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Archäologie: Wiedergeburt in der Wüste

Bei den Tempeln von Naga: Wie Berliner Archäologen im Sudan die älteste Hochkultur Afrikas erforschen.

Majestätisch thronen die Statuen entlang des Anstiegs zum Amun-Tempel in der Mittagshitze – zwölf steinerne Widder ragen auf Podesten aus dem roten sudanesischen Wüstensand. Die Allee der Kolosse flößt dem Besucher schon Respekt ein, bevor er das Portal mit seinen Reliefs erreicht. Errichtet vom schwarzafrikanischen König Natakamani und Königin Amanitore in der meroitischen Königsstadt Naga im ersten Jahrhundert nach der Zeitenwende, ausgegraben in den vergangenen zehn Jahren unter der Leitung des Chefs des Berliner Ägyptischen Museums, Dietrich Wildung. Wenn die Wünsche des Sudanexperten in Erfüllung gehen, werden die Berliner die Wüstenstadt in der ersten Sonderausstellung nach Wiedereröffnung der Museumsinsel Mitte 2010 kennenlernen. Einen ersten Einblick in die Grabungen gibt das Team schon am Sonnabend beim Sudan-Tag des Ägyptischen Museums.

Naga, drei Autostunden nördlich der Hauptstadt Khartum, steht mit dem Tempel für den Widdergott Amun da wie eine Akropolis. Fünf Etagen Stacheldraht zäunen die steinernen Schätze ein – zum Schutz vor den Kamelen, Eseln und Ziegen der Nomaden. Die einzige Wasserstelle weit und breit ist ein rund 80 Meter tiefer Zugbrunnen zwischen dem Amun-Tempel und den im Wadi Awatib gelegenen Gebäuden des Tempels zu Ehren des meroitischen Löwengotts Apedemak und der Hathor-Kapelle. Ansonsten: nichts. Fast nichts.

In einiger Entfernung stehen eine kleine weiß-blau gestrichene Polizeistation und das Grabungshaus der Berliner, das wegen seiner hohen Mauern hier nur „Naga Prison“ heißt. Darum herum leben stolze Beduinen, die ein Auge auf die Tempel haben. Ein stiller Flecken des Landes, in dessen Westen, im Darfur, das Dauermorden kein Ende nimmt: In der jährlichen Studie des Fund for Peace hat der Sudan den Spitzenplatz in der Liste der gescheiterten Staaten belegt.

Naga hat einen Wärter. Der alte Herr im weißen Gewand fordert von jedem Besucher zehn Dollar Eintritt. Allzu viele sind das nicht. Der Sudan liegt abseits der Touristenströme, die es zu den Pyramiden nach Ägypten zieht. Was da so trotzig aus dem feinen Sand ragt, sind Überreste einer großen Kultur, im Land der geheimnisvollen Schwarzen Pharaonen. Der antike Sudan gilt als älteste Hochkultur Afrikas. Von den Ägyptern im Norden lange verachtet, unterwarfen die Fürsten aus Schwarzafrika im achten Jahrhundert vor Christus sogar das ehemalige Weltreich. Hier im Sudan liegen „die afrikanischen Wurzeln ägyptischer Zivilisation“, sagt Dietrich Wildung.

Die Nubier waren ein hoch entwickeltes Volk, das schon im sechsten vorchristlichen Jahrtausend Krüge und Vasen formte, als man „in Ägypten noch nicht mal wusste, was ein Topf ist“. Aber bis heute ist vieles unerforscht. Die königliche Stadt Naga, die rund ein halbes Jahrtausend existierte, gehörte zum Reich von Meroe 300 vor bis 350 nach Christus, dem dritten Reich Kusch, wie Nubien in der Bibel heißt.

Das Reich bildete eine Brücke zwischen Mittelmeer und Afrika. Naga (meroitisch Toltke) war der Außenposten der Zentralregierung in der Savanne. Hier präsentierte sich die Zentralmacht, die sogar Roms Legionen widerstand, ein Macht- und Handelszentrum am Rande der bewohnten Welt. „Hier zeigten sich die Könige der nomadischen Bevölkerung und machten klar, dass sie sich um sie kümmern“, sagt Wildung. Vielleicht wäre der Konflikt im Darfur nicht eskaliert, wenn Khartum ein ähnliches Modell verfolgt hätte.

Der Amun-Tempel war Nagas bedeutendstes religiöses Gebäude. Bis ein Erdbeben im zweiten Jahrhundert nach Christus alles zerstörte. Wildung und sein Team haben nach fast zwei Jahrtausenden ein beeindruckendes Ensemble aus dem Sand geschält, sie sprechen von einer „Wiedergeburt“. Ohne etwas hinzuzufügen, haben sie die Funde wieder an ihrem ursprünglichen Platz aufgestellt; nicht wie in Meroe, wo die zerstörten Pyramiden restauriert wurden.

Der Amun-Tempel ist ungewöhnlich gut erhalten, sein monumentaler Aufgang einmalig. Die Reliefs sind klar zu erkennen. Die Inschriften geben den Forschern bis heute Rätsel auf. Experten konnten die Schrift, die die Nubier in der Zeit Meroes durch eine Dezimierung der 800 ägyptischen Hieroglyphen auf 23 Buchstaben entwickelten, zwar entziffern, aber nicht übersetzen. Sie kennen die dazugehörige Sprache nicht. Das wertvollste Tempelstück steht längst im Nationalmuseum von Khartum: ein auf allen Seiten mit Reliefs verzierter Altar. Unter freiem Himmel in Naga ist eine Replik zu sehen, die in Berlin angefertigt wurde. Hinter dem Tempel schließlich thront ein weiterer Widder. Nur hier durften auch normale Besucher hin und die Götter anbeten. Der Tempel selbst war der Königsfamilie und den Priestern vorbehalten.

Die Kapelle der Göttin Hathor wurde bisher wegen ihrer römisch-griechischen Elemente meist „römischer Kiosk“ genannt. Sie ist wie der Löwentempel nach Erkenntnissen des Berliner Teams bereits während des Goldenen Zeitalters von Meroe in der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts erbaut worden – nicht erst 200 Jahre später, wie bisher vermutet. Für Wildung ist diese Kapelle „archäologisches Objekt gewordener Nord-Süd-Dialog“ und mit seinen Elementen auch der afrikanischen und meroitischen Kultur „ganz ungewöhnlich“. Diese Kombination spreche für ein internationales Selbstverständnis des meroitischen Staates. Im Löwentempel ist die Verquickung der Elemente besonders auffällig – die Königsfiguren sind hier afrikanisch fülliger als die schlanken Ägypterinnen. Und die Frauen spielen eine größere Rolle, Amun- und Löwen-Tempel haben je eine weibliche und eine männliche Seite.

In der Hathor-Kapelle findet sich das Graffito eines frühen deutschen Besuchers aus der Lausitz, des Abenteurers Hermann Fürst von Pückler-Muskau vom April 1837. Er klagte über die große Hitze, er sei todmüde, habe brennende Kopfschmerzen, und es gebe nur schwarzes Wasser aus stinkenden Schläuchen zu trinken. Eine erste Expedition unter Richard Lepsius, dem Vater der deutschen Ägyptologie, machte 1844 Station in Naga, kartierte die Ruinen – und brachte viele Funde nach Berlin. 1958 kamen kurz Archäologen der Humboldt-Universität. Der Franzose Frederic Cailliaud war bereits 1822 dort. Aber niemand begann mit Ausgrabungen, freut sich Wildung. „Als wir kamen, war Naga jungfräulich, unberührt seit der Antike.“

In Khartum ist man froh über die „gute Arbeit“, die Wildung mit seinem Team geleistet hat. Da macht sich der brennende Eifer des Berliner Professors bezahlt, der überlegt, als Ruheständler ein paar Monate nach Naga zu ziehen. Stolz erzählt er von dem Orden der beiden Nile, den ihm Präsident Omar al-Baschir verlieh, der Mann, der wegen des menschenverachtenden Vorgehens im Darfur international am Pranger steht. Wildung genießt offensichtlich das Vertrauen des Staates mit dem brutalen Image, des Staates, der in den neunziger Jahren auch Osama bin Laden beherbergte. Wildung schätzt die Bescheidenheit der Sudanesen und sie schätzen ihn. Der Umgang sei völlig unkompliziert – „schwups, sitzt man beim Minister“, schwärmt der Professor, der auf dem Weg in sein Büro jeden Tag an der schönsten Berlinerin vorbeikommt: an Nofretete. Ihr zur Seite würde er gerne als Dauerleihgabe auch einige repräsentative Reliefs aus Naga stellen.

Mancher wünscht sich nun auch eine Straße zu den Tempeln. Wenn es nach den sudanesischen Archäologen geht, wird es die allerdings nicht geben. „Das bisschen Geld, das ich habe, brauche ich, um die Ausgrabungen zu schützen“, brummt der oberste Chef, der grau gelockte Generaldirektor für Antiquitäten und Museen, Hassan Hussein Idris Ahmed. Ein wenig macht es den Eindruck, als gebe es da durchaus Differenzen mit dem Tourismusministerium. Auch Wildung will kein „Disneyland“ in der Wüste. Aber er sammelt für ein Grabungsmuseum, 300 000 Euro soll sein „archäologischer Park“ kosten – und die Planung David Chipperfield übernehmen. „Der Besuch von Naga soll ein Off-Road-Abenteuer bleiben“, sagt der Direktor der Museen, Abdel Rahman Ali Mohamed. Den Berlinern aber macht er Hoffnung, dass sie auch ohne den Weg in die Wüste einen guten Eindruck von Naga bekommen können: „Alle wichtigen Stücke werden in Berlin zu sehen sein“, verspricht Abdel Rahman.

Sudan-Tag des Ägyptischen Museums Berlin. Sonnabend, 30.6., 13 bis 18 Uhr, im Pergamonmuseum, Am Kupfergraben.

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