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Die Karl-Marx-Allee mit den Turmbauten Hermann Henselmanns.

© dpa/Annette Riedl

Architektur des Kalten Kriegs in Berlin: Der lange Weg zum Weltkulturerbe

Hansaviertel und Karl-Marx-Allee als Welterbestätte? Der Senat will erneut versuchen, es mit „Das doppelte Berlin“ auf die Vorschlagsliste für die Unesco zu schaffen.

Es ist der zweite Versuch, das Hansaviertel und die Karl-Marx-Allee auf die Weltkulturerbe-Liste zu bringen, oder genauer: auf die sogenannte Tentativliste, die Vorschlagsliste, die die Kultusministerkonferenz bis 2023/24 für die Unesco-Welterbekommission erarbeitet. Jedes Bundesland darf dafür mit zwei Projekten antreten.  

Im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses wurde am Montag der Fahrplan für „Das doppelte Berlin“ erörtert. Staatssekretär Gerry Woop erläuterte, was das Projekt auszeichnet, das beim ersten Anlauf 2014 von der KMK abgelehnt worden war. Allerdings mit der ausdrücklichen Aufforderung zur Wiedervorlage, mit einem nachqualifizierten Antrag samt der genaueren Erläuterung des „Outstanding Universal Value“, der herausragenden universellen Bedeutung, so Woop.  

Es geht, kurz gesagt, um die Berliner Architektur im Kalten Krieg und wie Ost und West dabei aufeinander reagiert haben. Erst der sozialistische Klassizismus der damals noch Stalinallee heißenden Magistrale mit seinen „Arbeiterpalästen“, der Weberwiese und den Turmbauten Hermann Henselmanns am Strausberger Platz und am Frankfurter Tor. Dann die Neue Sachlichkeit des Hansaviertels mit den solitären Hochhäusern in den Grünanlagen zwischen den S-Bahn-Stationen Tiergarten und Bellevue, die im Rahmen der Interbau 1957 entstanden. Und schließlich die „nachgeholte Moderne“ in Ost-Berlin, mit den  Bauhaus-ähnlichen Wohnhausanlagen im zweiten Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee, zu dem auch das Kino International und das Café Moskau gehören. Hier wie dort sollte in Mustervierteln bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden, mit Licht, Luft, Sonne und guter Lebensqualität.  

Beide Ensembles stehen längst unter Denkmalschutz, beide erzählen ein Stück Baugeschichte im Wettstreit der politischen Systeme. Einer der 36 Hansaviertel-Architen war Oscar Niemeyer, ein bekennender Kommunist – um nur ein Beispiel für das Spannungsfeld von Bauästhetik und Politik zu nennen. „Koevolution“ lautete denn auch das Stichwort des Landeskonservators Christoph Rauhut bei seinen Ausführungen vor dem Kulturausschuss.  

Das Hansaviertel in Berlin-Tiergarten wurde 1957 gebaut.
Das Hansaviertel in Berlin-Tiergarten wurde 1957 gebaut.

© Kitty Kleist-Heinrich

Rauhut betonte auch das Engagement der Stadtgesellschaft, die aktive Beteiligung etwa des Mietervereins Karl-Marx-Allee, der Henselmann-Stiftung und des Bürgervereins Hansaviertel. Dagmar Tille, die zuständige Bereichsleiterin in der Kulturverwaltung, wies darauf hin, dass neben der Authentizität und guten Erhaltung der jeweiligen Bauten eben diese „gelebte Bürgerbeteiligung“ die Chancen einer Bewerbung erhöht. Der internationale Fachbeirat habe schon damals die Welterbe-Ambition der Bewohnerinnen und Bewohner wohlwollend registriert.  

Inzwischen wurden Gutachten erstellt, Konferenzen veranstaltet und diverse  Publikationen zum Thema herausgegeben. Die internationale Bedeutung dieser Berliner Bauhistorie als exemplarisch für den Kampf der politischen Systeme im Bereich Städtebau und Architektur und für die unterschwelligen Gemeinsamkeiten lange vor der  Überwindung der ja nicht nur deutschen Teilung ist inzwischen klarer umrissen. Und das bürgerschaftliche Engagement hat sich in den letzten Jahren weiter verstärkt, einschließlich leidenschaftlicher Debatten um Stadtplanung und Verkehrsfragen. Berlin habe seine Hausaufgaben gemacht, so der Tenor im Kulturausschuss. Deshalb will man es jetzt wieder versuchen: Im Oktober dieses Jahres muss der Antrag bei der KMK eingereicht werden, dort wird dann evaluiert. 

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Berlin und Potsdam sind bisher drei Mal auf der Welterbeliste vertreten, mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (seit 1990), der Museumsinsel (1999) und den sechs Siedlungen der Berliner Moderne (2008), bei denen jetzt auch ein Ergänzungsantrag für die Waldsiedlung Zehlendorf eingereicht werden soll – als Vorschlag Nummer 2.   

Die größten Hoffnungen setzen das Landesdenkmalamt und der Senat jedoch auf das Hansaviertel und die Karl-Marx-Allee. Zwar hat die Unesco ihren Fokus von Europa und den USA längst zu den auf der Liste unterrepräsentierten Weltregionen verlagert. Auch haben die Naturerbestätten an Bedeutung gegenüber dem Kulturerbe gewonnen, nicht zuletzt wegen der Klimakrise. Aber die Kommission möchte außerdem das bislang weniger vertretene 20. Jahrhundert mehr auf der Liste sehen, vor allem die Nachkriegszeit. Und einzelne Gebäude wie einst der Aachener Dom (der 1978 die erste deutsche Welterbestätte wurde) sind inzwischen weniger gefragt als Ensembles.  

Geduld ist gefragt: Vor 2025 wird es nichts mit dem Unesco-Antrag

Ein Pfund, mit dem die Stadt wuchern kann, glaubt Dagmar Tille, auch wenn sie darauf hinweist, dass das „Das doppelte Berlin“ noch lange in der Warteschleife hängen wird. Denn von der letzten Tentativliste warten noch vier Projekte aus Deutschland auf ihre Antragstellung bei der Unesco, darunter das Schweriner Schloss und die „gebauten Träume“ Ludwigs II., also Neuschwanstein und Co. Sollte die KMK den Berliner Vorschlag diesmal begrüßen, wäre er frühestens 2025 zur Prüfung durch die Unesco-Kommission an der Reihe.  

Kultursenator Klaus Lederer hatte schon 2017 zur Geduld gemahnt und gesagt, zum Weltkulturerbe sei es ein langer und steiniger Weg. Immerhin, dieser Weg ist schon ein Stück vom Ziel, ergänzte sein Europa-Staatssekretär Gerry Woop nun am Montag im Abgeordnetenhaus.  

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