zum Hauptinhalt
Afrikanischer Outlaw. Tau (Vuyo Dabula) kehrt nach 20 Jahren heim.

© Drop-Out Cinema

Anti-Apartheid-Film „Five Fingers for Marseilles“: Schatten der Vergangenheit

Der südafrikanische Regisseur Michael Matthews behandelt in seinem Western „Five Fingers for Marseilles“ die Apartheid und ihre Nachwirkungen.

Wie im Western so üblich, wartet die Vergangenheit noch ein wenig darauf, sich der Gegenwart zu erkennen zu geben. Wenn es dann aber so weit ist – und der Löwe wieder brüllt – dann ist nichts wie vorher. Der „Löwe“, das ist Tau (Vuyo Dabula), ein Outlaw, der nach zwanzig Jahren Flucht, Gangleben und Knast in sein Heimatdorf in der südafrikanischen Steppe zurückkehrt und dort zunächst unerkannt bleibt. Als er aber Zeuge eines Gewaltakts wird, kann er nicht mehr anders und schreitet ein: Der Löwe brüllt wieder, und das Geräusch kommt nicht aus seinem Kehlkopf, sondern bricht von irgendwo draußen ins Bild, als würde der Film selbst gerade erst erwachen und einen Urschrei ausstoßen.

Es ist immer wieder die Tonspur, die „Five Fingers for Marseilles“ etwas Auratisches verleiht, auch wenn Regisseur Michael Matthews eigentlich auf Bildebene nach Höherem strebt. Der Südafrikaner unterfüttert sein Drama zwar durchaus aufwendig mit einem diskursiven Gerüst – allein der Epilog berichtet von Landnahme, kolonialer Ausbeutung und Apartheidsystem. Ansonsten sucht er aber weniger in der Westerngeschichte nach passenden erzählerischen Motiven als in der Sergio-Leone-Tradition nach ikonischen Bildern des Genres. So stehen sich häufig Männer mit Waffen gegenüber, werden im Close-up herangeholt und sprechen langsam und bedächtig ihre Sätze.

Den Überblick darüber zu behalten, wer diese Figuren jeweils sind, ist vor allem deshalb nicht so einfach, weil der Zeitsprung von 20 Jahren einen ganzen gesellschaftlichen Umbruch verschluckt hat. So muss Tau erkennen, dass die Mitglieder seiner schwarzen Jugendgang Five Fingers, die zu Beginn noch mit Zwillen aufbegehrten, in der Zwischenzeit völlig andere Menschen geworden sind: Einer ist korrupter Bürgermeister der einstigen Kolonialstadt Marseilles – die Zeit der institutionellen Rassentrennung ist vorbei –, ein anderer sein Polizeichef, ein weiterer ist Pastor geworden. Marseilles ist ethnisch gemischt, aber das Bergdorf Railway, in das die schwarze Bevölkerung einst vertrieben wurde, nachdem sie die Eisenbahn gebaut hat, ist zu einem umso verruchteren Ort geworden.

Der Sound spielt eine entscheidende Rolle

Dort regiert mit Gewalt der unheimliche Sepoko (Hamilton Dhlamini), der auch der Geist genannt wird, ein milchig-weißes Glasauge hat und zwei Pistolen, eine helle und eine dunkle. Er steht für die Vergangenheit, die eine scheinbar befreite Gesellschaft noch immer heimsucht. Wie zuletzt der australische Film „Sweet Country“ nutzt Matthews das Western-Genre, um von Kolonialismus und Rassismus zu sprechen, hier konkret von der Apartheid und ihren Nachwirkungen, also den nur oberflächlich aufgeweichten Grenzen, die doch fortwirken, zwischen schwarz und weiß, zwischen oben und unten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Ein wenig ächzt der Film unter dem Kraftakt, das alles in einen genuinen Western zu packen, auch weil Matthews sich nicht mit voller Kraft ins Leone-Pathos stürzen, sich andererseits aber auch nicht mit Dreck besudeln will. Deshalb bleibt „Five Fingers for Marseilles“ ein bisschen clean und steif. Und die epische Langsamkeit macht die Bilder manchmal eher behäbig, als sie mit der Bedeutung aufzuladen, nach der sie lechzen.

Nur Sepoko verleiht dem Film immer wieder ein wenig Intensität, und auch hier spielt der Sound eine entscheidende Rolle: Wenn der „Geist“ mit gravitätischer Stimme erzählt, wie die Mutter während seiner Geburt vom Blitz getroffen wurde und er sich selbst aus ihrem Körper befreien musste, dann erfahren die mystischen Landschaftsaufnahmen endlich ihre Resonanz in einer ebenso mystischen Erzählung.

Der Film läuft in der Freilichtbühne Weißensee

Till Kadritzke

Zur Startseite