zum Hauptinhalt
Eine Waschbetonwand schottet die Deutsche Oper zur Straße hin ab.

© DPA

Architekturikone der Nachkriegszeit: Vor 60 Jahren wurde die Deutsche Oper Berlin eröffnet

Raum für Gedanken und Austausch: eine Liebeserklärung an die Deutsche Oper Berlin, die am 24. September 1961 eröffnet wurde.

Die Kunstgattung der Oper ist auf unglückselige Weise mit einem rückwärtsgewandten Konzept von „Festlichkeit“ verbunden. Weil Werke aus feudalen Zeiten den Spielplan dominieren, meinen viele Liebhaber des Musiktheaters, dass für die Aufführungen auch nur eine Architektur angemessen sei, die herrschaftlich wirkt. Stuck und Marmor, roter Samt, Säulen, Putten, Kronleuchter sollen ihrer Meinung nach das Ambiente bilden für die Werke von Mozart, Verdi, Wagner und Co. Darum rebellierten 2008 in seltener Eintracht Konservative aus Ost wie West, als die Fachjury beim Wettbewerb zur Sanierung der Staatsoper Unter den Linden einen Entwurf prämierte, der vorsah, in die historische Hülle einen modernen Zuschauerraum einzubauen.

In einem skandalösen Handstreich erklärte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit daraufhin den Wettbewerb für nichtig – und der Knobelsdorff- Bau wurde erneut in jener Neorokoko- Optik rekonstruiert, in der man das zerbombte königliche Opernhaus nach dem Zweiten Weltkrieg wiedererrichtet hatte, mit allen seinen Nachteilen. So haben beispielsweise nur die Käufer:innen der teuren Plätze hier eine ideale Sicht auf die Bühne.

Abends belebt sich das scheinbar so abweisende Haus

Zum Glück gibt es in Berlin auch noch die Deutsche Oper. Vor 60 Jahren eröffnet, am 24. September 1961, kurz nach dem Mauerbau, manifestiert sich in dem Charlottenburger Musiktheater ein anderer Geist. Der des demokratischen Musiktheaters nämlich, einer „Kultur für alle“. Architekt Fritz Bornemann bricht optisch mit den Elementen, die traditionelle Musentempel auszeichnen. Statt einer repräsentativen Straßenfront, die mit Ornamentik protzt, schottet sich sein Haus gegen den brausenden Verkehr ab, durch eine massive Wand aus Waschbeton.

Die Symbolik dieses Schutzwalls verstehen viele Opernliebhaber bis heute nicht. Dabei ist sie ganz simpel: Nicht auf die bella figura kommt es an, sagt diese Fassade, nicht auf den schönen Schein beim flüchtigen Betrachten, sondern auf das, was drinnen passiert. In den Theatern des 18. und 19. Jahrhunderts ging es immer auch ums Sehen und Gesehenwerden. Denn das Licht blieb an während der Vorstellung, sodass jeder beobachten konnte, was im Saal jenseits der Kunst vor sich ging. Man besuchte sich gegenseitig, amouröse Verbindungen wurden geknüpft, politische Deals gemacht, während die musikalischen Dienstleister ihre Arien schmetterten.

Beste Sicht auf die Bühne von allen Plätzen bietet die Deutsche Oper Berlin.
Beste Sicht auf die Bühne von allen Plätzen bietet die Deutsche Oper Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Erst Richard Wagner machte aus der musikalischen Zerstreuung eine Kunstreligion. Indem er vom Publikum verlangte, sich ausschließlich auf das Bühnengeschehen zu konzentrieren, schweigend, in einem verdunkelten Saal. Im italienischen Stagionebetrieb, bei dem erfolgreiche Stücke die ganze Saison lang jeden Abend gegeben wurden – so wie heute die Dauerbrennermusicals –, war der Opernbesuch Teil der Freizeitgestaltung. Man hatte seine feste Loge, kam und ging, wie es einem passte, mal für einen Akt, mal länger. Die Wertschätzung der einzelnen Aufführung als Live- Unikat hat sich erst im 20. Jahrhundert durchgesetzt.

Dem trägt Fritz Bornemann mit der Gestaltung der Deutsche Oper Berlin Rechnung. Sein klobiger Kasten, der tagsüber so abweisend wirkt, beginnt abends zu leuchten, und zwar von innen heraus. Die seitlichen Glasfassaden strahlen, das Lichtband des Eingangsbereiches lockt die Neugierigen an. Wie eine Schleuse wirken zunächst die Garderobenbereiche mit ihren niedrigen Decken – dann aber eröffnet sich den aufwärts strebenden Besucher:innen die Weite der Foyers. „Das ist der Raum, in dem deine Gedanken fliegen dürfen“, ruft die hohe Pausenhalle jedem zu, der sie betritt (am 24. 9. findet in der Deutschen Oper eine Diskussion zur Architektur von Kulturbauten unter anderem mit David Chipperfield statt, am 28. 9. erklingt Kammermusik aus dem Jahr 1961. Weitere Termine zum Jubiläum: www.deutscheoperberlin.de.)

Dieses Haus hat seine eigene Festlichkeit

Was während der Aufführung im Saal zu erleben war, kann anschließend hier diskutiert werden. Wie eine Agora funktioniert die Pausenhalle, als Versammlungsort, an dem man sich über die Inszenierungen austauscht, über künstlerische Inspiration und szenische Zumutungen. Alles ist offen, die Treppen schweben von Etage zu Etage, es gibt Balkone für die Übersicht und Nebenbereiche für intimere Gespräche, durch die Fensterflächen bleibt der Kontakt zur Außenwelt gewahrt. Denn dies ist ja kein Elfenbeinturm, in den man sich zurückzieht, als Realitätsflüchtiger. Nein, dies ist ein Ort der lebendigen Auseinandersetzung mit dem, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Es gehört zu den bitteren Pointen der bewegten Zeiten Anfang des 20. Jahrhunderts, dass Fritz Bornemann, der diesen zutiefst demokratischen Bau erdacht hat, am Beginn seiner Karriere als Assistent des „Reichsbühnenbildners“ Benno von Arendt 1937 daran beteiligt war, Berlin für den Staatsbesuch Mussolinis zur nationalsozialistischen Idealkulisse im martialisch-klassizistischen Gewand aufzumöbeln. In seinen stilprägenden Nachkriegsbauten aber – der Amerika-Gedenkbibliothek, der Freien Volksbühne in Wilmersdorf und den Dahlemer Museen – zeigt er sich als Architekt, der es verstand, ästhetisch ansprechende Orte fürs angenehme Miteinander der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu bauen.

Intendant Götz Friedrich, Willy Brandt und der Architekt Fritz Bornemann betrachten Mitte der Achtzigerjahre ein Modell der Deutschen Oper Berlin.
Intendant Götz Friedrich, Willy Brandt und der Architekt Fritz Bornemann betrachten Mitte der Achtzigerjahre ein Modell der Deutschen Oper Berlin.

© Kranichphoto

Und der dabei eine neue, zeitgemäße Form von Festlichkeit zu definieren wusste. In der Staatsoper, die versucht, im baulichen Korsett aus dem Jahr 1742 Musiktheater von heute zu machen, ist alles eng. Die Kassenhalle, die Stiegenhäuser, in denen man sich mühsam hinaufschiebt, das euphemistisch „Konditorei“ genannte Kellerloch, die Umgänge um den Saal, in denen die stickige Luft steht. Beim Betreten des Zuschauerraums gibt es Unter den Linden einen kurzen Oh-und-ah-Moment, dann wird es dunkel und der Betrachter ist wieder allein mit sich und dem zumeist eingeschränkten Blick auf die Bühne.

Ja, der Saal der Deutschen Oper wirkt im Vergleich nüchtern. Aber er hat alles, was Musiktheater wirklich braucht: Beinfreiheit beispielsweise, ein anständig ansteigendes Parkett, gerade Sitzreihen, die Ausrichtung aller Plätze auf das künstlerische Geschehen, eine Akustik, die auch ohne technische Tricks und doppelte Böden überzeugt. Und vor allem: Die Festlichkeit wird hier nicht durch optisches Blendwerk erzeugt, sondern allein durch die Menschen selbst. Durch ein an lebendiger Kunst interessiertes Publikum. Durch Bürger, die das Haus erwartungsfroh betreten statt von der Prunkfassade eingeschüchtert, die ihre Sitze durch die weiträumigen Foyers entspannt erreichen und die nun bereit sind, sich für das zu öffnen, was ihnen musiktheatralisch geboten wird.

Es hat geschmerzt, während der Lockdowns von dem Gemeinschaftserlebnis in den Theatersälen abgeschnitten zu sein. Jetzt, wo es wieder möglich ist, sich zur kollektiven Konzentration auf die Kunst zu versammeln, gibt es zur Feier des 60-jährigen Jubiläums der Deutschen Oper eigentlich nur einen angemessenen Jubelruf. Er stammt aus einem Meisterwerk, das ideal zum Geist in der Bismarckstraße passt, aus Richard Wagners „Tannhäuser“, in dem sich ja alles darum dreht, wie Musik beschaffen sein muss, damit sie zu Herzen gehen kann. Elisabeth, die Tochter des Thüringer Landgrafen, singt sie zur Eröffnung des zweiten Akts: „Dich, teure Halle, grüß ich wieder, froh grüß ich dich, geliebter Raum!“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false