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Nur auf den ersten Blick ein normales Familienporträt: eines der Hauptwerke in Andreas Mühes Ausstellung „Mischpoche“.

© Christoph Soeder/dpa

Andreas Mühe in Berlin: Die Geister meiner Lieben

„Mischpoche“: Der Fotograf Andreas Mühe beschwört in einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof seine Familiengeschichte.

Und wenn es so gewesen wäre? Der Vater ein einsamer, mit leicht geöffnetem Mund fast erschrocken dreinschauender Patriarch wider Willen. Umschlottert von einem viel zu mächtigen Zweireiher mit steif zugeknöpftem Hemdkragen. Die eine Gattin eine theatralisch das Kinn in die Höhe reckende, zur Pose erstarrte Diva in schwarzer Robe. Deren Tochter eine abweisend ins Leere blickende Blondine, die dem Fotografen gerade mal ihr Profil gönnt. Die andere Gattin dagegen eine lässige Lächlerin mit abgestreiftem Schuh und feuerrotem Cocktailkleid. Sie wirkt auf diesem Familienporträt so unendlich viel fröhlicher, als man sie von Schauspielrollen kennt.

Nur, dass Ulrich Mühe, seine zweite Frau Jenny Gröllmann, ihre Tochter Anna Maria Mühe und Mühes dritte Frau Susanne Lothar niemals mit der Verwandtschaft für dieses Porträt posiert haben. Zuerst stand das von Umbrüchen in Ost und West geprägte Leben der noch weitere Künstler einschließenden Familie dagegen. Und dann der frühe Tod, der Jenny Gröllmann im Jahr 2006, Ulrich Mühe ein Jahr später und Susanne Lothar 2012 geholt hat.

Dessen Macht hat nun Andreas Mühe, der 1979 geborene Sohn aus Ulrich Mühes erster Ehe mit der Regisseurin Annegret Hahn, durch künstlerische Mittel ausgehebelt und seiner „Mischpoche“ im Hamburger Bahnhof per eigenwilliger Familienaufstellung ein Denkmal gesetzt. Den Lebenden wie den Toten, sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits.

Er will nicht die Familiengeschichte ausschlachten

Das Panoptikum abfotografierter Puppen gruselt und berührt zugleich. Und natürlich profitiert es vom Celebrity-Appeal, auch wenn der Künstler den kalkulierten Promi-Bonus beim Pressegespräch zur Eröffnung schon fast trotzig abzuwehren sucht. Ob er sich vorstellen könne, auch hier zu sitzen, wenn er Lehmann hieße und einer Bäckerfamilie entstammen würde, wird er da gefragt. „Ja, wenn ich ein guter Künstler wäre!“, antwortet Andreas Mühe so flink, als wolle er den Verdacht gleich mit vom Tisch wischen, dass einer hier die eigene, an Ruhm wie an Tragödien reiche Familiengeschichte ausschlachtet, um mit „Mischpoche“ bedruckte Schals und Shirts im Museumsshop zu verkaufen

Dass Porträtfotografie nie etwas anderes tut, als die Biografien und Gesichter anderer Menschen auszubeuten, ist ihm natürlich bewusst. Und in Wirklichkeit haben die von ihm gezeigten so ja auch nie existiert. Nur als Abbild vom Abbild des Abbilds.

In den zehn Jahren, die seit Andreas Mühes ersten Einzelausstellungen bei Camera Work in Berlin vergangen sind, hat der Spezialist für deutsche Befindlichkeiten und theatrale Inszenierungen eine steile internationale Karriere hingelegt. Als Fotograf von Rammstein wie von Helmut Kohl und Angela Merkel. Aber vor allem mit Serien wie „Schreibtische“, „Obersalzberg“, „Jagd“, „Deutscher Wald“, „Weihnachtsbäume“, die die deutsche Geschichte und romantische Mythen sezieren.

Die 2016 bis 2019 entstandene Werkserie „Mischpoche“ hat er, unterstützt von den Freunden der Nationalgalerie, für den Hamburger Bahnhof konzipiert. Die bis zur grobporigen Haut eines Familienmitglieds namens „Isolde“ erstaunlich perfekt getroffenen Imitate ließ er in London anfertigen.

Der Künstler und das Abbild: Fotograf Andreas Mühe bei der Präsentation der Ausstellung.
Der Künstler und das Abbild: Fotograf Andreas Mühe bei der Präsentation der Ausstellung.

© Christoph Soeder/dpa

Das Zentrum der auf drei Räume verteilten hundert Fotos, die auch den gelegentlich makaber wirkenden Entstehungsprozess kleinteilig dokumentieren, sind die beiden Gruppenfotos der Familien Mühe und Hahn. Und der Schauspielersohn Mühe wäre kein Meister artifizieller Licht- und Schatten-Dramaturgien, wenn die Inszenierung nicht auch schon den Raum einbezöge. Dunkelgraue Wände, Lichtkegel auf die Großformate an den gegenüberliegenden Stirnseiten. Kuschelige Auslegeware und braune Holzrahmen sollen Intimität schaffen, wo die Kamera Kühle und Abstand zeigt. „Pathos als Distanz“ – der Titel einer Mühe-Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen vor zwei Jahren drängt sich bei diesem schrecklich schönen Anblick auf.

In Komposition und Ausstattung zitiert Mühe die auf Repräsentation und bürgerliche Selbstvergewisserung ausgerichtete Tradition gemalter und fotografierter Familienbilder. Und bricht sie in der für ihn typischen Manier zugleich, in dem er im Vordergrund Kameraschienen, benutzte Bildvorlagen und eine Kamera zeigt und so den Bühnencharakter der Szenen offenlegt. Die haben in der Wohlanständigkeit, mit der bezopfte Mädchen im Dirndl am Klavier sitzen, oder dem devoten Lächeln, mit der die Gattin zu Andreas Mühes Bruder Konrad aufblickt, auch satirische Züge. Die wiedererweckten Toten sind alle um die 40, im selben Alter wie der Fotograf. Nur die Lebenden dürfen ihr wirkliches Alter im Gesicht tragen.

„Fotografie und Tod liegen nah beieinander“, benennt Andreas Mühe, was offensichtlich ist. „In dem Moment, in dem ich eine Aufnahme mache, ist er schon vergangen.“ Oder er prägt fortan als Familienfoto die Erinnerung.

Die ideologisch schwer aufgeladene "Keimzelle der Gesellschaft"

Seine eigene scheint trotz Ehescheidungen und Stasi-Querelen im Hause Mühe nicht übermäßig verschattet zu sein. Den Ausstellungstitel „Mischpoche“ will er liebevoll und unsentimental, aber keineswegs zwiespältig verstanden wissen. Die Fotografien allerdings zeichnen ein anderes Bild der durch die Jahrhunderte ideologisch schwer aufgeladenen „Keimzelle der Gesellschaft“. Wie das Verhältnis zum Vater gewesen sei? „Schauen Sie sich die Fotos an.“

Die zeigen in der Fragmentierung des allmählich entstehenden Ulrich-Mühe-Wiedergängers eine verletzliche, verschattete Schauspielikone. Gleich eingangs geht ein Kleinformat mit nacktem Schädel, dunklem Blick und Cellophan umkräuselten Hals zu Herzen. Wobei Andreas Mühes Inszenierungen eben nicht zeigen, was gewesen ist, sondern das, was nie war.

Das Kleine im Großen: Blick in die Ausstellung im Hamburger Bahnhof.
Das Kleine im Großen: Blick in die Ausstellung im Hamburger Bahnhof.

© imago images/Reiner Zensen

Das unterscheidet sie von den Pressefotos dekonstruierenden Modellbauten des Bildhauers und Fotografen Thomas Demand oder den gerade bei C/O Berlin ausgestellten Foto-Reinszenierungen des Künstlerduos Jojakim Cortis und Adrian Sonderegger. Andreas Mühes Familientableaus sind reine Fiktion und kommentieren so, wenngleich analog hergestellt, die vom Verfall dokumentarischer Beweiskraft geprägte digitale Bilderwelt.

Dass die Familie der „beste Heimathafen ist, den man haben kann“, ist für den Fotografen trotz seiner mal mit Weihnachtsbaum, mal mit Standuhr und Gummibaum dekorierten familiären Geisteraustreibung klar. „Je größer desto besser.“ Sein Vater hat dafür mit fünf Kindern aus drei Ehen ganz ordentlich gesorgt. Mühe junior beschränkt sich bislang auf zwei Eheschließungen und die Anschaffung eines ebenfalls im Bild verewigten Jagdhundes.

Als letzter Akt der Familienaufstellung sollen die Puppen am Ende zerstört werden. Setzt der Künstler dabei selbst den Vorschlaghammer an? Der Mann mit der hellen Jungenstimme, der sorgfältig vermeidet, in die zahlreich aufmarschierten Kameras zu lächeln, schüttelt den Kopf. „Doch ich will bei der Zerstörung dabei sein.“ Warum? „Damit ich sehe, dass es erledigt ist. Ich habe ja ein ziemliches Monster geschaffen.“ Sein Name lautet: eine deutsche Familie.

Hamburger Bahnhof, bis 11. August, Katalogbuch 35 €, Künstlergespräch mit Andreas Mühe und Norbert Bisky am Donnerstag, 2.5., 18.30 Uhr

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