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Zweite Ebene. Anja Kampe (Tosca) und Michael Volle (Scarpia) werden im Schillertheater von Zeichnungen gedoppelt.

© H. & C. Baus

Alvis Hermanis "Tosca" an der Berliner Staatsoper: Stadthallenkompatibel

Die „Tosca“-Inszenierung von Alvis Hermanis und Daniel Barenboim kann zwar, rein technisch gesehen, bis zum St. Nimmerleinstag gespielt werden. Die Frage ist aber, ob das wirklich sein muss.

Mission erfüllt: Der Regisseur Alvis Hermanis hat der Berliner Staatsoper eine „Tosca“-Inszenierung geliefert, die bis zum St. Nimmerleinstag gespielt werden kann. So funktioniert das nämlich mit Giacomo Puccinis Rom-Reißer im Opernalltag: Die großen Repertoirehäuser nutzen den Dreiakter mit den vier Todesfällen gerne als Füllmaterial für den Spielplan. Hat man eine gut abgehangene, szenisch unterkomplexe Produktion im Fundus, lassen sich durchreisende Stars leicht einweisen – und am Abend macht dann jeder, was er bei „Tosca“ immer macht.

An der Wiener Staatsoper wird seit 1958 Margarethe Wallmanns „Tosca“ gezeigt, über 350 Aufführungen hat die 1969er-Deutung des 1999 verstorbenen Boleslaw Barlog an der Deutschen Oper schon erlebt. Die Lindenoper wiederum spielte noch in der letzten Saison eine „Tosca“, die der Felsenstein-Schüler Carl Riha 1976 in Szene gesetzt hatte, ganz filmrealistisch, mit wiedererkennbaren römischen Originalschauplätzen, der Kirche Sant’Andrea della Valle, dem Palazzo Farnese sowie der Engelsburg.

Im Jahr 1800 herrscht der Polizeichef Scarpia mit unerbittlicher Härte. Als ein Staatsgefangener fliehen kann und beim Maler Mario Cavaradossi Zuflucht sucht, schreckt Scarpia nicht davor zurück, Cavaradossi in Anwesenheit seiner Geliebten, der Opernsängerin Floria Tosca, so lange foltern zu lassen, bis die verzweifelte Frau das Versteck verrät. Um den Preis einer Liebesnacht willigt Scarpia ein, den Mittäter nur zum Schein erschießen zu lassen. Tosca ersticht den Polizeichef, eilt zu Cavaradossi – bei der Exekution aber haben die Soldaten doch echte Munition in ihren Gewehren. Tosca springt von der Engelsburg in den Tod.

Die „impressionistisch feinen Klangfarben Debussys“, die Daniel Barenboim in Giacomo Puccinis Partitur entdeckt hat, hört man bei der Premiere am Tag der Deutschen Einheit nicht. Sehr wohl aber die „nackte Gewalt“, die er in einem Vorab-Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ als zweites Ausdrucks-Hauptmerkmal der Oper identifiziert hat. Im Finale des ersten Akts, wenn sich Chor und Orchester zum „Te Deum“ vereinen, werden derartige Phonstärken erreicht, dass man meint, jeden Moment müsse sich im Schillertheater die Holzverschalung von den bebenden Wänden lösen.

Barenboim hat noch nie Puccini dirigiert

Mit 20 Jahren hat Barenboim einst eine „Tosca“-Produktion als Probenpianist begleitet, in Berlin, an der Komischen Oper. Als Dirigent aber stand er noch nie bei einem Werk Puccinis im Graben. Viel Begeisterung für die raffinierte Instrumentationskunst des Italieners ist jetzt zu spüren, ein Bestreben, die Details zum Funkeln zu bringen, den Emotionen Dringlichkeit zu verleihen. Mag bei der Lautstärke-Balance in den kommenden Vorstellungen noch einiges zu optimieren sein, die Staatskapelle spielt brillant – und die Besetzung ist hochkarätig, bis hin zu Jakob Buschermöhle, der mit leuchtendem Knabensopran das Liedchen des (unsichtbaren) Hirtenknaben im Vorspiel zum dritten Akt veredelt. Fabio Sartori hat die Klangfarben und die Leidenschaft, die man sich für den Cavaradossi wünscht, Michael Volle kann als Scarpia herrisch auftrumpfen und Anja Kampe durchlebt akustisch die Gefühlsstürme der Tosca, ohne je schrill zu werden.

Szenisch allerdings ist die Aufführung enttäuschend kalt. Ja, bereits am ersten Abend wirkt diese Produktion blutleer, wie in ewiger Routine abgenutzt. Womit Alvis Hermanis und seine Solisten die Probenwochen verbracht haben, bleibt ihr Geheimnis. Lediglich zwei Details gibt es, die von den üblichen Regie-Konventionen abweichen – und sich gleich wieder gegenseitig aufheben: Tosca betritt die Bühne nicht als eifersüchtige Furie, die ihren Mario jedes Seitensprungs für fähig hält, sondern ganz schüchtern. Es kommt kaum zu einer Berührung des Paares, als schäme sich die junge Frau geradezu ihrer frisch aufkeimenden Liebe. Warum allerdings sollte dieselbe Tosca dann im zweiten Akt ihre Arie „Vissi d’arte“, die für gewöhnlich als Selbstgespräch gedeutet wird, zur ganz handgreiflichen Verführung von Scarpia nutzen? Viel Vorschuss gewährt sie ihm bei Hermanis auf den erkauften Geschlechtsverkehr, bis sie zum Messer greift – während die Musik die Szene eindeutig als Geschäftsbeziehung zweier Menschen beschreibt, die versuchen, ihre wahren Gefühle hinter der Maske eisiger Höflichkeit zu verbergen.

Bei den Salzburger Festspielen hat Alvis Hermanis in diesem Sommer Verdis „Trovatore“ ins Museum verlegt. Hausmeister und Aufseherin träumen sich in die Welt der Renaissance-Gemälde hinein – und ruckzuck bekommt das Publikum die herrlichste Kostümorgie vorgeführt. Bei seiner Berliner „Tosca“ arbeitet der Regisseur nun erneut mit einem optischen Ablenkungsmanöver, indem er die Handlung aufspaltet: zwischen den realen Menschen auf der Bühne, die im Uraufführungsjahr 1900 spielt, und gezeichneten Charakteren auf einer Leinwand, die librettogetreu gewandet sind. Ausstatterin Kristine Jurjane hat dazu die komplette Handlung in eine aquarellierte Bilderstrecke übertragen, die sie Comic nennt, und die nun oberhalb der Spielfläche den ganzen Abend lang mitläuft.

Das Problem dabei ist nur: Echte Action findet nur zwischen den zweidimensionalen Figuren statt. Diese jungen, schönen Idealtypen, wie sie sich jeder Castingdirektor erträumt, zeigen in Jurjanes Graphic Novel tatsächlich mehr als die Fleisch-und-Blut-Darsteller des Premierenabends. Da agiert Anja Kampe vor allem in Momenten der Verzweiflung wenig glaubwürdig, der beleibte Fabio Sartori scheint stets auf der Suche nach dem nächsten Stuhl und lässt sich sogar im Sitzen erschießen. Und weil Michael Volle die Dämonie des Zynikers Scarpia wesensfremd ist, wirkt er selbst dann wie ein leicht schusseliger TV-Kommissar, wenn er die grausamsten Befehle gibt.

Alles bleibt hier flach, selbst das Bühnenbild. Die von klassizistischen Säulen gerahmte Konstruktion dient vor allem als Leinwand-Halter und steht so weit vorne auf der Szene, als sei sie für eine kommerzielle Tournee-Produktion entworfen, die sich in jeder Stadthalle aufbauen lässt. Dazu passt das praktische Arbeitslicht, das fast durchgängig die Darsteller bestrahlt, ob es laut Libretto nun Tag ist oder Nacht, ob der Akt unter freiem Himmel spielt oder im Innern.

Schütter beginnt der Schlussapplaus am Freitag, steigert sich kaum ins Höfliche, wenn das Ensemble erscheint, hat kurze Spitzen bei den Protagonisten und Barenboim, und ist, nach wenigen müden Buhs fürs Regieteam, wieder vorbei. Anteilnahme hört sich anders an.

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