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Esoteriker und Aufklärer. Der Pianist András Schiff.

© Robert Ghement/dpa

András Schiff in der Philharmonie: Heiter zum Abschied

Jeder Anschlag eine Perle: Der Pianist András Schiff mit einem Brahms-Klavierabend in der Philharmonie.

Wer bei einem so vom Thema Abschied durchzogenen Konzert wie dem zweiten Brahms-Klavierabend von András Schiff in der Philharmonie Trauriges erwartet, sieht sich getäuscht. Natürlich, die „Geistervariationen“ sind Schumanns letztes Werk, und er sprang während der Komposition in den eiskalten Rhein, am Ende wartete die Nervenheilanstalt. Aber Schiff spielt das ganz bedächtig, Schritt für Schritt, jeder Anschlag eine kleine Perle, und gibt so den harmonischen Reizungen, die Clara Schumann einst für so „grässlich“ hielt, reichlich Raum zur Entfaltung. Schnell wird deutlich, dass die Schaffenskraft Schumanns keinesfalls versiegt war, dass er – lässt man das außermusikalische Drama der Entstehung dieser Variationen außen vor – selbst hier noch neue Türen aufgestoßen hat.

Schiff ermöglicht viele solcher Erkenntnisse an diesem wunderbaren Abend. Der, schifftypisch, ganz untypisch ist. Verschränkt werden die drei späten Brahms’schen Klavierstücke und Intermezzi op. 117, 118 und 119 neben Schumann auch mit Mozarts Rondo a-Moll KV 511, Bachs Präludium und Fuge h-Moll und Beethovens Es-Dur Klaviersonate „Les Adieux“. Ohne Pausen zwischen den Stücken, Schiff spielt einfach durch. Weil er das abhakende Hören hasst, das Zerhackstückeln durch Applaus. Weil er Durchlässigkeiten ermöglichen, Verbindungslinien aufzeigen will.

András lässt die Töne für sich sprechen

Das tut er auch, indem er nicht letzte Dinge aus der Musik zu meißeln sucht, sondern diskret zurücktritt, die Töne für sich sprechen lässt. Indem er lange Pausen zulässt, in denen die Klänge atmen können. Demut, die nicht mit Unterwürfigkeit zu verwechseln ist. Schiff gelingen zahlreiche Widersprüche: Esoteriker ist er und Aufklärer zugleich, griffig ist sein Anschlag und auch verweht, immer scheint er ein paar Zentimeter zu schweben und gibt sich doch geerdet.

Ein Abschied sind Bachs Präludium und Fuge h-Moll definitiv, beschließen sie doch den ersten Teil des „Wohltemperierten Klaviers“, sind mit der großen Septime denkbar weit von der Ausgangstonart C-Dur entfernt. Doch wie alles an diesem Abend sind sie auch ein Neubeginn, leitet die Fuge doch über zum zweiten Teil des Zyklus, und wahrscheinlich spielt sie Schiff auch deshalb so kristallin und heiter. Wehmütig und verletzlich, aber nicht verzweifelt legt er Brahms’ op. 119 an. Diese herrlichen Stücke würden durchaus zu Pomp einladen, eine Falle, in die Schiff nicht tritt. Bei ihm geraten sie zu Monologen oder vielmehr Selbstgesprächen, scheint es doch hier kein Gegenüber mehr zu geben.

Am Ende darf das Publikum jubeln

Spätestens jetzt hat das Publikum das Prinzip des Durchspielens raus und erschwindelt sich einen kurzen Applaus, bevor die Beethoven-Sonate mit ihren drei einen Lebewohl-Hornruf imitierenden Akkorden beginnt. Sehr weltzugewandt, fast jovial interpretiert Schiff das Hauptthema des ersten Satzes, in den er immer wieder Inseln des Zögerns mit der rechten Hand einbaut. Das Finale: eine einzige Antizipation der Rückkehr des Erzherzogs, dem die Sonate gewidmet ist. Schiff holt viel heraus aus dem Kontrast zwischen wirbelnden „Vivacissimamente“-Sechzehnteln und den glockenschlagähnlichen Vierteln, die die schnellen Läufe immer wieder unterbrechen. Unfassbar, dass er das alles auswendig spielt. Mit dem letzten Akkord beginnt das Publikum zu jubeln. Jetzt darf es ja.

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