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Album-Kritik: Monarchie ist machbar

Könige des Wellness-Rock: Die Red Hot Chili Peppers veröffentlichen nach fünfjähriger Pause ihr zehntes Album. Auf „I’m With You“ spielt erstmals ihr neuer Gitarrist Josh Klinghoffer mit

Früher Samstagabend in Venice Beach, Kalifornien. Ein Bikini-Geschäft am Ocean Front Walk, blauer Himmel. Vier Herren haben auf dem Dach Position bezogen. Der Strand direkt vor ihnen, die Sonne strahlt von Westen ins Gesicht, Tennisplätze und Palmen gibt’s auch. Am Boden legen Fans zu Hunderten die Köpfe in den Nacken. Dann setzt der Bass ein, Anthony Kiedis rudert mit den Armen wie ein Pantomime als trudelndes Flugzeug. Bisschen kühl für die Jahreszeit. Bloß so 24 Grad. Kiedis wird trotzdem seinen Mantel abwerfen und natürlich wieder nichts darunter tragen als tätowierte Haut.

Donnerstagvormittag in Berlin, draußen grauer Himmel, im Konferenzraum des Hyatt gibt es Kekse. Drei Dutzend Musikjournalisten tragen Kopfhörer, und aus allen rappt es gleichzeitig. „Hustle here, hustle there / hustle me bitch and you best be aware.“ Die Journalisten tippen mit den Füßen, einige nicken im Takt. Man kann Enddreißiger beobachten, die ihre Bleistifte auf die Tischplatte hauen, als wären das Drumsticks. Erinnert an eine Szene aus dem neuen „Planet der Affen“. Ist aber das Probehören von „I’m With You“.

Auf den Tischen liegen Formulare zur Unterschrift. 5000 Euro Strafe muss zahlen, wer zu weit vor dem Erscheinungstermin Details über das neue, zehnte Album der Red Hot Chili Peppers verrät. Vorausgesetzt, man ließe den Wisch jetzt nicht im Rucksack verschwinden. So geheim ist es, das erste Werk seit fünf Jahren, das als triumphale Rückkehr angekündigte Lebenszeichen einer der wenigen Bands, die Fußballstadien noch garantiert füllen.

Es klingt, als hätte die Gruppe ihre letzten Jahre kollektiv am Strand verbracht. Entspannt, energiegeladen, funky. Dunkelheit kommt im Kosmos der Red Hot Chili Peppers allenfalls als Hintergrundkulisse für ein Lagerfeuer vor.

Die inzwischen 28-jährige Bandgeschichte weist viele Konstanten auf. Eine lautet: Der Gitarrist ist der Wackelkandidat. Nach der letzten Welttournee schmiss der hochbegabte John Frusciante hin. Angeblich langweilte ihn die Mainstreamigkeit der Band. Deswegen hatte er die Red Hot Chili Peppers in den Neunzigern schon einmal verlassen, worauf die Gruppe den Fehler beging und Dave Navarro von Jane’s Addiction engagierte, der wie seine beiden Vorgänger ein Drogenproblem hatte. Der neue Gitarrist ist 15 Jahre jünger und spielt sich nie in den Vordergrund. Dafür kommen vermehrt Keyboards zum Einsatz. Und wenn man zwischendurch denkt, wo haben sie denn die liebliche Frauenstimme im Background jetzt her, dann ist das auch seine.

Eine beliebte Rezensentenfloskel lautet, eine Band habe ein neues Album abgeliefert. Bei den Chili Peppers trifft das zu. Sie liefern tatsächlich. Man könnte meinen, sie haben genau das Album aufgenommen, das sich Fans erhoffen. Wenn „I’m With You“ einen Superlativ verdient, dann ist es unmittelbare, totale Eingängigkeit. Kein Zweifel, dass es ein Verkaufshit wird. Einiges reißt mit. Der rockige Opener „Monarchy of Roses“, die süßlich-beschwingte Ballade „Meet Me at the Corner“. Vor allem „Ethiopia“, ein Funkkracher, den Bassist und Bandseele Flea nach einer Afrikareise schrieb: „Ih Ah Oh Ah Ih Ah Eh / When you give your love away“. Da kann der Bleistift gar nicht anders, als zum Drumstick zu werden.

Auf dem Album sind mindestens zehn Singles. Die übrigen Lieder disqualifizieren sich nicht durch Sperrigkeit, sondern Glattheit. Man findet auf „I’m With You“ keine verzerrte Gitarre, die irgendwie in der Lage wäre, ein bisschen zu stören. Nichts verwundert, nichts tut weh. Die Red Hot Chili Peppers sind für Leute, die ihre Tätowierungen lieber am Fußgelenk tragen, damit man sie nur zeigt, wenn es gerade passt. Hätte diese Band ein eigenes Genre verdient, es hieße Wellness-Rock.

Das Dachkonzert in Venice hatte Flea auf Twitter angekündigt: „Yeeeeeeeahhh rooftop rock“. Der Gig wird von der Plattenfirma später als „Spontan-Konzert“ verkauft, was natürlich geschummelt ist, weil man sonst ja schwer das ganze Kamera-Equipment erklären könnte und den Kran für die Luftaufnahmen. Hier wird das Video der ersten Single gedreht.

Zu den Liedern von „I’m With You“ kann man auf Festivals crowdsurfen und zu Hause Händchen halten. Sie funktionieren im Auto, man muss nicht mal den Highway No. 1 runterfahren, jede deutsche Landstraße geht. Sogar Hyatt geht, mit Apfelsaft auf dem Tisch. Anthony Kiedis ist nun endgültig der Meister der überlang gedehnten Vokale, nie zäh gepresst wie Liam Gallagher, immer spielerisch leicht. Aus ihrer Heimat Los Angeles wird so „Al Aaiaiaiai“. Und das reimt sich dann auf „We’ve got something to saaiiiey“.

Was sie genau zu sagen haben, bleibt weiterhin vage. Der Klang der Laute hat Priorität. Anliegen sollen andere haben. „It’s emotional / And I told you so. But you had to know / so I told you.“ Man hört die Begeisterung für Meditation und Sphärisches heraus, die diese Gruppe erfüllt, nach all dem Alkohol und Stress und Heroin, das Kiedis hinter sich hat und das man ihm auch ansieht, wenn er nicht gerade oben auf einem Hausdach turnt. Nick Cave ließ sich mal zu der Bemerkung hinreißen, er höre gelegentlich einen ihm unbekannten Song und frage sich, was denn dieser Müll nun wieder sei. Und dass die Antwort stets laute: Red Hot Chili Peppers. Als Bassist Flea davon erfuhr, war er geknickt. Kam dann aber zu dem Schluss, dass ihn die Bemerkung gar nicht verletzen könne, weil seine eigene Liebe und die Bewunderung für Nick Cave dafür einfach zu groß seien.

Das Authentische am neuen Video aus Venice Beach ist, dass es keine Originalität vortäuscht. Auf Häuserdächern haben schon U2 und natürlich die Beatles gespielt. Rage Against the Machine, noch so eine übergroße Neunziger-Rockband aus Los Angeles, hatten sich für ihr Überraschungskonzert wenigstens die Wall Street ausgesucht und dann pressewirksam von der Polizei abführen lassen. Bei den Peppers warten die Beamten brav unten und leiten den Autoverkehr um.

Dass ihr Cover ausgerechnet ein Werk von Kommerz-Überstar Damien Hirst ziert,  Fliege auf Medikamentenpille, könnte man wohlwollend als selbstironisch interpretieren, ist es aber wahrscheinlich nicht. „You know I’m almost dead, you know I’m almost gone“, singt Anthony Kiedis in einem dieser mitreißenden, neuen Songs. Es geht aber um einen verstorbenen Freund.

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