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Verliebt. Hannah (Nora Quest) und Amir (Burak Yigit).

© J.R./Berliner Ensemble

"Amir" am Berliner Ensemble: Tanzen statt dealen

Das Migrantendrama „Amir“ im BE zeigt das Ringen eines jungen Palästinensers mit seinem Leben in Berlin.

Er will ihr Gras verkaufen. So lernen sich Amir und Hannah kennen. Amir dealt in der Hasenheide, Hannah dreht dort ihre täglichen Joggingrunden. Das Gras lehnt sie jedes Mal ab, doch ihn findet sie spannend und gibt ihm irgendwann ihre Telefonnummer. Es ist der Beginn ihrer komplizierten Liebesgeschichte.

Mit Hannah (Nora Quest) zieht plötzlich der Traum von einer anderen, einer besseren Zukunft in Amirs (Burak Yigit) Leben ein. Als staatenloser Palästinenser ist der junge Mann nur geduldet, darf nicht arbeiten, fristet ein Dasein als Kleinkrimineller. In Neukölln großgeworden ist er doch immer nur der Ausländer. Hannah, eine aus der Provinz zugezogene Deutsche, aber sieht in ihm nicht den Migranten, sondern den Menschen.

Von Mario Salazars Stück bleibt wenig übrig

Der Berliner Dramatiker Mario Salazar hat „Amir“ im Rahmen des Autorenprogramms des Berliner Ensembles geschrieben. An diesem Abend hat das Stück jedoch nicht in seiner Fassung Premiere im Kleinen Haus, sondern in der Bearbeitung der Regisseurin Nicole Oder. Vom Original ist dabei wenig übriggeblieben. Es dient hauptsächlich als Motivgeber für die eigenen Texte der Darstellerinnen und Darsteller. Das ist ein wenig schade, hätte man das neue Werk doch gern erstmal in seiner ursprünglichen Fassung gesehen. Trotzdem ist Nicole Oder und ihrem Ensemble ein starker Text über migrantische Erfahrungen in Berlin gelungen. Eindrücklich zeigen sie die Ausweglosigkeit des Lebens als Geduldete – zermürbenden Behördengänge, die Angst vor Abschiebung, die Zerrissenheit zwischen dem Wunsch dazuzugehören und der gleichzeitigen Wut auf „die Deutschen“.

Auch durch Amirs Familie geht ein Riss. Zwischen denen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben und denen, die nur geduldet sind. So kämpft Abdul (Elwin Chalabianlou), Amirs in Berlin geborener jüngerer Bruder, dagegen an, dass er für die anderen nur „der Deutsche“ ist.

Sie trainieren Boxen, um Edeka auszurauben

Es ist eine Welt voller Gewalt, in der Amir und die Geschwister Abdul, Abbas (Tamer Arslan) und Leila (Laura Balzer) aufwachsen. Eine Welt, in der die Männer am Boxsack nicht für den Kampf im Ring, sondern den geplanten Raub im Edeka um die Ecke trainieren. Schon als Kind gerät Amir mit dem Gesetz in Konflikt, bedroht und verprügelt Mitschüler. Später kommen Diebstahl und schwere Körperverletzung hinzu.

Hannah zeigt ihm ein anderes Leben. Gemeinsam gehen sie tanzen und ins Ballett. Bei ihr fühlt Amir sich geborgen. Oder findet schöne, unaufdringliche Bilder für die Zweisamkeit. Dazu trägt auch Franziska Bornkamms spartanisches Bühnenbild bei, das mit seiner Turnhallenatmosphäre jeglichem Kitsch entgegenwirkt. Das Glück ist jedoch nur von kurzer Dauer. Gewalt, Selbsthass und Wut machen auch vor ihrer Beziehung keinen Halt. Am Ende sitzt Amir allein in seiner Gefängniszelle und wartet vergeblich auf Hannahs Besuch.

Es sind vor allem Burak Yigits und Elwin Chalabianlous darstellerische Leistungen, die die Inszenierung so sehenswert machen. Beide ringen mit ihrer Identität, zerfleischen sich selbst, so realistisch und intensiv, dass es den Zuschauer schmerzt. Auch Owen Peter Read glänzt in Kurzauftritten als Mitarbeiter der Ausländerbehörde, der BAMF-Aktenzeichen herunterrattert. Nur die Frauenfiguren bleiben merkwürdig blass. Hannah wirkt wie ein Abziehbild der netten Deutschen. Was sie denkt und fühlt, erfährt man nicht. Trotzdem gelingt ein Theaterabend, der mit seiner schroffen Intensität im Gedächtnis bleibt.

wieder an diesem Montag, sowie am 4., 5., 11. und 12. Mai

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