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2016 erhielt Alfred Brendel einen Echo für sein Lebenswerk.

© dpa/Clemens Bilan

Alfred Brendel wird 90: Zuhören heißt verstehen

Seit 12 Jahren tritt er nicht mehr als Pianist auf. Aber über Musik denkt er weiterhin nach. Zum 90. Geburtstag des großen Interpreten Alfred Brendel.

Als er 16 Jahre alt war, sagte seine Klavierlehrerin zu ihm: „Sie können sich jetzt alleine weiterhelfen.“ Das hat Alfred Brendel, geboren 1931 in Mähren, aufgewachsen auf der Insel Krk, in Zagreb und Graz, dann auch getan. Er zog zu einer alten Tante nach Wien, studierte dort beim großen Pianisten Edwin Fischer und machte sich daran, „ohne Protektion“ eine Profikarriere aufzubauen.

Die kam zunächst vor allem im Aufnahmestudio in Gang, später, als er sich das übermäßige Grimassieren beim Spielen abtrainiert hatte, auch auf der Bühne. 1971 zog er nach London, weil er es in der „idyllischen Atmosphäre Wiens nicht länger aushalten konnte“, fand hier einen Menschenschlag vor, der seine Art von Humor und seine Abneigung gegen alles Modische sehr viel besser verstand.

Er richtete sich und seiner Familie im Stadtteil Hampstead ein Häuschen ein, das sich bald nicht nur mit Musikalia füllte, sondern auch mit jeder Menge Bildern, Büchern, Schallplatten, absurden und grotesken Fundstücken aus aller Welt. Dort feiert er am heutigen Dienstag seinen 90. Geburtstag.

Er hält Vorträge, liest oder gibt Meisterkurse

Vor zwölf Jahren schon hatte er sich vom Konzertpodium verabschiedet, doch Alfred Brendel ist zu vielseitig interessiert, zu neugierig und auch zu sendungsbewusst, um an so etwas wie Ruhestand nur zu denken: Er reist also weiterhin umher, hält Vorträge zu musikhistorischen wie philosophischen Themen, liest aus seinen mittlerweile elf Büchern, trägt eigene Gedichte vor oder gibt Meisterkurse nicht nur für junge Pianisten, sondern auch für Streichquartette.

Was seine Qualitäten als Interpret ausmacht, hat Alfred Brendel jüngst in einem Interview mit der „Zeit“ treffend erklärt: „Mein Interesse war nie darauf gerichtet, partout anders zu spielen als jeder andere.“ Ganz im Gegensatz zum berühmten Glenn Gould, der „genau das gemacht hat, was ich in Zusammenhang mit meinem Beruf falsch und geradezu unmoralisch finde. Er hat immer gegen die Komponisten gespielt“.

Alfred Brendel dagegen sah sich stets als nachschöpfender Künstler, der die Partituren nicht mit der eigenen Persönlichkeit überwölbt, sondern jeden Komponisten liebt „wie einen Vater“. Der aufgrund dieser respektvollen Grundeinstellung besonders achtsam mit dem Notentext umgeht, jedes Detail beachtet, den historischen Kontext mitdenkt, in dem die Werke entstanden sind. Und der dadurch den Hörern von heute helfen kann, nachzuvollziehen, was bei der Uraufführung einst als außergewöhnlich erschien, als besonders gewagt.

Es geht um die Komposition, nicht um den Interpreten

Brendel erwartet vom Publikum nicht, dass es so beschlagen ist wie er selber, wenn es um die kontinuierliche Entwicklung der Musik geht, die Ausweitung der künstlerischen Möglichkeiten seit dem Barock. Durch seine innere Haltung aber, durch sein Wissen um die ästhetischen Strömungen der jeweiligen Zeit, will er in seinem Spiel für die Konzertbesucher sinnlich spürbar werden lassen, wo die Besonderheiten eines Stückes liegen, wo sie vom damaligen Mainstream abwichen, der Erwartungshaltung der Zeitgenossen zuwiderliefen.

Weil es ihn drängte, tief in die Gedankenwelten der Komponisten einzudringen, hat sich Alfred Brendel früh auf ein paar Meister festgelegt, mit denen er sein ganzes Künstlerleben verbringen wollte: mit Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert nämlich. Außerdem faszinierte ihn stets der alte Franz Liszt, nachdem der dem Virtuosentum abgeschworen hatte und nur noch vergeistigte Charakterstücke schrieb, in denen sich die tonalen Bindungen verflüchtigen.

Noten zu analysieren, war für Alfred Brendel nie Selbstzweck, sondern Mittel zu Ziel: um ein Werk als Ganzes erfassen zu lernen, um einen weiten gedanklichen Bogen schlagen zu können, der dem Interpreten im Detail dann Freiheiten erlaubt, weil er das Ziel stets im Auge behält. Auch wenn die Tasten-Exzentriker ganz anders denken, für Brendel lässt sich nur so interpretatorische Eigenständigkeit erlangen: „Um eine Persönlichkeit zu entwickeln“, hat er 2015 zur Eröffnung des Klavierfestivals Ruhr gesagt, „müssen wir uns von den Stücken sagen lassen, was sie sind.“

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