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Rot wie Blut, weiß wie Schnee. Ingo Hülsmann zeigt als Othello schonungslosen Körpereinsatz.

© dpa/Wolfgang Kumm

Angriff auf den Alpha-Mann: „Othello“ als Geschlechterkampf

Genüsslich ausgekostete Brüllorgien, feldherrisches Mansplaining: „Othello“ am Berliner Ensemble dreht sich um den Alpha-Mann. Rassismus ist kaum ein Thema.

Breitbeinig steht Othello zu Beginn an der Rampe. Blutüberströmt und nackt – bis auf ein Paar Soldatenstiefel. Nach einigen Sekunden nähert sich Desdemona, ganzkörperweiß geschminkt und begleitet von einem martialischen Schlagzeug-Sound, aus der Bühnentiefe zwecks Vereinigung. Sie wird mit Othellos Blut befleckt, während ihre Unschuldsfarbe gleichzeitig ein Stück weit auf seinen Körper übergeht.

Der sexuelle Akt, bei dem die wechselseitige Verfärbung stattfindet, ist nicht ganz frei von choreografischer Angestrengtheit. Dennoch handelt es sich um ein ziemlich komplexes Bild, weil der Regisseur Michael Thalheimer hier nicht nur Othellos finale Ehefrauen-Erwürgung schon mal prologisch vorwegnimmt, sondern im Grunde seine ganze „Othello“-Lesart auf den Punkt bringt.

Und die ist durchaus ungewöhnlich. Es geht nämlich nicht vorrangig um Rassismus an diesem zweistündigen Abend im Berliner Ensemble und entsprechend auch nicht um die Hautfarbe. Jedenfalls nicht um Othellos. Und auch wenn Thalheimer und sein Dramaturg Bernd Stegemann nicht alle Textstellen gestrichen haben, die sich darauf beziehen.

Sondern: Wo der erfolgreiche schwarze Feldherr bei Shakespeare von einer neid- und ressentimentzerfressenen weißen Mehrheitsgesellschaft mit Fähnrich Jago an der Spitze zum Außenseiter zurechtkonstruiert, gebrandmarkt und schließlich qua Intrige zerstört wird, unternimmt Thalheimer eine deutliche Akzentverschiebung hin zum Militärischen; und zwar als Männlichkeitszuschreibung par excellence. Er erzählt das Stück – Othello wie Jago sind ja Soldaten in unterschiedlichen Dienstgraden – gewissermaßen als Männlichkeitstragödie; als Rachedrama des zurückgesetzten Beta-Mannes am erfolgreichen Alpha-Male.

In zeitgenössischen Diskurs-Termini gesprochen, ringt hier also die viel zitierte „toxische Maskulinität“ beziehungsweise der „weiße Mann“, der in einem Programmheftbeitrag von Slavoj Žižek auch explizit behandelt wird, quasi mit sich selbst und seinem Niedergang. Und die Leidtragenden sind – in jeder Hinsicht, mithin auch in der performativen – die Frauen. Ein durchaus bekannter Topos des Thalheimer-Theaters, der hier allerdings von einer überraschenden Textinterpretation ausgeht.

Peter Moltzen als Jago, Sina Martens als Desdemona, Ingo Hülsmann als Othello und Nico Holonics als Cassio (v.l.) in Michael Thalheimers Shakespeare-Inszenierung am Berliner Ensemble.
Peter Moltzen als Jago, Sina Martens als Desdemona, Ingo Hülsmann als Othello und Nico Holonics als Cassio (v.l.) in Michael Thalheimers Shakespeare-Inszenierung am Berliner Ensemble.

© dpa/Wolfgang Kumm

Bei Shakespeare ist ja Jagos Nichtbeförderung zum Leutnant durch Chef Othello zumindest Auslöser für seine Vernichtungsintrige. Diese Vorgeschichte lässt der Regisseur genauso weg wie das Repräsentationspersonal der Republik Venedig, in der das über 400 Jahre alte Stück spielt. Herzog wie Senator haben sich gleichsam in einem weiß maskierten Graukittel-Chor aufgelöst, der unisono skandiert, was von den Ressentiments in Thalheimers gestraffter Textfassung geblieben ist. Der Wille zur Zerstörung des erfolgreichen Sozialaufsteigers Othello, der auch noch auf dem Heiratsmarkt das Siegerpodest erklimmt, ist struktureller Natur; ebenso anlass- wie gesichtslos.

Brüllorgien, Mansplaining lauter typische Männlichkeitsaffirmation

Peter Moltzen als schneidig-fieser Jago löst sich justament aus diesem Weißmasken-Chor, als der baumstarke, blutverschmierte, nackte Othello in der dezidiert selbstbewussten Gestalt von Ingo Hülsmann sich mit dem Unschuldsweiß seiner frisch angetrauten Gattin teileingefärbt hat und also für die Eifersuchtsintrige anfällig geworden ist. Und von diesem Moment an findet sich der männliche Machtkampf gnadenlos ausbuchstabiert auf Olaf Altmanns quasi-leerer Bühne. Die besteht nur aus einem hellen Parkettmusterboden nebst in die Bühnenhinterwand eingelassenem Podest für den abendfüllend aktiven Schlagzeuger (Ludwig Wandinger/Johann Gottschling).

Dafür wird der betamännliche Vernichtungsangriff auf den Alpha-Mann mit allen performativen Begleiterscheinungen ausgefochten, die solche Stellungskriege stereotypengemäß mit sich bringen – von genüsslich ausgekosteten Brüllorgien über feldherrisches Mansplaining bis hin zu sehr großzügig ausgelegten Rampen-Redezeiten.

Das Schlachtfeld bleibt die abendfüllende Metapher

Die schauspielerische Männlichkeitsaffirmation ist jedenfalls von so tadelloser Konsequenz, dass man insbesondere bei Hülsmann nicht immer genau weiß, ob er nicht längst ins Stadium der Klischee-Karikatur übergetreten ist. Passt ja auch: Der Feldherr als unbeirrbarer Supermacho, den nichts, aber auch wirklich gar nichts aus der Bahn werfen kann außer dem bloßen Gedanken an die potenzielle Untreue seiner Frau, dies dann aber eben auch vollumfänglich bis zur eigenen Existenzvernichtung. Ein Stereotyp wie aus dem Bilderbuch!

In jedem Fall bleibt, siehe Militär, das Schlachtfeld die abendfüllende Metapher: Als Othello von dem vermeintlich kompromittierenden Desdemona-Taschentuch im Besitz seines Untergebenen Cassio (Nico Holonics) erfährt, windet er sich minutenlang wie ein Schwerverletzter mit Schaum vorm Mund am Boden.

Moltzens Jago, der die Strippen angemessen kalt und minimalistisch zieht, wenn er sich nicht ausnahmsweise mal kompensatorisch zu den Schlagzeugklängen an der Rampe austobt, steht in diesem Moment neben ihm und spuckt auf ihn herab.

Die Frauen heben die Welt des "weißen Mannes" auch nicht aus den Angeln

Und die Frauen? Sina Martens’ Desdemona empfiehlt sich mit ihrem weißblonden, absichtsvoll zerzausten Wuschelkopf optisch erst mal löblich als gesellschaftliche Außenseiterin, die im Folgenden allerdings ziemlich diffus zwischen erotisch züngelnder Huren- und hingebungsvoller Heiligen-Männerfantasie schwanken muss und erst spät zu einer wirklich konturierten Figur und einem klaren, ruhigen Tonfall finden darf.

Und was Jagos Frau Emilia, die Kathrin Wehlisch mit einem hemdsärmligen Berliner Proll-Idiom ausstattet, dazu treibt, ihrem flächendeckenden Unsympathen von Ehegatten in erfolgloser Unterwürfigkeit Zärtlichkeiten abpressen zu wollen, bleibt auch ein Bühnen-Geheimnis. Entsprechend arg verspätet wirkt Desdemonas Erkenntnis, dass Männer „nun mal keine Götter“ seien, oder auch Emilias ultimative Beschimpfungsorgie der versammelten Maskulinität als Blödmänner und Idioten. Diese Frauen jedenfalls, so viel ist klar, werden die Welt des „weißen Mannes“ nicht aus ihren Machtangeln heben.

Weitere Vorstellungen am 18. und 25. April, außerdem am 2. und 3. Mai, jeweils um 19.30 Uhr

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