Armut in der Kunst: Raus aus dem Rinnstein

Mitleid oder Voyeurismus? Carmen Flum untersucht das Genre der „Armeleutemalerei“.

Armut ist in der Kunst kein Sujet wie jedes andere. Allzu schnell gerät es in den Verdacht, zwar gut gemeint, aber eben keine Kunst zu sein. Und wird es zuweilen nicht nur voyeuristisch, sondern gar materiell ausgebeutet? Der Argwohn gegenüber dem Mitleidspathos des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado, der seine Protagonisten mit einer religiösen Aura umgibt, und dem Zynismus des spanischen Konzeptkünstlers Santiago Sierra, der Arme für wenig Geld anheuert, um sie tätowieren zu lassen, hat eine lange Tradition. Sie zeichnet nun die Kunstwissenschaftlerin Carmen Flum in ihrem Buch „Armeleutemalerei“ nach.

Populär machte den Begriff Ende des 19. Jahrhunderts der Kunstkritiker Richard Muhr. In einer Besprechung der Internationalen Kunstausstellung in München machte er eine „junge Kunstrichtung“ aus, die er als „Pariser Import“ bezeichnet: eben die „Armeleutemalerei“. Entstanden war der Begriff allerdings schon zuvor in Diskussionen um die Gemälde Max Liebermanns und Fritz von Uhdes. er trug den Vorwurf des Tendenziösen und Sozialistischen in sich. Max Liebermann etwa sah sich als „Rhyparograph“ (Schmutzmaler) und „Apostel der Hässlichkeit“ diffamiert. Er wehrte sich, indem er schrieb: „Man sagt, ich sei Sozialdemokrat. Da haben Sie die Philister! Als ob man durchaus ein Parteimann sein muss, um mit den Armen und den Niedrigen zu fühlen!“

Der schön gestaltete Band „Armeleutemalerei“ folgt einem spezifischen Erkenntnisinteresse. Flum hat Ausstellungskataloge, Monografien, Zeitschriften und andere Quellen ausgewertet, um den Einfluss sozialkritischer Malerei auf Gesellschaft und Politik zu bestimmen. Für den Zeitraum von 1830 bis 1914 kann sie rund 680 Werke nachweisen. Rein statistisch bewegen sich sozialkritische Darstellungen damit im Nanobereich. 1830 sind es mit zwei von 859 in Berlin ausgestellten Bildern gerade mal 0,23Prozent. Trotz Pauperismus, politischem Vormärz, 1848er-Revolution und Industrialisierung wird die Einprozentmarke nicht geknackt: Der Höchstwert ist 1890 erreicht: 0,7 Prozent. In München sieht es nicht anders aus.

Die dargestellten Personen – Bettler, Frauen, Kinder, Familien– setzten zumeist das bekannte Bildfeld der guten, bescheidenen Armen in Szene. Nicht selten, so etwa bei Luise Max-Ehrler, werden sie idealisiert. Dem Betrachter soll signalisiert werden, dass die Notleidenden an ihrem Unglück nicht schuld sind. Aber es ist nicht nur der sentimentale Gestus mancher Gemälde, der sie dem heutigen Blick schwer erträglich macht. Es ist auch die Haltung, die Mitleid durch Unterwürfigkeit und Bescheidenheit erzeugen will.

So ist man dankbar für das Selbstbildnis von Wilhelm Busch, in dem er sich als pöbelnder Bettler darstellt, der den Betrachter aggressiv angeht. Carmen Flum bettet die Armutsdarstellung in die sozialgeschichtlichen Zeitläufte und die Kunstdebatten ein. Dabei zeigt sich, dass es selten um die Gemälde ging. Provozierend war immer das Sujet. Wurde der „Armeleutemalerei“ im Vormärz vorgeworfen, von geringem künstlerischem Wert zu sein, erschien sie vielen Zeitgenossen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts als hässlich. Der schöne, idealisierte Arme mochte noch angehen, nicht aber der durch seine Lebensumstände verbrauchte, abgemergelte und zerlumpte.

Nicht nur Kaiser Wilhelm II. war ein entschiedener Gegner solcher „Rinnsteinkunst“, auch Adalbert Stifter hatte Mitte des Jahrhunderts Ferdinand Georg Waldmüllers Gemälde „An der Brandstätte“ (1847) kritisiert: „Von Waldmüller in Wien ist ein altes Weib in Brandruinen ausgestellt, welches mit ausgezeichneter Künstlerschaft gemalt ist, nur dürfte anzunehmen sein, dass, um Mitleid zu erregen, die Schönheit gemalt werden müsse, nicht die Hässlichkeit, wie vollendet sie auch behandelt ist.“

Doch wollten die Künstler mit ihren Elendsdarstellungen wirklich immer Mitleid erregen? Die Annahme liegt nahe, trifft aber nicht zu. Das Thema Armut bot sich für die einen auch an, um pittoreske oder religiös inspirierte Darstellungen zu lancieren. Andere hingegen waren auf der Höhe der Zeit.

Ausgerechnet Käthe Kollwitz, deren Bilder von einem ungeheuren Mitgefühl und Ernst getragen sind, schrieb: „Nur dies will ich noch einmal betonen, dass anfänglich in sehr geringem Maße Mitleid, Mitempfinden mich zur Darstellung des proletarischen Lebens zog, sondern dass ich es einfach als schön empfand. Wie Zola oder jemand anders einmal sagte: ‚Le beau, c’est le laid’“. Denn in der Moderne waren die schönen Künste längst nicht mehr schön.

Carmen Flum: Armeleutemalerei. Darstellungen der Armut im deutschsprachigen Raum 1830-1914. Verlag ad picturam, Merzhausen 2014. 260 Seiten, 115 Abbildungen, 48 €.

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