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Der Tempel von Ain Dara in der Region Afrin aus der Zeit der Hethiter am 29. Januar 2018 nach einem mutmaßlichen türkischen Luftangriff. Die dunklen Steine links im Bild sind noch im Originalzustand, die hellen Steine zeigen die Zerstörung der Mauern.

© AFP / Delil Souleiman

Angriff auf Hethiter-Tempel in Syrien: Dreitausend Jahre Geschichte, pulverisiert

Attacke auf das Kulturerbe: Die türkische Luftwaffe soll große Teile des syrischen Tempels von Ain Dara zerstört haben.

Die Bilder gleichen sich. Pulverisierte Steine, wo einst Skulpturen und große Steinblöcke standen. Der hethitische Tempel von Ain Dara in der umkämpften Region Afrin im Norden Syriens ist nach syrischen Angaben vor einigen Tagen zu 60 Prozent von der türkischen Luftwaffe zerstört worden. Das meldeten sowohl die syrische Antikenverwaltung DGAM und das Syrian Observatory for Human Rights in London übereinstimmend.

Der ehemalige Direktor der syrischen Antikenverwaltung und jetzige Archäologieprofessor der Universität Damaskus Maamoun Abdulkarim bestätigt diese Einschätzung. „Es war eine barbarische Zerstörung des syrischen Kulturerbes und dies erinnert uns an die Barbarei des Islamischen Staates in Palmyra. Eine Kultur von mehr als 3000 Jahren wurde ausradiert“, sagt er.

Zur Verifizierung des Schadens stehe er in Kontakt mit syrischen Archäologen in der Region Afrin. „Die Kollegen bitten darum, dass die internationalen Organisationen zum Schutz des Kulturerbes ihre Rolle spielen, um diese Angriffe gegen eine Region, die während der syrischen Krise sehr ruhig war, Einhalt zu gebieten“, sagt er. Der Distrikt Afrin hatte mehr als 500 000 Flüchtlinge aus anderen Teilen Syriens aufgenommen. „Die Angriffe der türkischen Armee richten sich gegen die Zivilisten und das Kulturerbe. Das ist eine Realität, der man ins Auge sehen muss. Leider herrscht international eine bizarre Stille.“

Ain Dara - Eingangsseite des Tempels von Südosten mit äußerem Wandelgang und der Haupthalle des Kernbaus ab den hinteren Treppenstufen (Oktober 2009). Von der Mitte an bis rechts ist alles zerstört.
Ain Dara - Eingangsseite des Tempels von Südosten mit äußerem Wandelgang und der Haupthalle des Kernbaus ab den hinteren Treppenstufen (Oktober 2009). Von der Mitte an bis rechts ist alles zerstört.

© Wikipedia/CC BY-SA 3.0

Blick auf die Tempelseite von Ain Dara rechts der Treppe. Die hellen, frischen Bruchkanten der Steine deuten auf die aktuelle Zerstörung.
Blick auf die Tempelseite von Ain Dara rechts der Treppe. Die hellen, frischen Bruchkanten der Steine deuten auf die aktuelle Zerstörung.

© AFP / Delil Souleiman

Auf einer Website der American Schools of Oriental Research (ASOR) zum Schutz des syrischen Kulturgutes sind die Schäden an dem Tempel gut dokumentiert. Die symmetrische Anlage, die von dicken, schon in der Antike zum Teil zerstörten Mauern umgeben war, auf deren Fundament prächtige Löwenreliefs zu sehen waren, ist rechts vom Eingang praktisch pulverisiert.

Der Tempel von Ain Dara stammt aus der Zeit um 1300 vor Christus und gewann an Bedeutung zur Zeit der Aramäer im ersten Jahrtausend vor Christus. „Der Bau gilt als einer der bedeutendsten und ikonischen Tempel dieser Epoche. Er ist reich verziert mit Löwenreliefs“, sagt er. Allerdings sind derzeit auch Fotos in Umlauf, die angeblich neue Schäden zeigen. Tatsächlich ist nur ein Teil des Tempels beschädigt, andere Zerstörungsspuren reichen teilweise Jahrhunderte zurück.

Die türkische Armee hat hingegen Meldungen über die Bombardierung archäologischer Stätten in Syrien dementiert. „Religiöse und kulturelle Bauten, historische Denkmäler, archäologische Relikte und gemeinnützige Einrichtungen“ gehörten „definitiv nicht zu den Zielen“, teilten die türkischen Streitkräfte am Dienstag mit. Ziel der Offensive gegen die „Volksverteidigungseinheiten“ der kurdischen YPG in der Region seien „nur Terroristen“ und ihre Verstecke und Waffenlager. Es werde „jede Art von Vorsicht und Empfindsamkeit gezeigt", um Zivilisten und der Umwelt nicht zu schaden.

Nach den Angriffen. Der Tempel von Ain Dara im Nordwesten Syriens wurde um 1300 vor Christus von den Hethitern errichtet. Links sind die berühmten Löwereliefs zu erkennen, rechts im Bild beginnen die Zerstörungen.
Nach den Angriffen. Der Tempel von Ain Dara im Nordwesten Syriens wurde um 1300 vor Christus von den Hethitern errichtet. Links sind die berühmten Löwereliefs zu erkennen, rechts im Bild beginnen die Zerstörungen.

© Delil Souleiman/AFP

Die Bilder, die am 29. Januar vor Ort aufgenommen wurden, sprechen eine andere Sprache. Da der Siedlungshügel von Tell Ain Dara sich über die fruchtbare relativ flache Region erhebt, bietet er mit seinen mächtigen Basaltbrocken, Mauern und Skulpturen mögliche Kombattanten Schutz – und macht ihn so zu einem möglichen militärischen Ziel, ein Schicksal, das viele archäologische Stätten im Nahen Osten erlitten haben, auch die einst umkämpfte Ummayyaden-Moschee von Aleppo, die dann ihr Minarett verlor. Ob sich aber Kämpfer in Ain Dara versteckt hielten, ist nicht bekannt.

Basilika von Ruweiha, 2009 im Gebiet der "Toten Städte", die im 8. Jahrhundert aufgegeben wurden. Diese Welterbestätten liegen südlich von Afrin und sind durch die Kämpfe ebenfalls gefährdet.
Basilika von Ruweiha, 2009 im Gebiet der "Toten Städte", die im 8. Jahrhundert aufgegeben wurden. Diese Welterbestätten liegen südlich von Afrin und sind durch die Kämpfe ebenfalls gefährdet.

© Bertramz/Wikipedia/CC BY-SA 3.0

Fatalerweise wurde mit dem Angriff ein Tempel der Hethiter schwer getroffen, deren Hauptreich in der heutigen Türkei lag und damit zu deren kulturellem Erbe zählt. Die Hethiter, die aus dem kaukasisch-armenischen Gebirgsland in die heutige Türkei kamen, bauten ihr Königreich um 2000 vor Christus auf. Sie beherrschten den Landstrich bis 1200 vor Christus und boten sogar den Ägyptern Paroli. Der Tempel von Ain Dera ist zwar nicht so spektakulär wie Palmyra, aber eines der bedeutendsten Relikte jener Zeit. Die syrischen Archäologen sorgen sich auch um die sogenannten „Toten Städte“ in der Nachbarschaft von Afrin, zur Zeit der Byzantiner aufgegebene Dörfer und Städte im Norden Syriens, die seit 2011 zum Unesco-Weltkulturerbe zählen. (mit dpa)

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