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Angekommen bei der Schwester. Jasmine (Cate Blanchett).

© Warner

Kultur: Alles Lüge

Woody Allen macht ernst – in „Blue Jasmine“ mit Cate Blanchett.

Sie fliegt von New York nach San Francisco – erster Klasse. Und ist total pleite. Warum sie einen so teuren Flug gebucht hat? „Ich weiß es nicht. Ich hab’s einfach getan.“ Dieser Satz charakterisiert die Frau, die soeben mit drei Louis-VuittonKoffern angekommen ist, und enthält bereits die ganze Geschichte von „Blue Jasmine“. Und die ist, völlig anders als in Woody Allens jüngsten europäischen Kinostücken, keine Komödie.

Seit 1966 schreibt und inszeniert er nahezu jährlich einen Film. Und weder Ideen noch Energie scheinen dem inzwischen 77-Jährigen auszugehen, von den Schauspielern gar nicht zu reden: Es sind noch immer die besten, die unter seiner Regie spielen. Cate Blanchett ist Jasmine: Die plötzlich mittellose Angehörige der New Yorker Geld-Society versucht, ohne jede Anpassungsfähigkeit in ein Durchschnittsleben hinüberzuwechseln. Auf ihrem hocheleganten Äußeren beharrend, schlüpft sie bei ihrer wenig geliebten Stiefschwester Ginger unter, einer Supermarktkassiererin, die sich die zwei Söhne mit ihrem Ex-Mann teilt. Außerdem will Gingers Lebensgefährte demnächst bei ihr einziehen. In diese Welt fällt Jasmine ein wie eine Außerirdische – und ihre Verzweiflung zeigt sich zuerst darin, dass sie nicht allein sein kann.

Sally Hawkins, die 2008 in Mike Leighs „Happy-Go-Lucky“ Weltruhm erlangte, ist Ginger, eine fröhliche, gutherzige Naive ohne Ambitionen – und damit das genaue Gegenteil ihrer Schwester. Sie hat ihr Leben im Griff und versorgt Jasmine mit handfesten Tipps für einen Neubeginn, Jasmine dagegen klammert sich an die Reste ihres alten Lebens: Als Gattin eines wegen seiner unseriösen Geschäfte inhaftierten Finanzmaklers (Alec Baldwin) war sie für dessen Reichtum nur das Aushängeschild.

Die Inkompatibilität dieser Lebensverhältnisse inszeniert Woody Allen auch auf anderen Ebenen. Die Rückblenden in die Upper East Side, in der Jasmine mit ihrem Mann residierte, sind von einem feinen Goldschleier überzogen, Abglanz ihrer glamourösen Existenz. San Francisco dagegen hat nichts von einer Postkartenidylle – die Golden Gate Bridge ist nur einmal im Bild, als sich für Jasmine ein Ausweg aus dem Niedergang abzuzeichnen scheint; ansonsten heruntergekommene Mietshäuser, wilde Hinterhofgärten, Graffiti, Industriegebiete. „Blue Jasmine“ zeigt die Welt der unteren Mittelschicht, die Mühe hat, die Standards zu halten – die rechte Kulisse für den unaufhaltsamen Abstieg der Titelfigur.

Außerdem zeigt sich, sicher ein Fest für die Kostümbildner, der soziale Kontrast scharf in der Garderobe. Die mitunter statuarisch wirkende Cate Blanchett trägt in unauffällig feinen Schnitten das Understatement des alten Geldes zur Schau – eine Verkleidung, die zu Jasmines einstigem Dasein zwischen CharityEvents und Abendeinladungen passt. Und die zappelige, robuste Sally Hawkins verkörpert auch in der Kleidung Gingers souveräne Laxheit: Zwischen Praktischem und Tussigem verwendet sie von allem ein bisschen zu viel oder zu wenig.

In der Beobachtung dieser Gegensätze liegt der besondere Reiz dieses wunderbaren Films. Es ist das erste Drama, das Woody Allen seit langem inszeniert hat: 1992 beschäftigte er sich in „Ehemänner und Ehefrauen“ mit der Erosion einer Ehe, während seine eigene langjährige Beziehung zu Mia Farrow in die Brüche ging. Ähnlich unglücklich sind die Protagonisten in „September“ (1987), die an einem Wochenende im spätsommerlichen Vermont zusammentreffen und jeweils in die falsche Person verliebt sind.

Wenn Woody Allen ernst macht, statt derlei erwachsene Liebeshändel zu persiflieren, geht es stets um die scharfe Konfrontation der Lebenslügen. Wobei er offenbar zu glauben scheint, Frauen kämen schlechter als Männer damit zurecht, dass Illusionen zerplatzen. Die nehmen sich gern eine junge Geliebte, wenn es hart auf hart kommt. Wobei das dann eher in die Komödie mündet.

Ab Donnerstag in 15 Berliner Kinos

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