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Friederike Seyfried ist seit 2009 Direktorin des Ägyptischen Museums und der Papyrussammlung der Staatlichen Museen zu Berlin im Neuen Museum. Die Ägyptologin promovierte an der Universität Heidelberg, wo sie bis 1999 wissenschaftlich tätig war, unter anderem als Grabungsleiterin in Luxor. Danach war sie Kustodin des Ägptischen Museums der Universität Leipzig.

© Georg Moritz

Amarna und Berlin: „Die Objekte sollen sprechen“

Die Schöne und das Wrack: Friederike Seyfried, Chefin des Ägyptischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin, über Nofretete, Echnaton und die Zukunft der Sammlung.

Hundert Jahre Nofretete-Fund – warum werden wir nicht müde, uns mit der Schönen zu beschäftigen? Was überdauert in ihrer Erscheinung die ästhetischen Trends eines ganzen Jahrhunderts?

In diesem Porträt übermittelt sich eine zeitlose Schönheit, die Betrachter aller Kulturkreise anspricht. Das liegt an der Reduktion des Porträts auf das Wesentliche. Mit nur wenigen Stilmitteln wird ein optimaler Ausdruck erreicht. Dazu trägt auch die Farbigkeit bei. Die farbliche Fassung gehört zu vielen Werken im Alten Ägypten, aber hier ist sie außergewöhnlich gut erhalten. Wäre die Farbe stärker abgeblättert oder gar nicht ausgeführt, hätte Nofretete kaum diese Ausstrahlung.

Vermutlich lässt sich die veränderte Rezeption mehr noch am Umgang ablesen, an der Präsentation. Wo sind wir da nach 100 Jahren angelangt?

Die Präsentation der Nofretete im Nord-Kuppelsaal des Neuen Museums stellt das Optimum einer Inszenierung als Kunstwerk dar: die Vereinzelung in der Vitrine, das hervorragende Ins-Licht- Setzen. Durch die exzellente Lichtführung meines Vorgängers Dietrich Wildung werden nun auch die Fältchen unter den Augen herausgearbeitet. Solche Feinheiten waren bisher nicht zu sehen.

Die feine Modellierung unter den Augen wird schon von den Ausgräbern erwähnt. Haben Sie bei der Vorbereitung auf die Ausstellung auch Neues entdeckt?

Zur Büste ist schon unendlich viel gesagt worden. Wir werden erneut die Analysen des Rathgen-Forschungslabors zum Hintergrund des leeren Auges durcharbeiten, um herauszufinden, ob dieser nicht doch für eine Einlage vorbereitet war. Für mich stellt sich die schon 1912 formulierte Frage neu: Modell oder vollendete Büste? Gerade das macht Wissenschaft aus: in alle Richtungen Antworten zu suchen.

Echnatons Büste wurde mit Absicht zerschlagen

Modellbüste des Echnaton, Amarna 1912/1913, DOG Grabung, Schenkung James Simon. Das Foto zeigt noch die Lippen und die Stirnpartie, die jetzt wieder restauriert wurden, um den Zustand von vor 100 Jahren wieder herzustellen. Die Büste wurde nach verlassen der Stadt Achet-Aton vermutlich von Bilderstürmern zerstört.
Modellbüste des Echnaton, Amarna 1912/1913, DOG Grabung, Schenkung James Simon. Das Foto zeigt noch die Lippen und die Stirnpartie, die jetzt wieder restauriert wurden, um den Zustand von vor 100 Jahren wieder herzustellen. Die Büste wurde nach verlassen der Stadt Achet-Aton vermutlich von Bilderstürmern zerstört.

© Staatliche Museen zu Berlin, Fotoarchiv Ägyptisches Museum und Papyrussammlung

Nofretete zeigt, wie Geschichte personalisiert werden kann, die weiter mäandert in Romanen, selbst Comics. Was halten Sie von solchen Fiktionalisierungen?

Als Kuratorin einer solchen Ausstellung und all dieser Objekte hege ich großen Respekt vor diesen Skulpturen, vor den Persönlichkeiten, die dahinterstehen, so dass ich mich mit Fiktionen zu historischen Persönlichkeiten schwertue. Niemand weiß, wie Nofretete war. Meines Erachtens geht es zu weit, wenn man sich vorstellt, welche Gefühle Nofretete beispielsweise gehabt haben könnte gegenüber den anderen Frauen im Harem des Pharaos.

Jetzt wird Nofretete erstmals ihr Gatte Echnaton an die Seite gestellt, dessen Büste schwerste Zerstörungen erlitten hat. Wie geht das zusammen?

Nofretete behält ihre singuläre Präsentation, Echnaton bekommt jedoch einen prominenten Platz in ihrer Nähe. Die beiden Büsten gehörten einst zusammen, sie bildeten ein Paar. Die Zerstörung spiegelt altägyptische Zeitgeschichte wider, die Verfolgung Echnatons und seiner monotheistischen Lehre in den Folgejahren. Im Zuge der Restaurierung haben wir herausgefunden, dass dieses Werk drei Zerstörungswellen ausgesetzt war. Die erste war gar keine großartige Zerstörung. Die Handwerker haben die wertvollen Applikationen und die Vergoldung der noch aufwendiger als Nofretete gestalteten Büste entfernt, als sie die Stadt verließen. Das lässt sich an kleinen Meißelspuren ablesen. Das Werk wurde dann einfach in der Depotkammer zurückgelassen. Erst eine Generation später, als die Verfolgung, die Damnatio, einsetzte, wurde die Büste mit Absicht zerschlagen, weil man den Pharao zerstören wollte: mit mehreren brutalen Hieben ins Gesicht.

Eine kleine Verschönerung hat Echnaton dennoch erfahren mit seiner neuen Aufstellung nahe Nofretete. Warum?

Aufnahmen von 1913 zeigen das Objekt in einer besseren Farbigkeit als heute, die Mundpartie war noch erhalten. Wir wollen diesen Zustand wenigstens andeuten. Bestimmte Stellen mussten geschlossen werden, weil sie instabil waren. Die Lippen wurden frei nachmodelliert, damit die Mundpartie wiedererkennbar ist – als reversibles Stück. Eine solche Annäherung ist durchaus legitim. Während der Auslagerung im Zweiten Weltkrieg war die Büste offensichtlich eingewickelt: Die schwarzen Streifen auf dem Halskragen haben wir reinigen lassen. Ferner hat sie Wasserschäden, denn die Krone besitzt fast keine Pigmente mehr. In diesen Spuren spiegelt sich die Zerstörungsphase des Zweiten Weltkriegs. Das ist nicht ästhetisch, sondern gehört zur Geschichte des Objektes.

Die Amarna-Zeit aus den Alltagsfunden heraus verstehen

Work in progress. Die Büste des Echnaton während der Restaurierung 2012, Schenkung James Simon. Deutlich sind die Farbspuren am Hals zu erkennen.
Work in progress. Die Büste des Echnaton während der Restaurierung 2012, Schenkung James Simon. Deutlich sind die Farbspuren am Hals zu erkennen.

© Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Paul Hofmann

Woher rührt unser Interesse an Echnaton, seinen Wunden?

Die Zerstörungsgeschichte der Skulptur beschäftigt uns, seitdem wir uns mit Amarna beschäftigen. Die Faszination für jene Zeit setzt 1898 mit der Ergrabung von Palast und Tempel durch die Engländer ein. Amarna war en vogue Anfang des 20. Jahrhunderts und ist es nach wie vor. Uns interessiert diese Epoche als Ära der ersten monotheistisch gestifteten Religion vor dem Hintergrund unseres eigenen Kulturhorizonts.

Lässt sich nach 100 Jahren Forschungsgeschichte immer noch Neues erzählen?

Wir feiern das Jubiläum einer Grabung der Deutschen Orient-Gesellschaft, bei der unendlich viele Objekte gefunden wurden. Aber wir feiern auch den Ausgräber Ludwig Borchardt und den Mitbegründer der Deutschen Orient-Gesellschaft, James Simon, der die Kampagne finanzierte und dem die Staatlichen Museen die Armana-Funde zu verdanken haben. Ich möchte den archäologischen Kontext um Nofretete verdeutlichen. Gegenwärtig erlebt der Besucher im Neuen Museum die Amarna-Zeit nur durch die Spitzenstücke. In der Ausstellung zeigen wir alle Funde aus dem Werkstatt-Bereich des Thutmosis – von der kleinsten Tonscherbe bis zum großen Vorratsgefäß. Dadurch erschließen sich die Geschichten der Objekte neu, sie bekommen eine andere Wertigkeit. Wir machen keine Kunst-Schau, aber die Kunst ist da.

Das klingt nach einer eigenen, anderen Handschrift als die ihres Vorgängers Dietrich Wildung, der noch 2009 das Neue Museum einrichten konnte. Ist die Amarna-Ausstellung eine erste Markierung?

Nein, wenn die Sonderausstellung beendet ist, müssen wir wieder zurückbauen, denn es gibt ein auf zehn Jahre vertraglich festgelegtes stilistisches Konzept für das Haus. Aber ich werde zukünftig sicher auch andere Akzente setzen. Für mich als Archäologin spielt die Verortung, der Sitz des einzelnen Objektes im Leben, eine wichtige Rolle. Die Objekte sollen sprechen und nicht nur als Kunststücke wirken.

Wieso kommt es jetzt zur Ausstellung, drei Jahre nach Eröffnung des Neuen Museums? Wollen Sie noch einmal ein anderes Publikum erreichen?

Das hundertjährige Jubiläum ist doch ein wunderbarer Grund! Dahinter stehen zugleich hundert Jahre Kampagnen der Deutschen Orient-Gesellschaft. Auch die anderen Häuser der Museumsinsel feiern ihre Grabungen. Nicht von ungefähr ergibt sich diese Kette an Ausstellungen: zunächst „Tell Halaf“ und „Pergamon“, jetzt „Amarna“ und demnächst „Uruk“ wieder im Pergamonmuseum. Das ist die Geschichte, die unsere Häuser geprägt und die Museumsinsel geschaffen hat. Dazu gehört es auch, die wissenschaftliche Aufarbeitung voranzutreiben.

"Ich bin für 30 000 Objekte verantwortlich"

Rund 5500 Objekte lagern im Depot des Ägyptischen Museums aus Amarna. Dazu gehören auch viele kleine Objekte.
Rund 5500 Objekte lagern im Depot des Ägyptischen Museums aus Amarna. Dazu gehören auch viele kleine Objekte.

© Rolf Brockschmidt

Ihre Kollegen konnten bei der Öffnung von Kisten zum Teil erstaunliche Entdeckungen machen. Haben auch Sie Überraschungen erlebt?

Wir haben keine verlorenen Schätze gehoben. Das Fundmaterial war uns bekannt. Aber wir haben eine Menge Keramik restaurieren lassen. Dabei hat sich manch Neues ergeben. So entstand aus einer Kiste mit blauen Scherben nicht, wie erwartet, ein einzelnes Gefäß, sondern es wurden zwei: Zwillingsgefäße.

Wie geht es weiter an der Ausgrabungsstätte selbst? In Ägypten haben die Briten die Kampagne übernommen.

Im Sommer gab es in Berlin einen Workshop, um stärker vernetzt mit unseren britischen Kollegen zu arbeiten. In die Ausstellung wird ihr „Amarna-Project“ integriert sein – als Brückenschlag zwischen 1912 und 2012. Wir zeigen auch die aktuellen Ausgrabungen. Der Berliner Teil der Kampagne ist mit drei Jahren zu Beginn zwar nur ein kleiner, aber wesentlicher Teil.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der ägyptischen Antikenvertretung heute? Müssen Sie weiterhin fürchten, dass eine Rückgabe der Nofretete gefordert wird, wie Zahi Hawass – bis 2011 Oberhaupt der ägyptischen Altertümer – es wiederholt öffentlichkeitswirksam getan hat?

Momentan ist die Kooperation gut. Ein offizielles Rückgabeersuchen des Ägyptischen Staates hat es noch nie gegeben und gibt es auch nicht von der aktuellen ägyptischen Regierung.

Die Nofretete bleibt der Star der Sammlung. Ist sie auch Ihr Augenstern? Oder verbieten Sie sich solche Vorlieben?

Als Kuratorin einer Sammlung mit über 30 000 Objekten bin ich für alle verantwortlich, ähnlich wie eine Mutter, die viele Kinder hat und eigentlich nicht sagen kann, welches ihr Lieblingskind ist. Alle sind individuell und haben einen besonderen Anspruch. Insofern besitze ich kein Lieblingsstück. So unterschiedlich sie sind, so verschieden berühren sie mich. Dazu gehört nicht nur das handwerkliche Können, das sich etwa in einer Statue vermittelt, sondern auch die literarische Dimension. Wenn ich im Neuen Museum den Papyrus mit der Geschichte des Sinuhe betrachte, dann bin ich noch immer davon ergriffen, einen Roman, ein Poem vor mir zu haben, das 4000 Jahre alt ist: mit der Handschrift eines Mannes und seinem Fingerabdruck in Tinte.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn

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