zum Hauptinhalt
Ein Jäger in Niedersachsen.

© Carsten Rehder/dpa

„Alte Erde“ von Sven Heuchert: Schießen, schaufeln, schweigen

Sven Heuchert legte 2017 eines der besten Krimidebüts vor. In seinem Roman „Alte Erde“ geht es aufs Land, unter Jäger. Von Idylle kann aber keine Rede sein.

Ein Hirsch hat sich mit seinem Geweih im rostigen Stacheldraht eines Zauns verfangen. Zur Bewegungslosigkeit verurteilt, mehr tot als lebendig, versucht er mit letzter Kraft den Kopf zu schütteln. „Was können wir tun?“, fragt der Sohn des Waldbesitzers. „Schießen, schaufeln, schweigen“, antwortet der Revierförster. „Oder wollen Sie das den Behörden erklären?“

In Sven Heucherts neuem Roman „Alte Erde“ wird viel geschwiegen und viel geschossen (Sven Heuchert: Alte Erde. Roman. Ullstein Verlag, Berlin 2020. 216 Seiten, 22 €.). Der Schriftsteller, der selbst zur Jagd geht, hat 2017 mit „Dunkels Gesetz“ eines der besten deutschsprachigen Krimidebüts der letzten Jahre veröffentlicht. Es ging um Drogenhandel und einen Exsöldner in der tiefsten westdeutschen Provinz.

„Alte Erde“ ist in einem ähnlichen Setting angesiedelt, der Ville, einem waldreichen Höhenzug im westlichen Rheintal. „Dunkels Gesetz“ spielte im fiktiven Dorf Altglück. Diesmal heißt der Schauplatz Neuglück, ein Name, der täuscht.

Seitdem die Bergwerke dichtgemacht wurden, gibt es dort kaum noch Arbeit. Wer sein Glück sucht, hat sich schon lange aus dem Staub gemacht.

„Das Tal war seine Heimat, der Weg seine Adern“, heißt es über Thies Frühreich, der vor fast zwanzig Jahren abgehauen war. Nun ist er wieder da, mit seiner meist betrunkenen Freundin Monique und einem Koffer voller Scheine.

Die Zeit scheint eingefroren zu sein

Es sind Lohngelder, die für illegal beschäftigte Bauarbeiter aus Osteuropa bestimmt waren. „Jeder versucht’s dem Nächsten abzunehmen. So läuft das“, sagt Thies. Seine Moral, ausgeliehen bei Bertolt Brecht, lautet: „Zuerst kommt immer das Fressen.“

Zurückgekommen ist der Gelegenheitskriminelle, weil er Rache nehmen will für das, was ihm als Kind vom Stiefvater angetan wurde. Bei seinem Bruder Karl, der im heruntergekommenen elterlichen Hof die Stellung gehalten hat, hält sich die Wiedersehensfreude in Grenzen.

Sven Heuchert schreibt in knappen, markanten Sätzen, seine Dialoge leben vor allem von Auslassungen. In einer Landschaft, deren karge Schönheit bis ins Detail geschildert wird, scheint die Zeit eingefroren zu sein.

Von Idylle kann keine Rede sein

Man raucht Reval oder Ernte 23, trinkt Zinn-4-Schnaps und fährt Opel Admiral. Die Markenwelt der alten Bundesrepublik feiert ihren letzten Triumph. Lauter Dinge, die wie ihre Benutzer ihre beste Zeit hinter sich haben.

Beherrscht wird die Gegend von dem Großgrundbesitzer Wasserfuhr, der nach dem Krieg mit „arisiertem“ Land reich geworden war. Gerade hat er das meiste verkauft, an einen Internetkonzern, der ein riesiges Warenlager errichten will.

Bei Sven Heuchert kann man lernen, aus welchen Komponenten eine Jagdpatrone besteht und wie es bei einer Hausschlachtung riecht. Akribischer ist das Landleben selten beschrieben worden. Von Idylle kann aber nicht die Rede sein. Denn das größte Raubtier ist der Mensch.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false