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Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende der Grünen.

© picture alliance/dpa

Annalena Baerbock in der Falle: Diesen Fehler werden die Grünen kaum mehr ausbügeln

Der Wahlkampf 2021 ist weder erwachsen noch aufgeklärt. Das hätte Annalena Baerbock wissen müssen. Nun dürfte es zu spät sein. Die Kolumne Spiegelstrich.

Aber was ist mit …? Dies sind die entscheidenden Worte. Aber was ist mit Hillary Clintons E-Mails; aber was ist mit dem Lebenslauf, den Zitaten. „Aber was ist mit …?“ lenkt um und ab, „Aber was ist mit …?“ ist destruktiv, mindestens verlangsamend, oft stoppend, manchmal zerstörend. Der englische Terminus klingt auch harmlos: „Whataboutism“.

Das meint: Klar, die Klimakrise ist ein wichtiges Thema unserer Zeit, aber was ist eigentlich mit (but what about) Greta Thunbergs Tonfall? Und selbst wenn die Gegenseite an dieser Stelle sauer wird und sagt, dass Thunbergs Stimme mit dem Klima nichts zu tun habe, selbst dann wurde die Debatte doch fortgeführt vom Eigentlichen.

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Als in diesen Tagen in New York die erste Anklage gegen Donald Trumps Firmen und gegen Trumps Schattenmann Allen Weisselberg erhoben wurde, wegen Steuerbetrugs, schimpfte Eric Trump, der Sohn, auf Hunter Biden, den Sohn der Gegenseite, und dessen Malerei, dessen Drogenkonsum. Amerikas Medien, klick- und quotensüchtig, hatten ein Fest, banal, irrelevant, populär.

Das Eigentliche wäre, hier in Deutschland, eine Analyse der Corona-Politik inklusive Kurskorrekturen für die nächste Legislaturperiode. Klimapolitik. Soziale Ungerechtigkeit. Künstliche Intelligenz und der Arbeitsmarkt der Zukunft. Das Eigentliche: eine Debatte über die Programme der Parteien, über den innen- und außenpolitischen Kurs des Landes.

Annalena Baerbock hätte eine Chance gehabt

Das wäre, man hat’s fast vergessen, ein erwachsener, aufgeklärter Wahlkampf. Der Wahlkampf des Jahres 2021 ist beides nicht, ist weder erwachsen noch aufgeklärt. Und genau dies hätten die Grünen wissen müssen. Dass sie den „Aber was ist mit …?“-Wahlkampf nicht erwartet haben, sich darauf nicht vorbereitet haben, ist nicht professionell, und diesen Fehler werden sie kaum mehr ausbügeln können, da die Zeit nicht reichen wird.

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Die Stimmung im Land, nach Merkel, nach Corona und wegen der Klimakrise, hätte einen Wechsel herbeiführen können. Annalena Baerbock hätte eine Chance gehabt, Kanzlerin zu werden, vielleicht sogar eine Regierungschefin wie Neuseelands Jacinda Ardern.

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Dafür aber hätte sie vorausahnen müssen, was kommen würde, und sie hätte wissen müssen, wie sie Armin Laschet angreifen kann. Sie hätte, vor der Kandidatur, Steuerzahlungen und Lebenslauf leisten beziehungsweise korrigieren müssen, um gewappnet zu sein. Hätte. Wenn ich nun Baerbocks Buch in die Hand nehme, dann würd’ ich gern Christian Schertz (Anmerkung: der auch mein Anwalt ist) und den anderen Verteidigern Baerbocks glauben, die von einer Kampagne reden.

[Mehr über die Strategie der Grünen zur Abwehr der Vorwürfe gegen Baerbock können Abonnenten von T+ hier lesen: Die Grünen schlagen hart zurück – bauschen sie die Affäre damit auf?]

Es ist aber nun einmal so, und das weiß, wer Texte verfasst, dass man beim Recherchieren manchmal Blöcke von A nach B hebt, also beispielsweise aus Wikipedia in einen Ordner oder ins Manuskript.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

Möchte man einen guten Text verfassen, beginnt jetzt die Arbeit: Aus dem, was soeben ins Manuskript gehievt wurde, erstehen neue Sätze mit eigenen Gedanken, eigenen Wörtern, eigenem Rhythmus, eigenem Sound.

Wer bloß ein Buch auf den Markt bringen will, weil’s zum Wahlkampf gehört, führt Gespräche mit einem Ghostwriter. Der Ghostwriter kopiert Absätze ins Manuskript, und weil er fertig werden will, lässt er das Zeug so stehen, schreibt nicht neu, modelliert nicht – sein Anteil vom Honorar der prominenten Wahlkämpferin sind ja bloß, sagen wir: 10.000 Euro.

Und die Prominente verschweigt den Ghostwriter geflissentlich auf dem Cover, weil dessen Name den eigenen Glanz dimmen würde.

War es so? Dann würde die Kandidatin in der Falle stecken. Die einzig stimmige Erläuterung würde sie zu einer Frau machen, die sich fulminanter darstellen will als sie ist; und eben dieses Image bekämpft sie in diesem Wahlkampf der „Aber was ist mit …?“-Ära.
Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter:@Brinkbaeumer.

Klaus Brinkbäumer

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