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Kultur: Alles drin

Wilco begeistert beim Konzert im Tempodrom

Von Jörg Wunder

Machen wir es kurz: Die beste Rockband unserer Zeit kommt aus Chicago und heißt Wilco. Und sie wird mit jedem Konzert besser, was man in zwei denkwürdigen Stunden im Tempodrom bestaunen konnte. Besser, weil sie ihrem Kanon großartiger Songs mit dem achten Album „The Whole Love“ wieder ein Dutzend potenzielle Klassiker hinzugefügt haben. Etwa das fantastische „Art Of Almost“, eine von beispielloser Wildheit durchtoste Krautrockdekonstruktion, die sogleich zum Publikumsfavorit avanciert.

Wilco 2011 ist auch deshalb prächtiger als je zuvor, weil hier sechs außergewöhnliche Musiker als seit 2004 stabiles Kollektiv immer traumwandlerischer miteinander spielen. Da ist Jeff Tweedy, Herz und Hirn der Band: ein überraschend gut gelaunter (er kann auch anders) Frontmann, Autor fast aller Stücke, dazu ein beseelter Sänger und ein guter Gitarrist. Nels Cline einen guten Gitarristen zu nennen, wäre so, als würde man sagen, Lionel Messi sei ein guter Fußballer. Nels Cline ist eine Naturgewalt. Sein Solo in „Impossible Germany“, seit Jahren Höhepunkt jedes Wilco-Auftritts, lässt die Zeit stillstehen. Wenn er sich mal zu ausgiebig in Powerchorderuptionen wälzt, gleichen das die anderen durch gesteigerte Subtilität aus.

Bassist John Stirrat ist neben Tweedy letztes verbliebenes Gründungsmitglied: Gemeinsam schrummeln und heulen sie sich herzerbarmend durch das melancholische „Via Chicago“, während das Countryrockpflänzlein immer wieder mit der Noiserockgewalt eines 45-Tonners überrollt wird. Mikael Jorgensen holt als Mad Scientist radioaktiven Sound-Fallout aus diversen Tasteninstrumenten, der Bandjunior Pat Sansone füllt die Lücken – als dritter Gitarrist, zweiter Keyboarder, vierte Satzstimme. Schließlich Glenn Kotche, das Schlagzeugtier, das den zentrifugalen Wahnsinn mit wuchtigen Hieben zusammenhält.

Das glückliche Auditorium erlebte beim Berlin-Konzert eine Band auf der Höhe ihrer Kunst, eine, die ansatzlos von feinsten melodischen Verästelungen zu härtestem Lärmrauschen und zurück springen kann. Jörg Wunder

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