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Kultur: Alfred Hitchcock: Mord als Maßarbeit

Die Mütter sind das Schlimmste. An den Stellwänden hängen ordentlich sortierte Filmbilder zu den Themen "Eingesperrt sein", "Fesseln", "Abgründe", "Mord" und so weiter - eben all die Schauerlichkeiten eines Hitchcock-Filmes.

Von David Ensikat

Die Mütter sind das Schlimmste. An den Stellwänden hängen ordentlich sortierte Filmbilder zu den Themen "Eingesperrt sein", "Fesseln", "Abgründe", "Mord" und so weiter - eben all die Schauerlichkeiten eines Hitchcock-Filmes. Die "Mütter" aber sind das Schlimmste. Sieben Bilder starr blickender älterer Damen. Die unterste, die tot-verdorrte Mutter Bates, blickt am starrsten.

Wozu eine Hitchcock-Ausstellung? Hitchcock sah immer gleich aus. Immer derselbe halslose Kopf mit wenigen Haaren drauf, immer dieselbe vorgeschobene Unterlippe, immer dasselbe Nichtlächeln. In der Hitchcock-Schau, die nun im Filmmuseum Potsdam zu sehen ist, gibt es hunderte Bilder, die beweisen, dass man über den dicken Briten mit dem ordentlichen Anzug keine Ausstellung machen kann. Dazu hatte er die Dinge viel zu gut unter Kontrolle. Alfred Hitchcock war ein Profi, und Profis sind langweilig. Ihnen geht es allein um die Profession, um das Berufsziel. Wenn sie gut sind - und wer wollte bestreiten, dass Hitchcock das war - dann lassen Profis das Private nicht nach außen dringen. Darum geht es schließlich nicht. In einer Hitchcock-Ausstellung muss man nicht nach Hitchcock fragen, sondern nach seinen Filmen.

"Obsessionen - die Alptraumfabrik des Alfred Hitchcock" heißt die Wanderausstellung, die von vier Filmmuseen ausgerichtet wird - in München und Düsseldorf war sie schon, in Frankfurt / Main wird sie nach Potsdam aufgestellt. Um die "ganz privaten Obsessionen" des Regisseurs kann es - entgegen der Ankündigung des Ausstellungstextes - kaum gehen. Wie gesagt, er war ein Profi. Okay, es gibt die Mütter. Heißt das, dass Hitchcock ein Mutterproblem hatte? Dazu gibt es keinen Hinweis.

Da die Mutterbilder neben denen mit Messern, Schlingen und Pistolen hängen, erkennen wir sie als eines der wiederkehrenden Schockmotive. Sie sind wirkungsvoller als die mit den gewöhnlichen Mordwerkzeugen, und so erfahren wir hier tatsächlich etwas über Hitchcocks Trick: Der "bessere" Horror entsteht durch die Assoziation des Betrachters im Kinosessel, nicht durch die Darstellung der Gewalt auf der Leinwand.

Der Dolch am Nabel des Opfers

Das wird auch deutlich an der besten Stelle der Ausstellung - in der Badekabine. Durch einen billigen Duschvorhang betritt der Besucher ein billiges Imitat des Badezimmers aus "Psycho". Wir erinnern uns: Unter der Dusche stehend wurde die Heldin nach gerade einmal der Hälfte des Films fies erdolcht. Wir haben schon Brutaleres im Kino sehen müssen - in der Duschszene wird nirgends gezeigt, wie das Messer das nackte Opfer berührt - und doch bleiben gerade die Bilder dieses Filmtodes grausig präsent. Im Erklärtext steht zu lesen, dass die Schauspielerin für die Aufnahme dieser Szene mehr als die Hälfte ihrer Drehtage aufbringen musste. Hitchcock hat Maßarbeit geleistet. Wie er das tat, kann der Ausstellungsbesucher im Badezimmerimitat sehen: Gegenüber der Kachelwand hängen dutzende Leuchtbilder aus der berühmten Szene. Jede Einstellung - ein Bild. Und tatsächlich: Das Bild, wo der Dolch dem zarten Opfernabel ganz nahe kommt - ist vor allem schön. Da, wo die Hand den Duschvorhang greift, da, wo am Ende vom gurgelnden Ausguss auf das starre Opferauge übergeblendet wird - da entsteht das wirkliche Grauen. Hitchcock zeigt den Blick, den er beim Zuschauer provozieren will: die schreckgeweitete Pupille. An dieser Stelle erfährt der Besucher mehr, als er erkennen kann, wenn er sich den Film selbst anschaut.

An anderen Stellen gelingt das nicht: So steht vor den Bildern zum Thema "Abgründe" ein eineinhalb Meter hoher Kasten. Man kann oben hineingucken und sieht am Grunde einen kleinen Monitor, in dem ein Hitchcocktreppenhausabgrund flimmert. Jemand meinte wohl, dem zartbesaiteten Cineasten könnte hier schwindlig werden, und hat oben am Kasten noch sorgfältig chromglänzende Haltegriffe montiert. So hilflos kann ein Nicht-Hitchcock den Horror inszenieren.

Schulterzuckend nimmt man auch die verzerrenden Jahrmarkt-Spiegel in der Abteilung Un- und Unterbewusstes zur Kenntnis. Wenn das Knie dicker aussieht als die Wade, sagt das wenig aus über Hitchcocks Spiel mit der Schizophrenie.

Interessant hingegen ist die Ausstellung dort, wo Hitchcocks eigentliche Arbeit gezeigt wird: die, die vor den Dreharbeiten stattfand. An der Wand steht ein Zitat des Gruselprofis: "Ich wünschte, ich müsste den Film nicht drehen. Wenn ich mit dem Drehbuch fertig bin und den Film auf dem Papier erschaffen habe, ist für mich die kreative Arbeit getan, und der Rest ist Langeweile."

An einer Stelle hängen neben den Bildern der gedrehten Filme die dazugehörigen Zeichnungen aus den Storyboards. Hitchcock hat äußerst präzise vorgeplant. Da war während der Dreharbeiten kein Platz für Improvisationen.

Dies führt tatsächlich zu einer Obsession, zu der großen Angst des Alfred Hitchcock: die Angst davor, die Dinge nicht unter Kontrolle zu haben. Und die Angst vorm Publikum, das seine Filme nicht perfekt finden, ihn nicht lieben könnte. "Zu diesem Zweck nahm Hitchcock sich vor, es (das Publikum) zu verführen, indem er ihm Angst macht." So schreibt es François Truffaut in seinem Interview-Buch "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" Auch hierin geht es kaum um die Person Alfred Hitchcock. Aber immer um seine Filme.

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