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Himmlisch und irdisch. Das Quartett mit Django Bates, Anouar Brahem, Dave Holland und Nasheet Waits (von links).

© Peter Adamik

Anouar Brahem in Berlin: Im Kosmos der Knickhalslaute

"Blue Maquams": Der Oud-Spieler Anouar Brahem im Pierre-Boulez-Saal.

Von Gregor Dotzauer

Seine Musik schwebt nicht nur zwischen den Welten von Orient und Okzident, auf ihre träumerische Art kommt sie von weit außerhalb. Der Tunesier Anouar Brahem schreibt betörend einfache Melodien, die jedem zufallen könnten. Doch erst in der selbstvergessenen Art, in der er sie auf seiner Oud artikuliert, sinken sie aus ihren schwerelosen Himmeln in erdenschwere Ostinati hinab, die seinen Ensembles die Gelegenheit zur Improvisation verschaffen, bevor sie in den Äther zurückkehren.

Brahems Musik verschwimmt in äußerster Klarheit: mal in folkloristischen Zusammenhängen, mal im Jazzkontext, ohne ihre entschiedene Unentschiedenheit aufzugeben. „Blue Maquams“, das 2017 bei ECM erschienene Album, mit dem er jetzt in den Boulez-Saal kam, nähert sich dem Jazz. Und mit dem Kontrabassisten Dave Holland, dem Schlagzeuger Jack DeJohnette und dem Pianisten Django Bates versammelt er Weltklassemusiker um sich, deren Sound auf Anhieb erkennbar ist und doch nur eine Farbe innerhalb der Gruppe bildet.

Für die derzeitige Europatournee ersetzt Nasheet Waits DeJohnette mit einem ebenso perkussiven Ansatz. Mallets – Stöcke mit einem Klöppel – huschen über Toms und Snare, deren Teppich über weite Strecken unbenutzt bleibt. Jedes einzelne Ping auf dem Becken wird zum Ereignis. Nur selten gibt Waits seine Zurückhaltung auf, und die Band gönnt sich eine ekstatische Versuchung. Auch Django Bates, zu kraftvollem, alles aufsprengendem Einsatz begabt, tuscht seine arabisch mäandernden Linien überwiegend mit raffinierter Zartheit ins Ganze. Unter seinen Fingern wird der Flügel zur Qanun, der orientalischen Kastenzither, oder der Santur, dem persischen Hackbrett, während Dave Holland in der ihm eigenen seelenvollen Ruhe Brahems stets leicht verhallte Linien im Unisono verdoppelt, ihnen Kontrapunktisches entgegensetzt oder zu einem raren Solo ausholt.

Das alles, aus arabischen Maquamit, festen Skalen wie im indischen Raga gewonnen, ist von einer Erlesenheit, die – besonders, wenn Brahem mit sonorem Bariton einstimmt – direkt ans Herz greift. Sie hat ihren Preis aber auch in einer gewissen Gleichförmigkeit – und gelangt über die Qualitäten des Albums nirgends hinaus. Parallel trat übrigens der tunesische Oud-Spieler Dhafer Youssef im Kammermusiksaal auf. Anders als Brahem, der am Konservatorium von Tunis studiert hat, ist er Autodidakt und versteht sich als Jazzmusiker. Was wäre das, hätte man sie an einem Ort vereinen können, für ein Gipfeltreffen gewesen.

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