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Kuscheln mit der Kamera. Björk, Los Angeles 1994.

© Anton Corbijn/Schirmer/Mosel/C/O-Galerie

Anton Corbijn: Ausstellung in Berlin: Stillleben mit Stars

Süßer Vogel Jugend: Die grandiose Retrospektive des Pop-Fotografen Anton Corbijn bei C/O Berlin.

Wie jung ich einmal war, wie schön! Das sagen Künstler, in die Jahre gekommen, bisweilen in der Erinnerung an alte Bilder von ihnen und frühe Rollen. Marianne Faithful, Edith Clever, Herbert Grönemeyer haben das wie manch andere geäußert, manche sagen auch: Wie jung und dumm! Schön dumm? Oder Junggenie?

Heinrich von Kleist hat Schauspieler einmal die „Schneebildhauer“ genannt. Bei den Fotografen ist es anders, ihre Bilder von Menschen bleiben, wenn auch die Menschen und ihre Rollen längst zeronnen, vergangen sind. Bei Porträts, so meinte Siegfried Kracauer, einer der frühen Theoretiker der Medien Film und Fotografie, bei fotografischen Porträts sei die Geschichte des abgebildeten Menschen wie unter einer Schneedecke verborgen. Das war der Zweifel am angeblich wahren oder gar „enthüllenden“ Abbild. Doch gehören die Bilder auch ihrerseits zur Geschichte eines Menschen – als angehaltene Zeit. Als jeweils unwiederbringlicher Moment.

Corbijn arbeitet fast nur schwarz-weiß und bis heute meist analog auf Film

Fotos zu Lebzeiten sind immer buchstäblich: Stillleben. Nature morte. Kein Wunder, dass Fotografen bei Naturvölkern als Magier galten. Die Indigenen hatten Angst, durch das „geschossene“ Bild tatsächlich (oder zumindest symbolisch) getötet zu werden. Dass noch jedes Selfie heute auch ein Memento mori bedeutet und diese Flut der eigenen Bilder vom Strom der unaufhaltsamen Zeit allemal überholt und begraben wird, daran denkt kaum einer. Aber falls Jahre später eine der vergangenen Momentaufnahmen noch mal auftaucht aus dem digitalen Orbit, dann mag man das Bild angesichts veränderter Realitäten auch fragen: War ich das überhaupt ganz selbst? So wird ausgerechnet das Selfie zum Selbstzweifel, zur Frage der Identität. Ich war ein anderer.

Anton Corbijn ist in der großen Retrospektive seiner Künstlerporträts, die ihm das Fotoforum C/O Berlin zum 60. Geburtstag gerade widmet, auch etwa halb so alt auf einem Londoner Selbstbild von 1987 zu sehen: in Schwarz-Weiß, Corbijn arbeitet fast nur schwarz-weiß und bis heute meist analog auf Film, das eigene junge Gesicht ist dabei wie malerisch verwischt vor einem schwarzen Tuschpinselrahmen, so, als wär’s nur ein markierter Kontaktabzug – der Schriftzug „Anton“ hinter seinem Kopf ist halb durchgestrichen. Ausgestrichen der eigene Vorname. Wie die Vorwegnahme der Zweifelsfrage: Bin ich das noch?

Nostalgische Gefühle befallen wohl fast jeden etwas älteren Bildbetrachter

Bevor Anton Corbijn in Berlin bei C/O zur Pressevorstellung aufs Podium tritt, ist er allein durch die noch menschenleeren Räume seiner Ausstellung gegangen. Mit dem Blick eines (kritisch? zufrieden?) verwunderten Besuchers – das war, mit all den hier abgelichteten Rock- und Popstars, mein Leben? Meine eigene Jugend auch? Sweet bird of youth, süßer, bittersüßer Vogel. Gleich darauf spricht ihn, den langen Schlaks in einem grauen Schüleranzug mit Hochwasserhosen und ebenso grauen, dünner gewordenen Haaren, ein noch älterer Herr auf Englisch an. Er hält dem weltberühmten Fotografen sein Smartphone hin mit eigenen Bildern und sagt, die haben wir „in meinem Atelier“ gemacht.

Corbijn stutzt kurz, erkennt sich dann offenbar selbst und lacht: „Oh yeah, these pictures were taken for my passport. Thank you, I never looked better!“

Wie alle bedeutenden Fotoausstellungen ist die von Corbijn mit ihren fast 600 Bildern eine grandiose Zeitreise. Nur das körnige, kräftige, oft fast schmutzige Schwarz-Weiß und das irgendwie sonnenlose, herbstzeitlose Niederländerlicht, das der Holländer Corbijn selbst am Strand von Malibu mit der jungen Nina Hagen und ein paar nackten Girls schafft, wirkt dabei der schieren, im Nachhinein nur zu gerne weichzeichnenden Nostalgie entgegen. Schafft auch: eine überzeitliche Objektivität, trotz aller Subjektivität und gar Intimität der Porträtierten.

Nostalgische Gefühle befallen wohl fast jeden etwas älteren Bildbetrachter. Es ist der Rock ’n’ Roll, die Blütezeit des Pop, die Jugend der Roaring Sixties ff., seit Corbijn in Holland Anfang der 1970er Jahre Musiker zu fotografieren begann, dann nach London und New York ging und den Rausch, den Beat, die drogen- und sexgeladene Atmo aufnahm: nicht im Studio, meist draußen, unter Brücken, in Kneipen, vor und nach Konzerten.

Corbijn hat Plattencover für U2, Nick Cave, Herbert Grönemeyer, R.E.M. oder Depeche Mode gemacht

Aber obwohl Corbijn Plattencover für U2, Nick Cave, Herbert Grönemeyer, R.E.M. oder Depeche Mode gemacht hat, ist das keine Werbefotografie. Man sieht, unter spielerischen Titeln wie „Famouz“, sofort den Unterschied: das ebenso berechnet wie intuitiv Zwielichtige, Selbstironische, Ungewaschene, Miterlebte, das aus Anton Corbijns Fotos spricht, singt, mit angehaltenem Atem auch schreit. Oder etwa in dem berühmten, porennahen, weißglutäugigen Porträt von Miles Davis sehr suggestiv schweigt.

Lauter Stars, doch kaum Starfotos (außer vielleicht die Robotermasken der unpersönlichen vier von Kraftwerk: als ikonenhafte Selbstinszenierung). Ansonsten gilt: Die Fotos sind die Stars. Und die darauf Abgelichteten, die als Stars an sich nie mit ihrer Vergänglichkeit kokettieren – Ausnahmen wie die lustvoll Verwitternden à la Keith Richard oder Tom Waits bestätigen die Regel –, sie treten manchmal als Zombies auf oder spielen hier wie Nirvana, in Stills aus einem Corbijn-Video von 1993, auf einem künstlichen Friedhof. Vor einem Kreuz mit falschen Krähen und synthetischen Blumen.

Die Jüngeren staunen. In einer Welt der Farbbilder so viel Farbe in Schwarz-Weiß! Doch einmal hält Tom Waits wie in falscher Farbe eine rote Spielzeugpistole: als hübscher Witz. Fotos handeln von nichts als Licht und Schatten, gerade die Menschenbilder. In bläulichem Duoton hat Corbijn nur seine nachgemacht falschen, das Genre und seine eigenen Protagonisten (wie den nackten Lars von Trier als Gartenarbeiter) satirisch spiegelnden Paparazzi-Bilder produziert. Oder die Fehlfarbserie „a.somebody“, in der „a.“ alias Anton wie eine Cindy Sherman tote Stars (Presley, Lennon, Corbain) in deren Maske als Wiedergänger liebevoll nachstellt. Sich und ihnen nachstellt, als doppelt falscher Paparazzo.

Davon erzählen auch, mit noch viel mehr wunderbaren Bildern und informativen Texten, die beiden Prachtbände: Anton Corbijn, „Hollands Deep“, erschienen im Schirmer/Mosel Verlag (240 Seiten, 49,80 €) und von Wim van Sinderen herausgegeben „Anton Corbijn 1-2-3-4“ im Prestel Verlag (325 Seiten, 69 €). Lesen. Sehen.
Anton Corbijn bei C/O Berlin im Amerika Haus, Hardenbergstraße 22–24, täglich 11–20 Uhr, bis 31. Januar.

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