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Anni und Josef Albers, aufgenommen 1925 im Garten des Bauhauses.

© The Josef and Anni Albers Foundation/Artists Rights Society/New York/Adagp, Paris 2021

Anni und Josef Albers im Musée D’Art Moderne de Paris: Große Kunst, große Liebe

Anni und Josef Albers lernten sich am Bauhaus kennen. Später emigrierten sie in die USA. Jetzt wird das Künstlerpaar erstmals in einer grandiosen Schau in Paris gefeiert.

Es war wohl auch ein wenig deutsche Gründlichkeit dabei. Zweitausend Ölbilder umfasst seine „Homage to the Square“, zweitausend pulsierende, vibrierende oder auch still-meditative Gemälde. Dazu unzählige Studien. Um das Jahr 1950 beginnt Josef Albers seinen Tauchgang in das tiefe Meer der „Interaction of Color“, und darin bleibt er bis zu seinem Tod 1976.

Er war ein Geistesverwandter des Italieners Giorgio Morandi – der malte ein Leben lang Stillleben, Flaschen, Schalen, Vasen. Der Japaner Hokusai kam nicht los von den endlosen Ansichten des Berges Fuji. Es gibt Sujets, die ihre Künstler gefunden haben ein für allemal.

Anni Albers hatte eine Einzelausstellung am MoMa in New York

Zur gleichen Zeit, als seine Passion für das Quadrat Form und Gestalt annimmt, tritt Josef Albers den Posten des Präsidenten der neuen Design-Abteilung der Yale University Art School an. Er hat einen krachenden Auftritt. Albers fragt die Studenten zu Beginn, wer „Kunst“ machen wolle. Die den Finger heben, fliegen aus der Klasse. Den Verbliebenen erklärt er, hier werde „gearbeitet“.

Anni Albers bekommt 1949 unter dem Titel „Textiles“ eine Einzelausstellung am Museum of Modern Art in New York.

Das hat Josef Albers nicht geschafft. Die Schau tourt mehrere Jahre durch die USA und macht sie als Designerin berühmt. Anni Albers, seit 1925 mit Josef verheiratet, unterrichtet ebenfalls in Yale. 1953 ist sie zum ersten Mal für einige Monate von ihrem Mann getrennt, der an die Universität Lima in Peru eingeladen ist, wo er den deutschen Designer Max Bill trifft, man kennt sich vom Bauhaus. Anni und Josef schreiben einander täglich.

„L’art et la vie – Anni et Josef Albers“: Das Musée d’Art Moderne präsentiert in einer grandiosen Schau dieses in jeder Hinsicht exzeptionelle Künstlerpaar. Dass eine solche Doppelausstellung jetzt überhaupt zum ersten Mal zustande kommt, und nicht in Berlin, sondern in Paris, ist erstaunlich.

Es müsste sich dafür schon ein größerer Ausstellungsort hierzulande finden, das Josef Albers Museum Quadrat Bottrop, wo der Quadratmaler geboren wurde, ist dafür wohl zu klein. Es wäre ein Fall für die Neue Nationalgalerie, den rundum renovierten Mies van der Rohe-Bau. Auch Mies hat in den USA eine gewaltige Karriere gebaut.

[Musée D’Art Moderne de Paris, bis 9. Januar 2022]

An Anni und Josef Albers hängt so viel deutsche Geschichte und Kunstgeschichte. Und es gibt wenig Künstlerpaare, zumal in dieser historischen Spanne, die einander derart respektierten, förderten und liebten – und deren Loyalität und Treue keinen der beiden behinderte.

Es existieren formale, aber keine qualitativen Unterschiede. Die Verbindung war, so weit man es wissen kann, kein Martyrium, wie es Frida Kahlo mit Diego Rivera durchmachte, und kein Horror wie bei Unica Zürn und Hans Bellmer. Christo und Jeanne-Claude waren später konsequent in der Außendarstellung ihrer gemeinsamen abenteuerlichen Arbeit. Sie prägten ein Markenzeichen, ähnlich wie Gilbert & George.

Eines der letzten Bilder aus der Serie „Homage to the square“, gemalt von Josef Albers 1976 (Ausschnitt).
Eines der letzten Bilder aus der Serie „Homage to the square“, gemalt von Josef Albers 1976 (Ausschnitt).

© Abb: The Josef and Anni Albers Foundation/Artists Rights Society /ARS), New York/Adagp, Paris 2021

Anni und Josef Albers haben die Höhen und Tiefen am Bauhaus erlebt. Annelise Elsa Frieda Fleischmann, 1899 in Berlin geboren, wurde nicht für den Glas-Workshop angenommen, den ihr späterer Mann Josef Albers in Dessau leitete. Sie lernte die Webkunst, gegen ihren Willen. Das Bauhaus wies den Frauen traditionelle Rollen zu, jüngst auch ein spannungsreicher Filmstoff.

Anni Albers, wie sich später nannte, blieb lange am Webstuhl und schuf textile Bilder von einer Kraft und Klarheit, die ohne Beispiel ist. Anni Albers emanzipierte sich über eine uralte Kulturtechnik, die sie dann auch auf Reisen in Mexiko studierte.

Dass Kunst und Handwerk einander bedingen und zusammengehören, dass die gern vorgenommene Unterscheidung von hoher Kunst und praktischem Kunsthandwerk grundfalsch ist, das demonstriert die Albers-Retrospektive in Paris in einem großen, eleganten Schwung. Teppiche und Möbel, Holz und Glas, Papier und Textilien, Schmuck und Geschirr – Kunst umfasst den Alltag. Und das Design bestimmt das Bewusstsein, wenn es von künstlerischer Kraft und Fantasie bestimmt ist und sich ausbreiten kann.

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Das gehörte zu den demokratischen Grundideen am Bauhaus. Die Nationalsozialisten beendeten das Experiment auf brutale Weise. 1933 flohen die Albers nach Amerika, sie folgten einem Ruf an das Black Mountain College in North Carolina. Dort lag eines der künstlerischen und intellektuellen Epizentren des 20. Jahrhunderts. Anni und Josef Albers waren mit John Cage befreundet – die Ausstellung zeigt Briefe und Fotos –, zu den Studenten gehörten Robert Rauschenberg und Cy Twombly.

Josef Albers’ Lehrtätigkeit ist hier breit dokumentiert, und es ist anrührend zu hören, einen wie starken deutschen Akzent die beiden hatten, wenn sie Englisch sprachen. Und sie blieben. 1971 wurde in Bethany, Connecticut, die Josef Albers Foundation gegründet, 1999 umbenannt in Josef and Anni Albers Foundation.

Deren Direktor Nicholas Fox Weber rief vor zwanzig Jahren im Senegal „Thread“ ins Leben, eine Künstlerresidenz. Dort kümmert man sich auch um die medizinische Versorgung und Beratung der Bevölkerung. So wird der Faden – Thread – weitergesponnen. Es ist nicht bekannt, ob Christoph Schlingensief und Francis Kéré von der afrikanischen Albers-Initiative wussten, als sie ihr Operndorf in Burkina Faso gründeten. Aber es folgt der gleichen Philosophie der Verknüpfung von Kunst und Alltag.

Anni Albers’ Webbild „Intersection“ von 1962 (Ausschnitt).
Anni Albers’ Webbild „Intersection“ von 1962 (Ausschnitt).

© The Josef and Anni Albers Foundation/Artists Rights Society/New York/Adagp, Paris 2021

Nicholas Fox Weber lernte die Kunst der Albers’ kennen, als er sich in eine Kommilitonin verliebte. Daraus wurde nichts, aber im Haus ihrer Eltern, die Albers-Sammler waren, begann eine andere intensive Beziehung. Nicholas Fox Weber kam nicht mehr los von diesen Bildern.

Auf vielerlei Art ist die Pariser Schau, kuratiert von Julia Garimorth und Sylvie Moreau-Soteras, eine Überwältigung. So viele Geschichten werden erzählt, so viele Verbindungen eröffnet. Mexikanische Adobe-Architektur taucht in Josef Albers’ Bildern immer wieder auf, er konnte die Pyramiden und Götterstatuen gar nicht genug fotografieren. „Mexiko ist wahrlich das Gelobte Land der abstrakten Kunst, sei Tausenden von Jahren“, schrieb er in einem Brief an Wassily Kandinsky.

Mexiko erlebten die Albers als eine Kultur, die von Kunst und Handwerk im praktischen Leben ganz geprägt ist. Sie spürten die Präsenz der mythologischen Überlieferung. Das mag eine idealisierende Sicht sein, aber es war eine mächtige Inspiration. Kunst durchdringt die menschliche Existenz, gibt ihr Freiheit und Würde.

Die Objekte waren so noch nie zu sehen

Sie erschlossen sich immer wieder neue Felder. In den frühen 1960er Jahren lieferte Josef Albers Illustrationen für Schallplatten-Cover, Jazz wie Klassik. Anni Albers würde schließlich zur Druckgrafik wechseln, das ging viel schneller und war variabler als die Weberei.

Eine Neigung zum Meditativen findet sich bei beiden Künstlern, das widerspricht dem Gedanken einer sublimen Alltagsästhetik aber auch nicht. Die Quadrate besitzen etwas Transzendentes, wie Mark Rothkos schwebende Farbkörper. Es ist der Rhythmus und der Reichtum, mit dem die große Pariser Albers-Schau begeistert. Und sie hat in ihrer Vielfalt, im Wechsel von einem zur anderen, doch einen Höhepunkt. Man ist darauf nicht vorbereitet. Die Objekte waren so auch noch nie zu sehen.

In einem eigenen Raum, hinter einer Trennwand und bevor es zu den mal ernsten, mal fröhlichen Quadraten geht, hängen die „Six Prayers“ von Anni Albers. Das Jüdische Museum New York gab ihr 1965 den Auftrag für ein „Memorial“ für die im Holocaust ermordeten Juden.

Anni Albers schuf in abstrakten Formen, die an Schrift gemahnen, in irdenen Farben, mit Silberfäden durchwirkt, eine Wand der Stille und Kontemplation, im Gesamten fast zwei mal drei Meter. Der Effekt lässt sich kaum beschreiben. Vor den „Six Prayers“ erfasst einen Schwindel, Trauer, aber auch etwas unfasslich Erhabenes, Musikalisches steckt in diesem Weltgewebe. Und ungeheure Arbeit.

Gegenüber hängen die Stoffe, die sie einige Jahre zuvor für die jüdische Gemeinde B’nai Israel in Rhode Island entworfen und ausgeführt hat. Ähnlich gewirkt, vielleicht ein wenig leichter zu betrachten. Aber dann doch wieder flirrt es vor den Augen, entsteht ein starker Sog. Sie sind hier zum ersten Mal in der Öffentlichkeit ausgestellt. Auch hier: das Unaussprechliche, Geistige, der dünne Faden, an dem alles hängt.

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