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András Schiff

© picture alliance / dpa

András Schiff: Der zornige Priester

Ganz unter uns: András Schiff spielt Bach, Bartók, Janámek und Schumann im Kammermusiksaal.

Konzerte von András Schiff sind Hochämter. Wer sie besucht, gibt die Welt für zweieinhalb Stunden an der Garderobe ab und betritt einen Raum der Konzentration und inneren Sammlung. Der Pianist, in die Priesterrolle geschlüpft, begnügt sich schon längst nicht mehr damit, Stücke zu spielen. Vielmehr greift er tief in die Truhe seines schier unerschöpflichen Wissensschatzes – und zum Mikro, um zu erläutern, was da kommt, dabei Privates und Anekdotenhaftes mit Analyse vermengend. Vorgetragen im weichen, rollenden ungarischen Tonfall ergibt das eine Melange, deren Charme man sich nur schwer entziehen kann. Weil sie auch fein humordurchzogen ist: „Es gibt ein exzellentes Programmheft, das lesen Sie bitte. Aber nicht, während ich spiele!“

Dass der Kammermusiksaal ausverkauft ist und zusätzliche Bänke aufgestellt sind, spürt man kaum. Vom ersten Augenblick an senkt sich eine Intimität über die Reihen, wie sie vielleicht nur András Schiff herstellen kann: Wir sind hier ganz unter uns. Das Gefühl, sich in einem Konvent, einer Klausur zu befinden, befördert er noch, indem er – auswendig natürlich, der Mann hat ein phänomenales Gedächtnis – die Stücke vor und nach der Pause ohne Unterbrechung durchspielt. Applaus, so scheint es, sucht einer wie er nicht mehr. Weil dadurch nur die Aufmerksamkeit zerhackstückt wird?

Auch Meister waren mal jung. Das Capriccio B-Dur BWV 992 hat Johann Sebastian Bach mit 20 Jahren geschrieben; er verarbeitet hier mit musikalischen Mitteln die Abreise des geliebten Bruders an den schwedischen Hof. Schiff erzählt das und demonstriert gleich die trotz des traurigen Themas recht fröhlichen Motive, das Posthorn, das Pferd, die Bach teilweise in einer Fuge verarbeitet hat. Die vier Duette BWV 802 – 805 sind hingegen reife Werke, dem schnellen Verstehen genauso unzugänglich wie Beethovens späte Streichquartette. Bela Bartók wiederum, so Schiff, war ein wahrer Internationalist, der die Kultur des eigenen Volkes liebte und sich eben deshalb bereitwillig auf alles einlassen konnte, was aus dem Ausland kreativ auf ihn zuströmte. Ein klarer Seitenhieb auf den Abschottungsfanatiker Victor Orbán, dessen populistische Politik der ungarische Pianist regelmäßig kritisiert.

Differenz und Schock

Bach mit Bartók zu verschränken (mit dessen sechs Tänzen im bulgarischen Rhythmus Sz 107 und der Klaviersonate Sz 80), den barocken Großmeister mit dem Avantgardisten des 20. Jahrhunderts – das erhellt weniger Gemeinsamkeiten und Bezüge, als dass es die grellen Differenzen bloßlegt. Die Momente, in denen ein Satz von Bach endet und einer von Bartók beginnt, nimmt man schockhafter wahr als sonst. Schiff spielt virtuos, allerdings mit unerklärlicher Verbissenheit.

Was anfangs (vor allem bei Bach) noch ausgeleuchtet und transparent klingt, kippt zunehmend in eine zweifelhafte, eigentlich unnötige Grimmigkeit. Wie gemeißelt schmettert Schiff die Töne, haut in die Tasten, als wolle er sie zerbröseln. Will er mit dem Hammer philosophieren? Seine differenzierte Anschlagskunst, sein zartes Pinseln lyrischer Töne haben an diesem Abend einen schweren Stand – auch in Leoš Janáčeks Zyklus „V mlhách“ („Im Nebel“), in dem dieser um seine Tochter trauert, und in Schumanns C-Dur-Fantasie, eigentlich eine sehnsuchtsgetränkte Liebeserklärung an die abwesende Clara.

Manchmal gelingen Schiff poetische Momente, in denen sich vor dem Urgrund der linken Hand die rechte mit leuchtender Stimme abhebt. Meist aber drängt alles ins Monumentale, zu aufklärerischer, fast wissenschaftlicher Luzidität – und die verscheucht bekanntlich jedes Geheimnis. Dass der meditativen Grundstimmung des Beginns kein lyrisch-empfindsames Spiel entspricht, bleibt das große Paradoxon des Abends.

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