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Rambazamba im Deutschen Theater. Szene aus Kimmigs „Königsweg“-Inszenierung.

© imago/Martin Müller

"Am Königsweg" am Deutschen Theater: Der Wurstbrei muss weg

In tiefsten Kalauer- und Dialektal-Niederungen: Stephan Kimmig inszeniert Elfriede Jelineks "Am Königsweg" am Deutschen Theater

Elfriede Jelinek war mal wieder die Schnellste unter den deutschsprachigen Dramatikerinnen und Dramatikern. Letzten Herbst legte sie mit ihrem 93-Seiter „Am Königsweg“ das Stück zur US-Präsidentschaftswahl vor. Freilich ohne dass der Name Donald Trump darin fällt.

Jelinek schlägt zwar einiges Gag-Kapital aus der „dottergelben Fönfrisur“ im Weißen Haus. Und spart auch nicht mit sachdienlicher Image-Beratung: „Sie brauchen einen neuen Coiffeur“, heißt es etwa einmal. Doch ingesamt ist Jelineks jüngste Textfläche, die seit Falk Richters grandioser Urinszenierung Ende Oktober am Hamburger Schauspielhaus landauf, landab nachinszeniert wird, nicht nur eine standesgemäße Status-quo-Tiefenbohrung. Sondern eine der dichtesten und klügsten Gedankenwucherungen der letzten Jahre fürs Theater überhaupt.

Auf der Folie des antiken Königs Ödipus verhandelt die Literaturnobelpreisträgerin von 2004 in „Am Königsweg“ alle erdenklichen Schieflagen: von monarchischen Missverständnissen in zeitgenössischen Demokratien bis zur fatalen Macht des alten weißen Mannes. Von der Finanzkrise bis zum Fremdenhass. Von Heidegger bis zu sich selbst. Und vom globalen Arbeitsplatz-Outsourcing bis zum Motiv der Blindheit, mit der das Wahlvolk genauso geschlagen ist wie der von ihm inthronisierte König. Richters opulente Urinszenierung, die im Mai sowohl in Berlin beim Theatertreffen als auch beim Mülheimer Gegenwartsdramatik-Festival „Stücke“ gastieren wird, nimmt sich dafür dreieinhalb Stunden Zeit. Und fährt alles auf, was das Theater an Budenzauber und Schauspielkunst, aber auch an Diskursen, Kulturtechniken und Gedankenschärfe zu bieten hat.

Bieder abgehangene Stammtischwitzchen gibt es hier am Fließband

Stephan Kimmig, der jetzt – nach Stefan Pucher in Zürich – in Berlin am Deutschen Theater nachzieht, erledigt den „Königsweg“ gleich in der Hälfte der Zeit. Steuert jedoch gleich zu Beginn in eine fatale Sackgasse. Da witzelt sich der Schauspieler Holger Stockhaus in US-amerikanischem Kaugummi-Englisch durch ein paar ganz besonders armselige Zaubertricks. „Finger da, Finger weg“, ruft er triumphierend über die Rampe, während er wechselweise die erhobenen Hände öffnet oder zur Faust ballt. Anschließend wiederholt sich die längliche Fake-Magier-Nummer noch einmal mit diversen Lebensmitteln. Die müssen verbraten werden, weil Kimmigs Bühnenbildnerin Katja Haß aus ansonsten nicht durchgängig plausiblen Gründen eine Einbauküche aufs Szenario gezimmert hat.

Und die schlaff in der Pfanne brutzelnden Würstchen oder vorab mit bedeutungsvoller Miene präsentierten Gurken inspirieren Stockhaus eben zu einer Fließbandproduktion bieder abgehangener Stammtischwitzchen, die die Kalauer-Expertin Jelinek offenbar ergänzen wollen, de facto aber nur peinlich gegen sie abschmieren. Quasi buchstäblich, denn als Nächstes wird der tapferen Anja Schneider im trauten Kollegenkreis ein qua Spielzeugpistole aufgetragener „Wurstbrei“ von Gesicht und Dekolleté geleckt.

Danach wird der Abend zwar etwas entspannter, bleibt allerdings beliebig. Da rappt etwa der Schauspieler Bozidar Kocevski, der hier das güldene Königsgewand nebst Krönchen in leicht verrutscher Lorbeerkranz-Optik trägt, mal ein paar Zeilen. Und turnt anschließend unter anerkennenden Publikumsraunern ein paar Klimmzüge in die Küchenzeile.

Da dreschen Anja Schneider und Linn Reusse wiederholt auf Kermit den Frosch ein. Da trägt Marcel Kohler neben seiner blonden Perücke – es geht ja um Blindheit – ein Dutzend ausdrücklich nicht sichtschärfender Brillen. Und alle zusammen sächseln, berlinern, wienern und frankfurtern in tiefsten Dialektal-Niederungen irgendwann auch mal einen Exkurs über die „weiße Rasse“ auf die Bretter, die „doch insgesamt recht gut drauf“ sei.

Das kann man natürlich alles machen. Muss man aber auch nicht. Und genau so wirkt es eben. Zumal es sich hier vielfach um Stilmittel handelt, die man dank Nicolas Stemann, dem maßgeblichen Jelinek-Uraufführungsregisseur der letzten Jahre, praktisch in jedem Theaterabend aus der Feder der Literaturnobelpreisträgerin sah. Und zwar zwingender.

Nächste Vorstellungen: am heutigen Montag sowie am 7. u. 13. 5, 19 Uhr 30

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