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Gutes Sitzfleisch. Das beherzte Garderobierenpaar, gespielt von Barbara Schöne und Holger Franke, will sich vom Theater am Ku'damm nicht vertreiben lassen.

© Ingo Schneider

Anti-Abriss-Revue „Das Wunder vom Ku’damm“: Himmel hilf!

Altstars und Agitprop: „Das Wunder vom Ku’damm“ erzählt vom bevorstehenden Abriss der Bühnen am Kurfürstendamm. Und imaginiert deren Rettung durch höhere Mächte.

Also, die Ufos haben sie im „Wunder vom Ku’damm“ gut hinbekommen. Ganz ohne Spezialeffekte. Einfach ein paar Blechlampenschirme auf die dunkle Bühne abgesenkt und mit einer blinkenden LED-Leuchtbordüre umwickelt. Dazu noch ein kleines ferngesteuertes Leuchtobjekt über die Bühne surren lassen. Fertig ist die Theaterillusion. Und die Ufos sind bei einem Stück, das mit Motiven des Science-Fiction-Märchens „Das Wunder der 8. Straße“ arbeitet, schon ein ziemlicher Knackpunkt.

Der wunderschöne, zuckersüße Klassiker aus den Achtzigern verfügt nämlich über die niedlichsten und nettesten Kino-Ufos überhaupt. Die reparierwütigen Aliens retten die disparate Hausgemeinschaft eines von Investorengier und Abrissbirne bedrohten New Yorker Altbaus vor der drohenden Heimatlosigkeit. Ein Happy End, das im Falle der Berliner Ku’dammbühnen leider nicht zu erwarten steht. Theater und Komödie am Kurfürstendamm werden im Sommer abgerissen.

Außerirdische, fiese Investoren und verkannte Regiegenies

Umso schöner, dass die Berliner Theatermacher Santinis Production, die die Bühnen in den letzten Jahren regelmäßig für Gastspiele mieteten, nun bis Mai mit einem „Abrissfestival“ ihren heiter-wütenden Protest erklären. Und den ein wenig angestaubten Theatern kurz vor Ultimo noch ein hippes Image bescheren. Eine Integrationsleistung, die am Premierenabend zu einem reizvollen Publikumsmix führt. Hier die Wilmersdorfer Witwen im Nerz, dort die Ballhaus-Naunynstraßen-Anhänger im Hoodie und „Promis“ wie Schauspielerin Anouschka Renzi und Neuköllner-Oper-Chef Bernhard Glocksin im selben Gestühl. Ach, könnte es im Boulevardtheater doch immer so sein!

Davon träumen offensichtlich auch die Autoren Patrick Wildermann und Gian-Philip Andreas. Sie haben das „Wunder vom Ku’damm“ als kuscheligen Anti-Abriss-Liederabend mit überschaubarer Theater-im-Theater-Rahmenhandlung angelegt. Die Titelrollen des alten Garderobierenpaars Nele und Frank spielen zwei Berliner Bühnentiere: Entertainerin Barbara Schöne und „Rote Grütze“-Gründer Holger Franke. Sie bekommen es außer mit Außerirdischen und dem Handlanger des fiesen Investors auch noch mit einem verkanntem Regiegenie (Patrick von Blume) zu tun. Der will mit einer Schauspielerin (Luise Schnittert) ein One-Woman-Musical über Rudi Dutschkes in den Schatten der Geschichte gedrängte Schwester Gaby aufführen. Womit auch gleich noch das anhängige Gedenkjahr „Fünfzig Jahre Studentenrevolte“ in die grob zusammengenagelte Kokolores-Revue integriert wäre.

Immer wieder blitzen lustige Einfälle auf

Die rechte Hälfte der sparsam bemöbelten Bühne dominiert Nikko Weidemann mit seinem Instrumentenpark. Der Mann mit der glitzernden Augenklappe hat eine lange Karriere als Indiemusiker hinter sich. Und der hier neben allfälligen Berliner Liedern von Lincke, Hollaender, Kollo und Ton Steine Scherben erklingende Song „Ich seh Monster“ ist noch gut von seinem Solo „Schöne Schmerzen“ (2010) in Erinnerung. Natürlich erklingt auch der hypnotische Titelsong „Zu Asche, zu Staub“, den er für die Fernsehserie „Babylon Berlin“ geschrieben hat. Der passt ja wie verrückt zum Abrissthema, auch wenn die krause Ensembledarbietung der Nummer jeden Nimbus austreibt.

Überirdische schauspielerische oder sängerische Leistungen sind generell keine zu verzeichnen. Die Alten machen ihre Sache aber besser als die Jungen. Haben im Kinofilm die süßen Ufos gerührt, sind es hier die süßen Alten, die unter Artenschutz gehören. Und auch wenn sich das nur zweimal 45 Minuten kurze „Wunder vom Ku’damm“ anschaut, als hätten Außerirdische möglichst zuverlässig Applaus auslösende Antipathien, Berlinensia und Theateranekdoten verrührt, blitzen immer wieder lustige Einfälle auf.

Von der Decke donnert die Stimme des Kabarettisten Josef Hader

Etwa den, dass die tüdelige Nele den „Entmieter“ des Investors in Sebastian Schwabs Inszenierung hartnäckig für Harald Juhnke hält. Und den, das Ufo-Mutterschiff, das am Ende als Deus ex Machina fungiert, mit der österreichisch von der Decke donnernden Stimme des Kabarettisten Josef Hader auszustatten. O-Ton: „Auf unserem Planeten reißt man marode Scheißhäuser ab, aber keine hundert Jahre alten Theater!“ Auch heiligt das Anliegen, den Abriss der Ku’dammbühnen als kulturlos zu geißeln, manches unausgereifte Mittel.

Doch ein künstlerisch zwingendes Argument für eine Rettung durch höhere Mächte liefert „Das Wunder vom Ku’damm“ nicht. Diese Art von Theatermagie muss jetzt die nächste Inszenierung des „Abrissfestivals“ schaffen: John Osbornes „Der Entertainer“ mit Peter Lohmeyer in der Titelrolle.

Theater am Kurfürstendamm, weitere Vorstellungen bis 6. Mai

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