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Samantha van Wissen und Bostjan Antoncic in der „Verklärten Nacht“.

© HAU

Anne Teresa De Keersmaeker: Eine Frau und ein anderer Mann

Solo für zwei: Anne Teresa De Keersmaeker zeigt im HAU eine hinreißende tänzerische Umsetzung von Arnold Schönbergs Komposition „Verklärte Nacht“.

Von Sandra Luzina

Manchmal stimmt es eben auch: Das Männliche zieht uns hinan. Das lässt sich nun ausgerechnet im HAU 2 bestaunen, wo es oft recht queer zugeht. Die flämische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker beschert dem Berliner Publikum mit ihrer Neubearbeitung von Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht“ einen hinreißenden Abend.

De Keersmaeker ist dafür bekannt, dass sie sich intensiv mit der Musik auseinandersetzt. Zu Arnold Schönbergs 1899 entstandenem Frühwerk „Verklärte Nacht“, das von dem gleichnamigen Gedicht von Richard Dehmel inspiriert ist, hat sie schon 1995 ein Ensemblestück für ihre Compagnie Rosas geschaffen. In ihrer Neufassung als Pas de deux, die im August 2014 bei der Ruhr-Triennale uraufgeführt wurde, konzentriert sie sich nun ganz auf den dramatischen Kern: die Geschichte eines Paares, das vor einer Zerreißprobe steht. Die Frau gesteht ihrem Freund, dass sie ein Kind von einem anderen Mann erwartet, er aber verzeiht ihr, und so schreiten sie gemeinsam durch die mondhelle Nacht.

Auf leerer Bühne entfaltet sich die dramatische Paarbeziehung

De Keersmaeker lässt ihr Duett in der Stille beginnen. Sie verzichtet auf jedes Dekor – von Romantizismen keine Spur. Das Drama entfaltet sich auf der nackten Bühne, und auch der Tanz mutet anfangs geradezu nüchtern an. Samantha van Wissen in einem hellrosa Kleidchen kippt zur Seite und wird von dem Tänzer Nordine Benchorf gehalten. Dieselbe Bewegungsphrase wiederholt sich – mit einem anderen Partner. Bostjan Antoncic fängt nun die Frau auf – für einen Moment gelingt ein prekäres Gleichgewicht. Kurz weitet sich das Stück zum Trio, bei dem sich beide Männer synchron bewegen.

Schließlich stehen Antoncic und van Wissen nebeneinander, die Körper leicht abgewendet – ein unsichtbarer Riss geht durch das Paar. Das Drama ist exponiert, bevor die Musik erklingt. Nicht die ursprüngliche Version für Streichsextett ist hier zu hören, De Keersmaeker hat sich für die Fassung für Streichorchester in der Interpretation von Pierre Boulez entschieden. Der üppige Klang, bei dem die spätromantischen Einflüsse deutlich zu erkennen sind, steht im Kontrast zu den spröden Annäherungsversuchen.

Die Choreografin schildert das Drama zuerst aus der Perspektive der Frau und macht deren inneren Konflikt deutlich. Zögerlich streckt die Frau ihre Hand nach dem Mann aus und lässt sie wieder sinken. Sich hinwendend verlässt sie der Mut und sie nimmt Reißaus. Wenn sie sich endlich an den Rücken des Mannes schmiegt, hat das fast etwas Erlösendes.

Antoncic verharrte lange reglos, abwartend, wenn er aber loslegt, wirkt er umso entschlossener. Die Frau zieht es immer wieder zu Boden, er aber reißt sie empor. Und wenn sie ihn in wilder Verzweiflung anspringt und wieder abgleitet, hebt und hält er sie. Dieses Paar steht auf der Kippe, das macht die Choreografie deutlich. Der Widerstreit der Gefühle drückt sich in Hebungen aus, die die romantischen Pas-de-deux-Figuren transformieren. Hier sieht man kein harmonisches Verschmelzen, sondern ein miteinander, umeinander Ringen – und dann die ekstatische Verzückung. Bei der emotionalen Wucht von Schönbergs Musik würden andere Tänzer untergehen. Aber van Wissen und Antoncic werfen sich mit geradezu exzessiver Energie in den Kampf, vereinen und lösen sich wieder voneinander. Und wie sie sich in Spiralen auf- und abwärts schraubt, ist furios.

Vom Ideal der alles verzeihenden Liebe will die Choreografin nichts wissen. Sie lotet die emotionalen Facetten aus des Paares aus, hebt die Ambivalenzen hervor, die durch die Übergänge zwischen Hell und Dunkel noch betont werden. Der famose Bostjan Antoncic steht zum Schluss allein vor dem Publikum – er wirkt zugleich beharrlich und ein wenig skeptisch. Es ist eine Geschichte mit offenem Ausgang, die De Keersmaeker erzählt, doch auch sie zelebriert die Liebe. „Verklärte Nacht“ ist ein recht kurzes, aber auch ungemein intensives Stück.

Weitere Vorstellungen vom 17. bis 19. Dezember, jeweils 20 Uhr.

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