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Gefährliches Ritual. Teilnehmer der antiisraelischen „Al-Quds-Demonstration“ im August in Berlin.

© dpa

Antisemitismus in muslimischen Communities: So tief sitzt der Hass

Der Antisemitismus in muslimischen Communities wird unterschätzt, meint unser Gastautor Ahmad Mansour. Gerade unter arabischen Jugendlichen sind solche Ressentiments weiter verbreitet, als sich die deutsche Gesellschaft eingestehen mag. Und ihre Rezepte dagegen sind wirkungslos.

Ich bin Palästinenser aus Israel. Das bedeutet: Seit ich auf der Welt bin, begegnet mir der Hass auf die Besetzer, die Juden. Wie immens dieser Hass unter den Arabern ist, zeigte sich mir im Januar 1991. In einem kleinen Vorort von Tel Aviv kauerte ich mit meinen Eltern und Geschwistern in dem von meinem Vater mit Plastikfolien und Brettern zum Schutzraum umfunktionierten Zimmer unseres Hauses. Das ganze Land fürchtete einen Gasangriff der Iraker. Wie alle Nachbarn, ob Muslime oder Juden, hatten wir uns mit reichlich Vorräten eingedeckt, um auf einen längeren Krieg vorbereitet zu sein. Angst und Anspannung lagen in der Luft.

Und dann heulten die Sirenen. Wir hörten die Explosionen von Bomben. Nie in meinem Leben hatte ich solche Angst wie an diesem Tag. In der Stille danach sah ich die bangen Blicke meiner zwei kleinen Brüder hinter den großen Gläsern ihrer Gasmasken. Plötzlich ertönten laute Schreie. Ich war 14 Jahre alt, und ich stellte mir vor: So hört sich das Sterben an, der Tod. Minuten später wurde das Schreien deutlich. Es ist nicht der Tod – es ist Jubel! Die Freude darüber, dass ein arabisches Land es geschafft hat, Israel anzugreifen. Unsere Nachbarn tanzten auf den Dächern, sie jubelten „Allah’hu akbar“ – Gott ist groß – und waren ganz außer sich.

Das konnte ich kaum fassen: Wir hatten doch alle Angst, ob palästinensische oder arabische Israelis. Wir waren doch alle bedroht worden. Woher kam so viel Hass? Nach diesem Tag beschloss ich, dass ich verstehen wollte, was Menschen so auseinanderdividiert, wie es sein kann, dass das Leid der Anderen ignoriert, sogar gefeiert wird. Deshalb studierte ich später Psychologie an der Universität von Tel Aviv, auf Hebräisch, das hatte ich seit der 3. Klasse gelernt. Viele jüdische Mitstudenten und Professoren zählten zu meinen Unterstützern und Freunden, und viele tun das bis heute.

Heute lebe ich in Berlin, in dem Bezirk, in dem vor wenigen Tagen auf offener Straße ein Rabbiner und seine siebenjährige Tochter brutal attackiert wurden. Die Polizei geht davon aus, dass die Täter Jugendliche arabischer Herkunft waren. Ihr Hass, mit dem sie aufgewachsen sind, hat sich in dieser Tat Bahn gebrochen, wird vermutet. Und leider ist das sehr wahrscheinlich. Wer wie ich in Präventivprojekten gegen Hass und Gewalt mit arabischen Jugendlichen arbeitet, begegnet täglich den antisemitischen Ressentiments dieser Heranwachsenden. In unserer Arbeit ist uns klar: Dieser Hass ist weiter verbreitet, als die deutsche Mehrheitsgesellschaft und die Islamverbände wahrhaben wollen.

Bildergalerie: Kippa-Flashmob in Berlin

Wenn Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlins, jetzt als Reaktion auf Übergriffe gegen Juden den Rat gibt, in bestimmten Stadtteilen der Hauptstadt auf das Tragen einer Kippa zu verzichten, ist das ein Alarmsignal. Denn Juden sollten nie wieder Angst haben müssen, sich als Juden zu erkennen zu geben. Das dürfen wir als Gesellschaft nicht akzeptieren. Erst recht nicht hier in Deutschland. Hier hat man sich seit bald 70 Jahren intensiv darum bemüht, Antisemitismus zu bekämpfen. Dass aber in arabischstämmigen, türkischstämmigen, ja generell in muslimischen Gemeinschaften in Deutschland endemischer Judenhass existiert, wird kaum gesehen.

Das Wort „Jude“ ist unter Jugendlichen aus diesen Gruppen zu einem der üblichsten Schimpfworte geworden. Vorurteile, Stereotypen, Verschwörungstheorien grassieren in diesen Communities. „Juden sind dreckig, betrügerisch, geldgierig“, hört man. Und: „Sie beherrschen die Welt“ oder: „Sie sind von Allah verflucht und unsere Feinde.“ Vielen gilt als Fakt, dass Juden keine Steuern zahlen, oder dass deutsche Supermarktketten den Gaza-Krieg mitfinanziert haben sollen. Der Staat Israel erscheint ihnen als monolithischer Block. Viele wissen nicht, dass dort Araber leben. Den meisten ist unbekannt, dass es in Israel Kriegsdienstverweigerer gibt, eine starke politische Opposition, einen lebendigen Pluralismus mit vielen politischen Strömungen.

Unwissen und Fehlinformation unter den Jugendlichen haben enorme Ausmaße, und sie sind die Norm. Im Elternhaus beginnt die Entwicklung dieses Weltbildes, dort und bei Freunden hört und sieht man via Satellitenschüsseln arabische und türkische Sender. Manche verbreiten direkt Hetze gegen Israel und Juden, andere arbeiten geschickt mit Verschwörungsbildern und Unterstellungen. In so manche Moschee geschieht Ähnliches. Dazu kommt eine Erziehung, die eigenes Denken nicht fördert, in der die kleinen Jungen Paschas sind und Gewalt oft als legitimes Mittel gegen den „Ungehorsam“ von Kindern gilt.

Angesichts all dessen ist der Schulunterricht, etwa in Geschichte oder Gesellschaftskunde, wie er gegenwärtig in Deutschland praktiziert wird, gegen den Antisemitismus dieser Communities fast komplett machtlos. Er erreicht die Jugendlichen schlicht nicht. Curricula sind auf „rein deutsche“ Kinder und Jugendliche angelegt, und es ist sehr einfach für einen jungen Araber oder Türken, die Frage zu stellen: „Was habe ich, was hatten meine Eltern oder Großeltern denn mit dem Holocaust zu tun?“

Nach dem feigen, antisemitischen Überfall in Berlin wird die Politik bald reagieren. Man wird eifrig Fachtagungen organisieren, muslimische Vertreter werden behaupten, Antisemitismus habe mit ihren Communities nichts zu tun. Man wird Israel und seine Politik für den Hass verantwortlich machen, es wird heftig debattiert werden, und die heute institutionalisierte Verharmlosung wird eine große Rolle dabei spielen. Bald wird dann die Regierung mehr Gelder für Präventionsarbeit freimachen, es werden neue Jugendsozialarbeiter eingestellt. Vielleicht kommt es zu einer umstrittenen Öffentlichkeitskampagne und zu einem Projektwettbewerb, an dessen Ende wird ein Hip-Hop Lied gewinnt. Ich kann es mir vorstellen: Vier muslimische Jugendliche singen „Wir sind alle gleich Alter! Scheißegal, ob Muslim, Jude oder deutsch!“

Ob solche Schritte allerdings für die ernsthafte Bekämpfung des Antisemitismus in den betroffenen Communities von Nutzen sind, wage ich ernsthaft zu bezweifeln.

Lehrer an deutschen Schulen dürfen nicht davor zurückscheuen

Ob solche Schritte allerdings für die ernsthafte Bekämpfung des Antisemitismus in den betroffenen Communities von Nutzen sind, wage ich zu bezweifeln. Damit wird es lange nicht getan sein, will man einen wirklichen Wandel dieser gefährlichen Ressentiments erreichen. All die Jahre, während sich Beamte und Geldgeber mit Anträgen, Projektbeschreibungen und Dokumentationen „gegen rechts“ beschäftigen, hat sich der Antisemitismus unter arabischen, türkischen und muslimischen Einwohnern schleichend zu einem Alltagsphänomen entwickelt, das Juden daran hindert, in bestimmten Straßen sicher spazieren gehen zu können.

Nicht allein das Wegsehen der Mehrheitsgesellschaft lässt den Antisemitismus dieser Milieus ungehindert blühen, sondern auch ihre erschreckende Naivität. Wie kann es zum Beispiel sein, dass der Hamburger Senat mit den dort ansässigen muslimischen Verbänden feierlich einen Kooperationsvertrag schließt, der sie auf Demokratie und Grundgesetz verpflichtet, und nur eine Woche danach eine dieser Organisationen zur Teilnahme an der alljährlichen antisemitischen und antiisraelischen „Al-Quds-Demonstration“ aufruft? Busladungen muslimischer Jugendlicher fahren von Hamburg nach Berlin zu dieser Demonstration, wo „Tod Israel!“ gebrüllt und die Hisbollah bejubelt wird.

Es muss tiefgreifend umgedacht werden. Wollen wir den Antisemitismus dieser Communities bekämpfen, dann müssen sich vor allem die pädagogischen Prozesse viel klarer und gezielter an alle Schülergruppen wenden und nicht im innerdeutschen Kontext verharren. Dazu müssen vor allem die Communities selber das Problem erkennen und mutig benennen. Es muss möglich werden, dass sie sich mit dem real existierenden Antisemitismus auseinandersetzen, dass sie ihre religiös-politischen, ideologischen Inhalte ernsthaft hinterfragen. Die Empörung muslimischer Verbände über die Ereignisse in Schöneberg klang gut, versucht aber den Eindruck zu erwecken, hier handle es sich um Einzelfälle.

Lehrer an deutschen Schulen dürfen nicht, wie es bisher oft der Fall ist, davor zurückscheuen, konfliktreichen Schulstoff wie die Geschichte und Gegenwart des Nahen Ostens zu behandeln. Wirkliche Begegnungen mit jüdischen Jugendlichen oder Familien bewirken oft sehr viel, auf beiden Seiten. Doch sie finden so gut wie gar nicht statt.

Erfahrungen in der Präventionsarbeit zeigen, dass auch arabisch- und türkischstämmige Jugendliche gut erreichbar sind, wenn sie einem Holocaust-Überlebenden zuhören, ihm Fragen stellen, ihn vor sich sehen. Viele habe ich bei solchen Erlebnissen ergriffen und beeindruckt gesehen. Ebenso beim gemeinsamen Ansehen von klugen Dokumentarfilmen wie „To Die in Jerusalem“. Wenn in diesem Film die Eltern der jungen Palästinenserin, die bei einem Selbstmordattentat eine gleichaltrige Israelin getötet hat, mit den Eltern des Opfers zusammentreffen, bleibt vielen jungen Zuschauern die Spucke weg: Die beiden 18-Jährigen, Täter und Opfer, sehen sich so ähnlich wie Schwestern. Solche Erlebnisse vermitteln Wissen und Empathie. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Diese Art von Unterricht und Anschauung ist sehr selten. Doch es kann gar nicht genug davon geben.

Ahmad Mansour ist Diplompsychologe und berät die European Foundation for Democracy. Er arbeitet in verschiedenen Projekten gegen Extremismus und Radikalisierung und ist Mitglied der Arbeitsgruppe Präventionsarbeit mit Jugendlichen der Deutschen Islamkonferenz.

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