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Der Kameramann. 1946 malte Neel den aufstrebenden Dokumentarfilmer Dick Bagley in ihrer Wohnung.

© The Estate of Alice Neel / Courtesy Schgeibler

Alice Neel bei Aurel Scheibler: Körperblicke

Später Ruhm: In der Galerie Aurel Scheibler sind nun Porträts und Stillleben der amerikanischen Malerin Alice Neel zu sehen, die seit einiger Zeit wiederentdeckt wird.

Was nicht ins Raster passt, wird ignoriert. So wie die Bilder von Alice Neel. Zu selbstbewusst, stark und eigensinnig war die 1900 in Pennsylvania geborene Malerin, die als junge Frau ins Greenwich Village zog. Und es Jahre später enttäuscht verließ, weil ihr die künstlerische Bohème dort verkrustet vorkam.

Neel wurde geschätzt, ihre Kunst aber spielte in der abstrakten Phase nach dem Krieg keine Rolle und stapelte sich bald in der Wohnung. Selbst ein Fürsprecher wie Andy Warhol, der ihr 1970 Modell saß und das entstandene Porträt zum Besten erklärte, was je ein anderer Künstler von ihm angefertigt hätte, änderte nichts daran. Dabei hielt Neel den Pop-Artisten nicht einmal realistisch fest. Stattdessen konzentrierte sie sich auf seinen nackten Bauch und jene Schussverletzung, die Warhols Körper nach der Attacke einer militanten Feministin für immer entstellte.

In der Galerie Aurel Scheibler sind nun andere Porträts und Stillleben der Malerin zu sehen, die seit einiger Zeit wiederentdeckt wird. Neel starb 1984 und erlebte im Jahrzehnt davor gerade noch das Comeback einer figürlichen Bildersprache. Was auch ihr Erbe in ein angemessenes Licht rückte. Inzwischen erobert es den Markt, sind Preise über eine Million Dollar für Spitzenwerke selbstverständlich und ist diese zweite Retrospektive bei Scheibler vielleicht eine der letzten Gelegenheiten, so viele Arbeiten von Neel zu sehen. Vor wenigen Wochen endete die Ausstellung „Painted Truth“, die ausgewählte Arbeiten, darunter auch das Warhol-Bildnis, in London und Malmö zeigte. Es ist anzunehmen, dass das Interesse an Neel weiter zunimmt, weil man sie endlich als wichtige Vertreterin der amerikanischen Moderne anerkennt.

Die Gründe dafür sind in der Ausstellung ablesbar. Etwa Neels Fokussierung auf bestimmte Körperpartien, die ihr wichtig für die Charakterisierung erschienen. Meist ist es das Gesicht, das im Vergleich zur übrigen Figur überdeutlich hervortritt. Wenig Rücksicht nahm die Künstlerin dagegen auf jene Details, die sie im Moment der Auseinandersetzung für marginal hielt. Im Fall des französischen Videopioniers, den Neel 1980 im großen Format und hellen Anzug malte, ließ sie ganze Partien der Leinwand frei. Farbige Flächen werden angedeutet, nicht aber ausgeführt – als bliebe der Künstlerin nicht mehr genügend Zeit, sich um jede Kleinigkeit zu kümmern.

Dennoch sind ihre Porträts großartige Kompositionen, in denen am Ende alles zusammenkommt: die Farbe, der Ausdruck und jene Wahrhaftigkeit, nach der Neel als „Seelensammlerin“ kompromisslos fahndete. In den Gesichtern hat Neel sie gefunden. Christiane Meixner

Galerie Aurel Scheibler, Charlottenstraße 2; bis 28. Januar, Di - Sa 11 - 18 Uhr.

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