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Die Schriftstellerin Alina Bronsky.

© Christine Fenzl/dtv

Alina Bronsky Jugendroman "Schallplattensommer": Maserati und ihre Musikermutter

Flirrende Sommertage und Kindheitsgespenster: Alina Bronskys Dreiecksgeschichte „Schallplattensommer“ erzählt von Liebe und Vernachlässigung.

Siebzehn werden und überall Sprünge in der Welt sehen. Damit kennt Alina Bronsky sich aus. Von jugendlichen Außenseitergefühlen hat die Schriftstellerin schon 2008 in ihrem umgehend verfilmten Debüt „Scherbenpark“ erzählt. Der Roman über jugendliche Russlanddeutsche, die im sozialen Abseits eines Wohnsilos gestrandet sind, legte den Grund für die Karriere der deutschrussischen Autorin, die im vergangenen Jahr mit „Barbara stirbt nicht“ erst das schwarzhumorig-sentimentale Porträt eines grantelnden Ehemannes zeichnete.

Maserati, die Heldin von „Schallplattensommer“, ist zwar keine Russlanddeutsche, aber ebenfalls notorisch außen vor. „Lass uns ein für alle Mal klären: Ich bin seltsam, okay?“, herrscht sie den neuen Nachbarn Theo an. „Ein seltsames Mädchen in der Einöde, das nach Frittierfett stinkt und niemals die Schule abschließen wird.“

Atmosphärisch, aber auch atemlos

Diese mit wütendem Trotz verteidigte Rolle bekleidet das Mädchen mit dem skurrilen Namen aber eigentlich aus Notwehr. Das wird im Lauf der Sommerferienwochen klar, die Alina Bronsky atmosphärisch, aber auch ein wenig atemlos und auslassungreich skizziert, was auf Kosten der Figurenzeichnung geht.

Bronsky erzählt aus Maseratis Perspektive. Sie hat trotz Bestnoten und der beharrlichen Bemühungen ihres einstigen Klassenlehrers, Herrn Reinhardt, nach der zehnten Klasse Schluss mit Schule gemacht hat, um ihrer Oma bei der Arbeit in deren kleiner Dorfgaststätte zu helfen.

Dass das nicht nur aus Liebe zur Großmutter geschieht, die von einer beginnenden Demenz gezeichnet ist, sondern auch aus Furcht vor der Welt, in der Skandalgeschichten sich durch Klatschmagazine, Internet und Smartphones wie ein Lauffeuer verbreiten, wird offenbar, als neue Leute in das verschlafene Nest kommen.

Cover von "Schallplattensommer".
Cover von "Schallplattensommer".

© dtv

[Alina Bronsky: Schallplattensommer, Roman, dtv Junior, München 2022, 192 S., 15 €]

Ortsnamen gibt es in „Schallplattensommer“ keine, aber der Roman spielt in einer mit Seen, Bootsstegen und vergessenen Kirschbaumwiesen gesegneten ehemals ostdeutschen Provinz, was ziemlich nach Brandenburg riecht.

Maserati, „das einzige weibliche Wesen unter 55 im Umkreis von 13 Kilometern“, verabscheut die Stadt und lässt das die Ausflügler in der Gaststätte in aller Pampigkeit spüren.

Auch die zwei Jungs, die in Begleitung von Eltern beziehungsweise Tante im Gasthaus auftauchen und sich als zukünftige Bewohner der maroden Villa am Ende der Hauptstraße entpuppen.

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Ab sofort belagern nicht nur Feriengäste, sondern auch Bauarbeiter den Gastraum. Zu allem Überfluss hockt Sonnyboy Caspar morgens am See, wenn Maserati vor der Arbeitshektik in Ruhe schwimmen gehen will. Und sein Cousin, der düstere Theo, ein Musikfreak, der alte Platten liebt, sagt zu ihr: „Ich kenn’ dich von der Schallplatte.“ Eine Bemerkung, die Maserati in Alarmbereitschaft versetzt, weil sie an ihre Familiengeschichte rührt, die sie um jeden Preis ausblenden will.

Theo bekommt raus, woher Maseratis Name stammt

Zwischen ihr und den reichen Jungs entspinnt sich eine zarte, eher lakonisch als romantisch geschilderte Dreiecksgeschichte, in der Bronsky das Flirren der Sommertage mit dem Aufbrechen der Kindheitstraumata grundiert. Leichtfüßig liest sich das nicht, aber gefühlsintensiv. In vermeintlich harmlosen Dialogen lauern Abgründe. Auch die von Theo.

Der depressive Grübler bekommt auch wirklich alles raus. Sogar, woher Maseratis Name stammt. Und dass ihre Mutter sehr erfolgreich als Sängerin war, bevor sie mit Kindesvernachlässigung Schlagzeilen machte. Das ist der medienkritisch erzählte Horror, dem Maserati verzweifelten Selbstschutz entgegensetzt.

Am Ende lebt sie zwar immer noch in ihrer selbst bestimmten Gasthausisolation, aber das Handy, das Caspar ihr schickt, fungiert als Hoffnungsfunken. Nur eine Telefonnummer ist gespeichert, alle anderen Funktionen sind deinstalliert. „Der direkte Draht zu mir“, verheißt eine Textnachricht. Schön, dieses romantische Schlussbild.

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