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Die Schriftstellerin Anne Weber, 56, am 09.03.2017 in Hamburg.

© picture alliance / Markus Scholz

"Annette, ein Heldinnenepos" von Anne Weber: Ein französisches Jahrhundertleben

Résistancekämpferin, im Einsatz für die algerische Unabhängigkeit, Ärztin: Anne Weber porträtiert in "Annette, ein Heldinnenepos" eine widerständige Frau.

Es ist dies eines dieser Bücher, die noch kurz vor dem Lockdown veröffentlicht wurden, dann dem großen anderen, dem Pandemie-Thema weichen mussten und irgendwie vom Radar verschwanden, aber doch gar nicht genug zu loben und zu feiern sind: Anne Webers Porträt und im Titel sogenanntes Heldinnenepos einer 1923 im bretonischen Saint-Cast-le-Guildo geborenen Frau namens Anne Beaumanoir, die die Autorin hier, es soll ja auch ein bisschen romanhaft sein, Annette nennt.

Das Buch basiert auf Begegnungen und Gesprächen mit der heute 96 Jahre alten Frau, aber auch auf deren eigenen, 2000 in Frankreich erschienenen Erinnerungen mit dem Titel "Le feu de la mémoire", die es in zwei Bänden auch auf Deutsch in dem Hamburger Verlag Contra Bass gibt. ("Wir wollen das Leben ändern")

Weber erzählt, das ist ungewöhnlich und sehr gelungen, in mal langen, mal kürzeren Versen. Diese haben ihren Rhythmus, vor allem ihren eigenen, trotz vieler willkürlich erscheinender Brechungen, erklingen hin und wieder in einem durchaus höheren Ton, sind aber nicht betont rhythmisiert, geschweige dass sie sich reimen.

Weber ist durchaus auch ironisch

Eine Art Heldin ist diese Frau, weil sie sich widersetzt, sie ungehorsam ist. Als junges Mädchen schließt sie sich der Résistance an, kämpft gegen die deutschen Besatzer, rettet drei jüdische Kinder und Jugendliche Und sie widersetzt sich auch dann, als sie nach dem Krieg als Ärztin ein bürgerliches Leben in Marseille mit Mann und Kindern führt und es plötzlich zu den „algerischen Ereignissen“ kommt.

Annette wird „Kofferträgerin“ für die FLN, die nationale algerische Befreiungsfront, transportiert Geld für deren Kampf gegen den Staat und die französische Besatzung.

Schon im Zweiten Weltkrieg gerät diese junge, nur 1, 60 Meter große Heldin in Turbulenzen, ist sie ständig auf Achse, quasi wie ein Hobo, stellt sie sich die Frage nach der kommunistischen Sache, als sie als Spionin eingesetzt und später gar selbst überprüft wird.

Doch bis Mitte der sechziger Jahre geht es nicht weniger turbulent zu in ihrem Leben. Sie wird verraten und zu einer zehnjährigen Haft verurteilt, in Marseille, kann fliehen, nach Tunis, arbeitet von dort für den FLN. Nach der Unabhängigkeit Algeriens kommt sie im Sommer 1962 in das Land, sitzt in der ersten unabhängigen Regierung Algeriens, die weggeputscht wird, und schon wird es wieder brisant.

Bemerkenswert an diesem Epos ist, dass Weber sich erfolgreich wehrt, aus Anne Beaumanoir/Roger, eine überlebensgroße Heldin zu machen, ihr ein ganz hohes Lied zu singen. Weber erzählt von den Zufällen in so einem Leben, von willkürlichen Motivationen und Schwärmereien, von Annettes Drang, sich aufzuopfern und zu sterben, von Zweifeln, auch von ihrer Rolle als "Niemand", sich als solcher zu fühlen und wie gut das tun kann.

"Die Wahrheit umschließt mindestens zwei Fassungen"

Letztendlich geht es hier um eine Wahrheit, die Weber selbst, die ihre Heldin, die „wir“ gar nicht kennen, „aber Grund haben zu denken, dass sie einige Widersprüche und mindestens zwei Fassungen umschließt.“

Das ist vom Ton her, trotz dessen Höhen, oft heiter, ironisch, ungezwungen, So wird Annette, also Anne Beaumanoir beispielsweise einmal zitiert mit den Worten: "Wenn man mit sechzehn keine Überzeugungen hat...", um von der Biografin ergänzt zu werden, ...hat man gute Chancen, nie welche zu haben.".

Ab und an greift Weber von einer noch etwas höher gelegenen Erzählebene ein, schaut von ganz oben auf dieses Leben. Sie drückt auf die Stopptaste, "Pause", wirft ein "Moment mal" ein, leistet sich Abschweifungen oder wechselt in eben jenen Pluralis majestatis. Es soll hier schon leicht und spielerisch zugehen, beispielsweise wenn die Geschichte einen "Knick" macht oder es gegen Ende heißt: "Sie hat die Arbeit und sie hat die Liebe. Ist doch nicht schlecht!".(Und kurz darauf reagiert der Plusquamperfekt in den selben Formulierungen).

Passagenweise ist Anne Webers Erzählung über diese „im Innern gerade“ Frau und ewige Kämpferin auch enorm spannend, vor allem aber ist sie: klug und lehrreich und sicher eines der besten deutschsprachigen Bücher dieses seltsamen Jahres.

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