zum Hauptinhalt
Das Buchhaus Lochwitz in Dresden veranstaltet "Mit Rechten reden" zusammen mit dem Antaios Verlag.

© Torsten Becker/Imago

Analyse der Gesprächsreihe „Mit Rechten lesen“: Von „Moral-Ariern“ und anderen Phänomenen

Suche im Subtext: Wovon das literarische Trio der neuen Rechten mit Susanne Dagen und Ellen Kositza tatsächlich erzählt. Analyse an einem Beispiel.

Von Caroline Fetscher

Aufschlussreich ist es, Passagen der Gespräche von „Mit Rechten lesen“ genauer zu lesen. Wie wird eigentlich argumentiert im literarischen Video-Terzett „Aufgeblättert. Zugschlagen“? Wo wird aufgeblättert, wo zugeschlagen?

Was spätestens mit Martin Walsers „Auschwitz-Keule“ angefangen hatte, setzt sich in diesem Milieu fort, das inzwischen geprägt ist von Pegida, AfD und neuen, rechten Pseudo-Intellektuellen. So krude Rechte auf den Straßen reden, so subtil nutzen sie als Intellektuellen-Darsteller Codes, Memes, Seme, Andeutungen und versteckte Hinweise.

Nachahmung von „Literaturkritik“

Das literarische Trio „Mit Rechten lesen“ schauspielert. Die Teilnehmer des YouTube-Kanals – Verlegergattin Ellen Kositza, Buchhändlerin Susanne Dagen und jeweils ein Gast – ahmen „Literaturkritik“ nahezu unfreiwillig komisch nach, wie parodistisch deren Gestus nutzend, während es hinter der Kulisse des Theaters um eine Vielzahl anderer Botschaften geht.

Hier soll das vermeintlich harmlose Beispiel der Lektüre von Herbert Lackners Band „Als die Nacht sich senkte. Europas Dichter und Denker zwischen den Kriegen und am Vorabend von Faschismus und NS-Barbarei (Wien, Verlag Ueberreuter, 2019)“ analysiert werden, den Ellen Kositza der Runde am 4. Oktober 2020 vorgestellt hat.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können. ]

Satz für Satz wimmelt es von Subtexten, Insinuationen, expliziten und impliziten Hinweisen. Kositza verliest, zitiert Fragmente aus xenophoben, nationalistischen, antisemitischen, militanten Texten, oszillierend zwischen rechts und links.

Dieses Oszillieren, Changieren und Flirren ist ein Kompositionsprinzip der subkutan mitgelieferten Deutungen und Andeutungen. Die zitierten Textfragmente werden serviert als Kostproben vom nationalistischen Buffet der Vergangenheit, Häppchen, die heute noch und wieder schmackhaft sind und „begeistern“.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Dabei täuscht Kositza vor, es sei die zeithistorische Erkenntnis zur Weimarer Republik, die sie fasziniert. Tatsächlich ist das Ziel ihrer Darstellung eine relativierende Legitimationsstrategie für „patriotisches Gedankengut“ der Gegenwart. Es geht ihr dabei um das Suggerieren einer Konstellation: In der Weimarer Epoche waren vor allem „die Linken“ und „die Juden“ Opfer eines Mainstreams und dessen kultureller Präferenzen – heute sind wir die Opfer, „die Rechten“, die unter der „Cancel Culture“ zu leiden haben.

Zugleich ist die Gruppe der „Linken“ schillernd, auf sie ist kein Verlass. Sie erweist sich als doppelbödig, ihre Kultureliten sind charakterlich fragwürdig, befallen von einer Tendenz zum Verrat an ihren jeweiligen Idealen und aneinander.  Bei alledem legt Kositza Wert darauf, dass sie, ganz wie der Autor, „nur“ zitiert, nacherzählt und dokumentarisch Fakten anführt.

[Behalten Sie den Überblick: Corona in Ihrem Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihren Bezirk. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de]

Hören wir ins Gespräch. Ellen Kositza beginnt: „Ich stelle dieses Buch vor von Herbert Lackner, ,Als die Nacht sich senkte. Europas Dichter und Denker zwischen den Kriegen‘. Ich bin durch das Cover aufmerksam geworden auf das Buch. Wir sehen hier, den Oberkörper frei, Nationalsozialisten, und solche in weißen Hemden marschieren, sehr unzeitgemäß, dass man das Ästhetisieren solcher Bilder aufs Cover bringt.“

Den zweiten Teil des Untertitels – „und am Vorabend von Faschismus und NS-Barbarei“ spart sie aus, er passt nicht ins Konzept. Mit „sehr unzeitgemäß“ setzt sie einen Hinweis, der subtil klingen soll: Solche Ästhetisierung – Ästhetik – freier Oberkörper von Nazis sei ja nicht mehr gefragt, genehm, angezeigt, der Verlag habe dennoch die couragierte Entscheidung getroffen, so ein Foto zu verwenden, obwohl doch das Ästhetische daran eine gewisse Sympathie auslösen könnte.

Das nimmt der Verlag in Kauf, um schlicht die Realität abzubilden. Die abgebildeten Männer nun sind Leute, denen etwas verboten worden war: Das Tragen von Kleidung, die sie gern anhaben würden.    

Die Materialsammlung eines Linken wird ausgeschlachtet

„Es handelt sich um eine Demonstration. 1931 herrscht in Österreich Uniformierungsverbot wegen der Nationalsozialisten, deshalb sind die Männer dort oberkörperfrei und in weißen Hemden aufmarschiert.“ Die Nationalsozialisten waren noch nicht an der Macht, sie wurden nachgerade verfolgt und mehr oder weniger dazu gedrängt, mannhaft entblößt dagegen zu protestieren, da man ihnen ihre ehrenvollen Uniformen verboten hatte.

Doch der Autor des Bandes wolle, anders als Kositza im Subtext, diese Männer nicht als Opfer zeichnen, das ist gewiss, denn: „(…) man braucht keinesfalls zu denken, dass Herbert Lackner irgendwie liebäugelt mit dieser Zeit, da er wirklich ein, wie sagt man, in den Fasern gewaschener Roter“ sei.

Just dieser Umstand wird für sein Sujet wie für die folgenden Aussagen zum wichtigen, legitimierenden Hintergrund: Der Autor ist eigentlich „ein Roter“. Er will keine Sympathien für Nazis wecken. Doch seine Materialsammlung lässt sich für lesende Rechte ausgezeichnet verwenden, sogar umso besser:  „(…) also er ist da von jedem Verdacht befreit, und für mich war es ein Buch, in das ich zwei drei Tage lang völlig versunken bin, ich liebe solche Bücher (…)“. Und umso besser, dass „Lackner sich mit seinen Kommentaren zurückhält, er schäumt uns nicht ein als Moral-Arier der nachgeborenen Zeit, sondern er lässt Leute zu Wort kommen, schlagartig, fast lakonisch“.

Die „Lakonie“ von Herbert Lackner kommt Kositza zu pass 

Unter der Hand wird der Begriff „Moral-Arier“ (siehe „Moralkeule“) einfach so fallengelassen, ganz nebenbei, als sei er selbstverständlich - und keiner in der Runde widerspricht, wie bei sämtlichen solcher Äußerungen.

„Moral-Arier“ impliziert, Nichtjuden, die sich kritisch mit den Verbrechen der NS-Ära befassen, seien vom „schäumenden“ Drang erfüllt, NS-Akteure in Bausch und Bogen zu verwerfen, was irgendwie moralinsauer sei. Das zumindest unterlasse dieser Autor, der nur dokumentiere.   

Die „Lakonie“, die Kositza seiner Darstellung zuschreibt, kommt ihr zupass. Sie unterstellt eine Lauterkeit der reinen Dokumentation, deren Gestus sich Kositza imitierend bedient, ihr Ansinnen camouflierend, indem sie vermeintlich „harmlos“ Fakten vorträgt. Das bringt sie zu einem ihrer zentralen Punkte, der angeblichen Faktenverweigerung von anderer Stelle: „Und ich finde ja, wir wissen so viel vom NS, und von der Schule her wird immer vom Ende her berichtet, das ist ein Oktroi, aber so in die Atmosphäre einbezogen zu werden - wer sagte denn da was, wie hat sich das alles entwickelt (…)“

Hier liegt der Hase im Pfeffer. Die NS-Zeit werde an den Schulen „immer vom Ende her“ unterrichtet, also „immer“ nur vor dem Hintergrund des Wissens über die Massenmorde, die Shoah, was faktisch schon einmal nicht stimmt. Vor allem aber werde – unter latenter Klage, Beschwerde behauptet - etwas Wichtiges ausgelassen. Man könne, so der Subtext, den NS doch auch einmal fairer betrachten, nicht „immer“ vom Ende her, sondern auch das sehend, was ganz brauchbar war.

Subtil wird die NS-typische Intellektuellenfeindlichkeit untergebracht

Das monierende „immer“ macht den Auftakt zum nächsten Reizwort, dem „Oktroi“, der Vokabel, die nach 1945 im rechten Diskurs verbunden war mit dem „Oktroi der Siegermächte“, der Alliierten, die den Besiegten ihre Demokratie aufzwingen wollten, durch Re-education, im rechten Sprachgebrauch „Gehirnwäsche“.

Dass die zeithistorische Darstellung des NS, sofern sie „vom Ende“, von der Shoah ausgeht, ein „Oktroi“ sei, nehmen die Mitdiskutierenden einfach so hin. Es muss außerdem nicht dazu gesagt werden, von wem dieser „Oktroi“ an den Schulen stammt, wer ihn wem auferlegt – jene, die aktuell das Sagen haben, klittern Geschichte, darin scheint man sich einig zu sein.

[Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Nun wird wieder Lackner gepriesen, als ein Autor, der „Wirksamkeit entfaltet, ohne Kommentierung. ohne Zeigefinger (…)“. Eben ohne den Fingerzeig auf das unschöne „Ende“. Lackners Buch sei daher „auch einfach ein Lesegenuss“, umso angenehmer, da es „fast ohne Fußnoten auskommt und ohne akademischen Diskurs (…) und so komprimiert auf einen Punkt gebracht, ist es schon was Besonderes (…)“.

Untergebracht wird in dieser Passage die NS-typische Intellektuellenfeindlichkeit und Elitenfeindlichkeit gegenüber denen, die mit „akademischem Diskurs“ die Dinge kompliziert machen, und damit behaupten, uns anderen etwas voraus zu haben, woran es dem gesunden Menschenverstand und dem gesunden Volksempfinden angeblich mangelt. Lackner, so Kositza, lasse „einfach die Selbstzeugnisse in Briefwechseln in Tagebuchaufzeichnungen zu Wort kommen“, dabei lerne man „eine Menge“.

Der junge Robert Musil wird zum Kronzeugen gemacht

Nachzulesen sei bei Lackner, wie „hier Leute von scharf links in die Bürgerlichkeit einbiegen, genau wie hier umgekehrt stramme Nationalisten des ersten Weltkrieges ins Lager der unpolitischen Pazifisten einbiegen müssen“. Von links also bogen Leute „in die Bürgerlichkeit ein“, um Privilegien zu erlangen, sie färben sich in der Wolle, „genau wie“ andere abbiegen, nämlich die „strammen Nationalisten“, die im Weltkrieg gekämpft haben.  „Genau wie“? Eben nicht. Denn die Strammen werden gezwungen, sie „müssen“ in ein anderes „Lager“ einbiegen. Welchem Druck sie sich beugen müssen, bleibt ungesagt. Deutlich wird: Linke sind illoyal und berechnend, die braven Weltkriegs-Veteranen werden zu einer Kehrtwende gezwungen.

Kositza kommt nun nicht zufällig auf Robert Musil zu sprechen, einen ihrer Kronzeugen für das „Einbiegen“. Musil sei ja „heute eher ein Geheimtipp unter Hochintellektuellen, normale Leute lesen Robert Musil nicht“. Dabei hat er etwas zu bieten aus seinen jungen, frischen Jahren: „Er schrieb damals: ,Treue, Mut, Unterordnung, Pflichtgefühl, das sind Tugenden, die uns heute stark machen zu kämpfen, wir haben nicht gewusst, wie schön und brüderlich der Krieg ist.‘ “

Das Zitat lässt Kositza genüsslich schweben – hier ist einfach zu spüren, wie einer noch Prinzipien, Kampfgeist, Tugend hatte („Tugend“ als der rechte Komplementärbegriff zu „Moral“). Kositza folgert: „Das alles ist Zeitgeist, politisch schön eingebettet“, und gelangt zu Arnold Schönberg, den sie ebenfalls mit einem militärischen Euphemismus zitiert: „Wie groß meine Sehnsucht ist, mich in Reih und Glied zu stellen, und wirkliche Kämpfe mit tausend anderen zu leisten“.

Alma Mahler-Werfel wird mit einer antisemitischen Schmähung zitiert

Auch das bedarf keines Kommentars. Es beweist schlagend, wie linke Kultureliten und spätere Exilanten einst noch etwas vom aufrechten, rechten nationalen Geist besaßen. Noch eindrücklicher im darauffolgenden Schönberg-Zitat, das Kositza vorliest: „Ich habe überhaupt nie etwas anfangen können mit aller ausländischen Musik, mir kommt sie immer schal, leer, widerlich süß verlogen und ungekonnt vor“. Das spricht für sich – und es spricht die Runde an, die sich dessen bewusst ist, dass offene Zustimmung sie diskreditieren würde, da der linksgrün kontaminierte Mainstream solche Aussagen verurteilt. Der Subtext ist genügend angereichert, um solche Zitate für sich wirken zu lassen. 

Das Zitieren nimmt Fahrt auf, nun darf Alma Mahler-Werfel mit der Stimme von Kositza über Franz Werfel sagen: „Das ist ein o-beiniger fetter Jude mit schwülstigen Lippen und schwimmenden Schlitzaugen“. Kositza simuliert Verachtung für die Haltung, zielt jedoch auf die Person: „Diese Mahler-Werfel hat nie von ihrem Antisemitismus abgelassen, beschwert sich aber andererseits darüber, dass die Kandinskys ihr das Verhältnis zu Franz Werfel vorwerfen, diese sonst so besonnenen Menschen (…)“.
Diese „sonst so besonnenen Menschen“ führen sich wider Willen selbst vor mit ihrer Heuchelei und Doppelmoral, es ist kein Wunder, dass sie sich ins Exil verdrückt haben. Nun erwähnt Kositza die „Tagung des Antisemitenbundes in Wien 1921 mit 5000 Patrioten, „ja, sie nannten sich Patrioten“, die „randalierend durch die Straßen“ zogen. Eine Wozzeck-Premiere in Prag wurde verboten, „es wird gerufen: Schande Judenvolk“, die Dreigroschenoper wird abgesagt, der Film „Im Westen nichts Neues“ verboten, und in Österreich „gibt es mächtig Tumulte“.

Aktuelle neonazistische Positionen werden retroaktiv gerechtfertigt

„Mächtig Tumulte“, die keine Verursacher haben, sie treten einfach auf, sind aber strukturell interessant für Kositzas Anliegen. Während Lackner „gezielt keine Parallelen“ zur Gegenwart ziehe, allenfalls „Assoziationen“, erkennt sie Parallelen: „Für mich gibt es sie durchaus“, etwa bei den „rot lackierten Faschisten“ der heutigen „Cancel Culture“. „Und ich dachte: Man muss das alles sehr aufmerksam lesen.“

Hier schließt sich der Kreis einer manipulativen Pseudo-Auslegung, die den Gestus des Dokumentarischen gebraucht und missbraucht, um aktuelle neonazistische, revisionistische Positionen retroaktiv und proaktiv zu rechtfertigen.

Zusammengefasst erklärt Kositza sinngemäß: Werden wir nicht verfolgt und gecancelt wie damals die Linken, die nicht nur auch nicht besser waren, sondern verheuchelt? Hier haben wir Beweise zuhauf, in der vom Oktroi der linken Mainstream-Kultur unterdrückten Geschichte der besseren Nazis, die vor dem „Ende“, von dem her man sie „immer“ sieht, durchaus etwas für sich hatten.

„Aber wie kommen Sie darauf?“ würde Ellen Kositza auf solche Deutungen sicher erwidern. „Nichts davon habe ich gesagt!“ Nein. Gleichwohl, sie hat es gesagt, so unausgesprochen wie unwidersprochen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false