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Keine Angst vor Masse. Christoph Eschenbach bei seinem Antrittskonzert am Gendarmenmarkt.

© Martin Walz

Antrittskonzert Christoph Eschenbach: Komm, Schöpfer Geist

Christoph Eschenbach dirigiert mit Mahlers Achter sein Antrittskonzert beim Konzerthausorchester und lädt die Berliner am Sonntag zum Willkommenstag.

Der Neue ist da, und ja, er ist älter als sein Vorgänger. Christoph Eschenbach steht in seinem 80. Lebensjahr, wenn er nun sein Amt als Chefdirigent des Konzerthausorchesters antritt. Während für die Musikerinnen und Musiker im Ensemble eine Altersgrenze existiert, schweben die, die den Takt angeben, unangreifbar darüber, solange sie es noch ans Pult schaffen und den Stock zu schwingen vermögen. Diese in der Klassik bislang wenig hinterfragte, mitunter gar zum Mythos der allwissenden Altdirigenten verklärte Praxis, will man am Konzerthaus nicht ohne weiteres fortspinnen. Deshalb ist das Lebensalter bei Eschenbachs Amtseinführung immer wieder Thema.

Seine Neugier wird gepriesen, sein Ausspruch zitiert, er wolle auch mit 100 noch dirigieren, weil er auf neue Erkenntnisse mit 99 hoffe. Kultursenator Klaus Lederer verweist auf die Absurdität von Altersgrenzen, schiebt aber gleich nach, dass vor allem junge Dirigentinnen gefördert werden müssten. Ein großer Förderer ist Eschenbach immer gewesen, ein Ermunterer für Junge, ihren eigenen Weg in der Musik zu finden. Vielleicht kann sein Berliner Engagement auch Impulse dazu geben, wie man Erfahrungen und Ideen noch umfassender teilen kann, über Generationen hinweg. Zu Beginn der ersten Probenwoche hat er seinem neuen Orchester jedenfalls eine gute Zusammenarbeit gewünscht und sich gleich darauf korrigiert: Es handele sich mehr um eine „Zusammenfreude“.

Das spiegelt die Stimmung im Orchester ganz gut wieder, das ja mit Vorgänger Iván Fischer bereits einen Herzenskandidaten an den Gendarmenmarkt gelockt hatte. Der feinsinnige Ungar bleibt dem Haus als Ehrendirigent auf Lebenszeit verbunden, doch spürt man, was das Orchester unter ihm wohl vermisst hat: das Loslassen, das unbedingte Vertrauen, dass Solisten über sich hinauswachsen können und ihre Kollegen dabei mitreißen. Das erhofft sich das Konzerthausorchester nun von Eschenbach, mit ihm will es noch heller glänzen können im Konzert der Berliner Klangkörper.

Wer so ehrgeizige Ziele verfolgt, wird kaum darauf verfallen, einen leisen Saisonauftakt anzustimmen. Und tatsächlich lässt Eschenbachs Antrittskonzert das Konzerthaus in seinen Grundfesten erzittern, wenn Gustav Mahlers 8. Symphonie für zwei gemischte Chöre (angereist aus Tschechien und der Slowakei), einen Knabenchor (dem Staats- und Domchor Berlin), acht Gesangssolisten sowie dem riesig dimensionierten Konzerthausorchester Fahrt aufnimmt.

Die musikalische Architektonik ächzt

In seiner nicht nur materiellen, sondern auch ideellen Grenzenlosigkeit hat das zur Uraufführung 1910 als „Symphonie der Tausend“ gepriesene Werk immer wieder zu Missverständnissen verleitet. Vom mittelalterlichen Pfingst-Hymnus „Veni creator spiritus“ bis zur Schlussszene von Goethes „Faust II“ versucht Mahler einen letzten gewaltigen Brückenschlag der Liebe, bevor sein Abgesang auf das Leben beginnt. Unter der Anstrengung, Hunderte Aufführende und Tausende Zuhörende ins ewige Licht zu führen, ächzt die Architektonik der Achten, droht das unwiderstehlich zarte Zweifeln im Affirmativen unterzugehen. Eschenbach weiß um dieses Dilemma, doch auch er kann sich der Steigerungsdramatugie im eröffnenden Hymnus nicht entziehen. Er dirigiert demonstrativ kraftvoll, als wolle er keinerlei Spekulationen um seine Fitness aufkommen lassen. Doch die Klangmasse überschreitet das Absorptionsvermögen des Saals schnell.

Es mag enttäuschen, dass Eschenbach mit seiner Erfahrung so widerstandslos in diese Falle tappt. Doch der neue Chef will auftreten als jemand, der nicht alles besser weiß, der zuhören und anregen kann. Dazu hat er sich nicht das richtige Werk ausgesucht, muss man hier einwenden. Denn Mahlers Achte fordert den kühlen Klangstrategen stärker als den verzückten Entdecker musikalischer Schönheiten. Mehr von Eschenbach und seiner Kunst hätte zum Beispiel Haydns „Schöpfung“ verraten, gar kombiniert mit einer modernen Partitur, für die der Neue so eloquent zu werden versteht.

Im zweiten Teil, in dem es auch klingende Stille gibt und einen von ganz unten emporwachsenden Klangkosmos, lässt sich erahnen, was Eschenbach am Gendarmenmarkt vorschwebt: beherzte Orchestersoli, keine Furcht vor Spannungsabfall in leisen Passagen, Großzügigkeit. Davon können die mitunter verloren wirkenden Gesangssolisten und das Orchester nicht zu jedem Zeitpunkt profitieren. Manche Klangentdeckung steht noch blankgewienert und isoliert herum wie Mahlers berühmte Harfenläufe, die hinüberführen in eine andere Welt.

Diese auch mit dem Konzerthausorchester zu erreichen, dazu hat Eschenbach jetzt drei Jahre Zeit. Das Berliner Publikum kann ihm bereits am heutigen Sonntag näher kennenlernen: Ab 11.30 Uhr lädt das Konzerthaus zu einem kostenlosen Willkommenstag mit Film, Konzert und Proben.

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