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Erst der Schock, dann die Heilung. Die Installation von Studio Superflux mit der Wohnung von 2050, links die Hydrokulturen und Ultraschallvernebler.

© Superflux

Anab Jain im Gespräch: „Angst kann große Energien freisetzen“

Ein Gespräch mit der indischen Designerin Anab Jain über das Leben in der Zukunft, künstliche Intelligenz und „Fridays for Future“.

Die Designerin und Futuristin Anab Jain, 1976 in Indien geboren, gründete 2009 das Londoner Technologie- und Prognosestudio Superflux, das konkrete Zukunftsszenarien baut. „Mitigation of shock“, ein begehbares Appartment im Jahr 2050, wurde erstmals 2018 in Barcelona präsentiert. Jains Werke waren u.a. im New Yorker MoMA und der Tate Modern zu sehen. Sie lehrt in Wien an der Universität für Angewandte Künste Jain spricht an diesem Mittwoch zur Eröffnung des vom Goethe-Institut in Weimar veranstalteten dreitägigen Zukunftssymposium Die Route wird neu berechnet. Mehr als 300 Gäste aus aller Welt diskutieren über die Umbrüche der Gegenwart, vom Klimawandel über die wiedererstarkenden Nationalismen bis zur künstlichen Intelligenz.

Ms. Jain, warum sollen wir uns die Zukunft nicht nur vorstellen, sondern sie auch begehen und anfassen können?

Gewöhnlich ist die Zukunft eine Powerpoint-Präsentation, bei der Zahlen, Grafiken und Statistiken zu sehen sind. Viele Leute denken dann, es ist erschreckend, aber es betrifft mich nicht.

Sondern nur die anderen, weit weg, in Bangladesch zum Beispiel?

Ja, aber wenn auf Basis der gleichen Daten die Zukunft dann physisch und sinnlich erlebbar wird, dann sind viele emotional aufgewühlt. Plötzlich ist die Zukunft eine Realität. Studien belegen, dass wir dazu neigen, die Zukunft zu unterschätzen, weil sie vermeintlich weit weg ist. Mit den konkreten, immersiven Szenarien unserer Studios Superflux kann man sie vorab erleben. Das reduziert den zeitlichen Abstand. Wir arbeiten dafür mit Architekten, Filmteams, Special-Effects-Experten und Science-Fiction-Autoren zusammen. Mentale Simulationen können episodische Erinnerungen hervorrufen, an vergangene Ereignisse wie an künftige. Wir sind nun mal so gepolt: Wir reagieren heftiger auf sinnlich Erlebtes als auf intellektuelle Einsicht.

Und wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Londoner Wohnung im Jahr 2050 zu bauen?

Mein Partner Jon Ardern und ich haben Superflux gegründet, nachdem wir Interaction Design am Royal College of Art studiert hatten. Schon während unserer Ausbildung dachten wir nicht nur über die Anwendung von Zukunftstechnologien nach, sondern auch über deren Auswirkungen. Wir nutzten unser Wissen als Designer, Künstler und Techniker, um Prototypen zu entwickeln, von der Drohne über die verschmutzte Luft bis zur Zeitung der Zukunft.

Wie gehen Sie konkret vor? Sie sammeln Daten, und dann?

Wir betreiben wissenschaftliche und anthropologische Studien, kooperieren mit Klimaforschern, befassen uns mit Energie- und Wasserversorgung, der Zukunft des Wohnens, aber auch mit der politischen Landschaft. Ist Großbritannien 2050 noch eine Demokratie? Natürlich gibt es keine verlässlichen Zahlen über die Zukunft, wir arbeiten mit Hochrechnungen und Wahrscheinlichkeiten.

Anab Jain
Anab Jain

© Superflux

Gehen Sie eher vom „worst case“ aus oder von Durchschnittswerten?

Wir entwickeln Dystopien. Wir wollen den Menschen zeigen, was sie vielleicht besser vermeiden sollten. Wobei unsere Szenarien immer realistischer werden; was vor zehn Jahren als Dystopie galt, ist heute zum Teil schon Realität. Und für „Mitigation of Shock“, so heißt unsere Installation mit der Wohnung von 2050, haben wir die Computer, die mittels Hydrokultur und Ultraschallverneblern billig Nahrungsmittel anpflanzen, ja tatsächlich entwickelt. Die Technik funktioniert. Das heißt, wir stellen auch nützliches Werkzeug her, mit dessen Hilfe wir die schwierige, chaotische, komplexe Zukunft vielleicht überleben können.

Auf dem Bücherregal in der Wohnung finden sich Titel wie „New Meal“ oder „Pets as protein“. Haustiere als Eiweißspender: klingt nicht gerade optimistisch.

Es ist leider nicht unwahrscheinlich. Wir wollen, dass die Leute nachdenken. Noch haben wir ja die Wahl: Entweder wir fangen sofort an, unser Verhalten zu ändern, oder der Klimawandel wird drastische Folgen auch für die Landwirtschaft und für unsere Ernährung haben.

Ist Angst ein guter Motor für Einsicht? Auch die Populisten überall in der Welt arbeiten mit Angstszenarien.

Darüber wird zu Recht viel debattiert. Ich bin keine Psychologin, aber Optimismus und Hoffnung sorgen eher nicht dafür, dass Menschen tatsächlich aktiv werden. Angst kann paralysieren, aber sie kann auch große Energien freisetzen. In Dubai zum Beispiel, wo die Luftverschmutzung extrem hoch ist, haben wir ein Sample mit stark verschmutzter Luft der Zukunft vorgeführt. Die Regierung änderte bald darauf ihre Energiepolitik und investierte deutlich mehr Geld in erneuerbare Energien.

Warum hat Superflux denn auch Drohnen gebaut?

Es sind besonders augenfällige autonome Maschinen, derzeit gibt es einen regelrechten Hype um sie. Mithilfe der Drohnen lässt sich die dunklere Seite der künstlichen Intelligenz aufzeigen. Wie steht es künftig um die Autonomie des Menschen? Wie sieht die Welt aus der Sicht einer Drohne aus? Welche Informationen sammelt sie, welche Entscheidungen trifft sie auf dieser Basis? In Großbritannien gibt es ein Gesetz, das Jugendlichen unter bestimmten Umständen verbietet, sich allzu lange an öffentlichen Orten zu versammeln. Was, wenn Drohnen selbstständig einstweilige Verfügungen deshalb erlassen können? Welche Computer sammeln Gesundheitsdaten und werten sie aus? Wie weit ist es bis zum Überwachungsstaat? Derzeit arbeiten wir etwa mit Google zusammen und entwickeln alternative Narrative rund um das Thema AI.

Sie befassen sich auch mit sozialen und politischen Fragen. Sind die nicht zu abstrakt, um konkrete, haptische Szenarien daraus zu entwickeln?

Das sagen Sie. Aber soziale Ungerechtigkeit oder Migration hängen ganz unmittelbar mit Fragen des Klimawandels zusammen. Meine Studenten in Wien behandeln im Fachbereich Design Investigations in diesem Semester das Thema „Die Zukunft der Demokratie?“. In Österreich ist das Fragezeichen ja gerade besonders naheliegend. Für die Vienna Design Week im Oktober entwickeln die Studierenden zum Beispiel ein Diorama zur Frage, wohin extremer Kapitalismus führen kann.

Sie stammen aus Indien, leben und arbeiten in England und Österreich. Gibt es kulturelle Unterschiede beim Umgang mit Zukunftsfragen?

Die Menschen in Indien sind weniger wohlhabend und privilegiert, und der Klimawandel hat dort viel dramatischere Folgen als in Europa. Hier steigt die Temperatur voraussichtlich um zwei Grad, dort um vier Grad. Und dennoch sind die Inder optimistischer. Das mag daran liegen, dass es viel mehr junge Leute gibt, die mehr Energie haben und mehr Enthusiasmus. Der amtierende Premierminister ist allerdings von den Klimaaktivisten nicht angetan, sie werden mundtot gemacht.

Was halten Sie von „Fridays for Future“?

In Wien nehmen viele meiner Studenten daran teil, in London wiederum sind sie weniger sichtbar. Aber es ist eine sehr mächtige Bewegung, mit der Botschaft: Du sollst in Panik geraten. Sie sehen, auch „Fridays for Future“ speist sich aus der Furcht. Es ist wie mit „Mitigation of Shock“ ...

... was ja Linderung des Schocks heißt, nicht Steigerung.

Man betritt die Wohnung und ist schockiert, später verlässt man sie etwas milder gestimmt. Ich schwanke selbst zwischen Hoffnung und Angst. Von Natur aus bin ich eher optimistisch. Aber die jüngsten Daten zum Klimawandel machen mir Sorgen. Wir müssen mehr Einfluss auf diejenigen gewinnen, die die Entscheidungen treffen. Manchmal fühle ich mich ohnmächtig, manchmal denke ich, Einzelne können doch viel bewirken.

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