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Von wegen Bergidyll. Reste des Arbeitslagers Spaç im Norden Albaniens.

© Magdalena Chodownik/Pacific Press

Albanien und seine kommunistische Vergangenheit: Ein Land, ein Lager

Albanien will in die EU und ringt weiterhin mit seiner grausamen kommunistischen Vergangenheit. Sie ist überall präsent, auch mitten in der Hauptstadt Tirana.

Der Skanderbeg-Platz, Hauptplatz der albanischen Hauptstadt Tirana, ist jetzt den Fußgängern vorbehalten. Die weite Fläche ist mit Naturstein aus allen Landesteilen belegt. Am Rand steht eingerüstet eine Moschee aus der Zeit der Osmanenherrschaft; sie wird von türkischen Kräften restauriert. Das Geld, heißt es, stammt aus der Schatulle von Erdogan.

Schräg gegenüber steht der breit hingelagerte Bau des Nationalmuseums. Die Fassade schmückt ein vielfiguriges Mosaik, das in der Mitte eine energische junge Frau in Landestracht mit hochgerecktem Gewehr zeigt, ihr zur Seite ein Kämpfer mit der Staatsflagge, einem schwarzen Doppeladler auf blutrotem Grund. Die anderen Figuren verkörpern Epochen der Landesgeschichte, auch ein Bürgersmann des 19. Jahrhunderts ist darunter. Aber Arbeiter? Vertreter der Klasse, die doch angeblich ein halbes Jahrhundert lang die Macht besaß?

Mit der Arbeiterklasse hatte die Kommunistische Partei, die unter Führung Enver Hoxhas 1944 die Macht übernahm und bis zum ruckelnden Übergang zur Demokratie 1991 eisern festhielt, ihre liebe Not. Es gab sie nahezu nicht. Sie wurde gewissermaßen gespielt. So, wie „Demokratie“ oder „Volksherrschaft“ gespielt wurden. Tatsächlich gab es nur einen Herrscher, den in jüngerem Alter sehr fotogenen Hoxha, der 1944 clever genug war, sich und seine Parteigenossen aus der Konkursmasse der italienisch-faschistischen Kolonisatoren zu bedienen. Hoxha ergriff die Macht, und seine Gegner, aber ebenso seine Mitstreiter verschwanden früher oder später in den Verliesen der Segurimi, der gefürchteten „Staatssicherheit“, oder landeten gleich vor ihren Hinrichtungspelotons.

Die Spitzes eines blutigen Eisbergs

Die Informationsreise, die die Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur alljährlich organisiert, um den Umgang mit dem historischen Erbe der bis zur Wende 1989/91 kommunistisch beherrschten Länder zu studieren, war diesmal Albanien gewidmet. Eine Woche voller Gedenkstättenbesichtigungen und Gesprächen mit Opfern und Offiziellen – doch bleibt das Gefühl, nur die Spitze eines blutigen Eisbergs gesehen zu haben.

In Albanien gab es zahlreiche Lager; im Grunde war das ganze Land ein Lager, Schießbefehl an den Grenzen inklusive. Aus dem Terror machte Hoxha gar kein Geheimnis. Wochenschauen aus der Frühzeit des Regimes, zu sehen im Nationalmuseum, zeigen Schauprozesse, die in überfüllten Kinosälen abgehalten wurden, mit Beifall für die ohnehin feststehenden Urteile, und Delinquenten, die raschen Schritts auf irgendein Feld geführt und aus nächster Nähe erschossen werden. Anschließend stehen die Sieger, Zigarette rauchend, um die Leichen herum. Vermutlich ahnten sie, dass irgendwann auch ihre Stunde schlagen würde.

In Hoxhas Albanien herrschte der Stalinismus bis zum Ende, und auch das war 1991 gewaltsam. Hoxha bewunderte Stalin und ahmte ihn nach, vom Personenkult bis zum Gulag. Als sich Albanien 1961 von der allmählich entstalinisierten Sowjetunion ab- und der personenkultfreudigen Volksrepublik China zuwandte, blieb der Herrschafts- und Terrorapparat unverändert in Betrieb. Als auch China nicht mehr den ideologischen Vorstellungen Hoxhas genügte, blieb sein Land ab Ende der siebziger Jahre ganz allein. Albanien fiel ein Jahrzehnt lang aus dem Bewusstsein der Weltöffentlichkeit heraus.

Nur wie es innen aussah, das war fürchterlich. Unter Teilen des Skanderbeg-Platzes erstreckt sich das Bunkersystem des Innenministeriums, der Schaltzentrale des Terrors. Die für den Minister und seinen engsten Mitarbeiterstab eingerichteten Räume atmen jene Mischung aus Kitsch und Trostlosigkeit, aus Holztäfelung und Feldbetten, die man aus DDR-Behörden kennt. In den wie Gefängniszellen entlang endloser Korridore aufgereihten Räumen ist hier, im Museum „Bunk-Art 2“, eine weitere Ausstellung über den Terror des Regimes zu sehen. Keine Folter war zu widerwärtig, als dass sie nicht von den Schergen angewandt wurde. Es gibt – wichtiges Beweisstück – sogar eine handschriftliche Liste, auf der von Elektroschock bis Verhungernlassen alle Torturen aufgeführt sind. Einzelne Schicksale auch nur in Stichworten zu berichten, sträubt sich die Feder.

Italien war nahe, blieb aber unerreichbar

Unweit des Skanderbeg-Platzes duckt sich unter hohen Bäumen ein weitläufiges Gebäude, das einst eine Privatklinik beherbergte. Dann zog die Sigurimi ein. Im Volksmund heißt es das „Haus der Blätter“, weil hier die Akten der zahllosen Bespitzelten geführt wurden. Das Haus ist mit Technik vollgestopft, aus heutiger Sicht rührend antiquiert, aber zu ihrer Zeit hocheffektiv. Das Verwanzen von Häusern, Kleidungsstücken, Menschen beherrschte die Sigurimi perfekt. Unzählige tragbare Tonbandgeräte aus westdeutscher Produktion sind in Lagerregalen aufgereiht, in Vitrinen liegen japanische Kameras und Teleobjektive.

Im Zentrum Tiranas stehen zahlreiche Bauten aus der Zeit der italienischen Kolonialherrschaft. Sie wirken solide, Hoxhas Kommunisten haben sie ohne Zögern genutzt. Italien selbst blieb ein halbes Jahrhundert unerreichbar, dabei liegt es nahe auf der anderen Seite der Adria.

Verbannte durften sich der Küste nicht nähern, mithin die Familienangehörigen von Häftlingen, denn das Regime praktizierte Sippenhaft über alle Generationen hinweg. Es gab Lager für Frauen und Kinder. In Tepelene im Süden des Landes waren in fünf hallengroßen Baracken jeweils 600 Insassen zusammengepfercht. Mindestens 300 Kinder starben im Laufe der Zeit an Unterernährung und unbehandelten Krankheiten. Ein Arzt kam einmal die Woche, im Lager selbst gab es einen Sanitäter; oder war es eine Sanitäterin? Die Berichte der nun schon bejahrten Ex-Insassen stimmen nicht immer überein. Der Zuhörer erahnt die Last einer bleiernen Zeit, ohne Anfang und Ende.

Simon Mirakaj kam 1945 als neugeborener Säugling ins Lager Tepelene – und blieb unvorstellbare 46 Jahre lang in Sippenhaft, wegen eines Familienangehörigen. Von den Baracken stehen nur noch die Außenwände, eine Gedenkstätte gibt es nicht. Im Heimatmuseum des Ortes werden Modelle von kommunistischen Heldendenkmalen aufbewahrt – und die Schriften Enver Hoxhas, die der Diktator, seinem Vorbild Stalin gleich, ebenfalls verfasst hat. Hoxhas Geburtshaus stand in der Nähe, hier im Süden des Landes, darauf ist manch einer noch immer stolz.

Enver Hoxha volkstümlich, um 1975.
Enver Hoxha volkstümlich, um 1975.

© Mohamed Lounes/Gamma-Rapho

Auf einem Hügel am bergigen Rand von Tirana thront „Mutter Albanien“. Das Denkmal ist dem Typus „Mutter Heimat“ nachempfunden, den es in der Sowjetunion von Wolgograd bis Kiew gibt. Davor liegen die Gräber von Partisanen, die im Kampf gegen die italienischen Faschisten gefallen sind. Jedes Regime braucht seine Helden. Die Grabplatten zeigen Risse, das ganze Gelände wirkt eher wie sich selbst überlassen, als dass es erkennbar gepflegt würde.

Im gebirgigen Norden hingegen liegt das Straflager Spaç. Es besteht aus kühn an die steilen Hänge gesetzten Wohnbauten. Hier lebten die Häftlinge, die in der nahen Kupfermine Zwangsarbeit leisten mussten. Nebenan das Wachpersonal, das es, den ausgeweideten, ohnehin nie über den Rohzustand hinausgekommenen Bauten nach zu urteilen, nicht viel besser hatte. Ab und an durften Angehörige die Inhaftierten besuchen, zehn Minuten unter Aufsicht in einem besonderen Wärterhäuschen. Dafür mussten die letzten sieben Kilometer unbefestigter Straße bergan zu Fuß bewältigt werden.

Kirchen wurden genauso abgerissen wie Moscheen

Im Lager sind ehemalige Häftlinge und Vertreter von Opferverbänden zusammengekommen, um den Jahrestag des Häftlingsaufstandes von 1973 zu feiern. Er war ebenso heroisch wie vergeblich. Reden werden gehalten, alle Männer rauchen, am Himmel dräuen Regenwolken, die Stimmung ist lastend. Hoch oben am Hang sind Bagger zu sehen. Die albanische Regierung hat die Schürfrechte an ein türkisches Bergbauunternehmen vergeben. Die ursprüngliche Zwangs-Kupfermine droht zu verschwinden. Im Staatsapparat sind auch heute noch, 28 Jahre nach dem Ende des Kommunismus, zahlreiche Angehörige des alten Regimes tätig; wie denn auch sonst. Dass sie kein Interesse an der Aufarbeitung der Geschichte und der Verbrechen haben, versteht sich.

In der Stadt Schkoder wohnen die deutschen Besucher der Einweihung eines Denkmals „für die Opfer des kommunistischen Regimes“ bei. Im Rathaus werden vor proppenvollem Saal erregte Reden gehalten. Wo die Gedenkfeier aufhört und die aktuelle Politik beginnt, ist für den Besucher nicht zu entscheiden. Man lebt in der Gegenwart, wie immer und überall, wo die Vergangenheit eine Last ist.

Das Diözesanmuseum ist ästhetisch auf höchstem Stand und erzählt die Geschichte der Verfolgung und Unterdrückung der im Norden Albaniens dominierenden katholischen Kirche. 1967 ließ Hoxha Albanien zum „ersten atheistischen Staat der Welt“ ausrufen und landesweit Kirchen und Moscheen abreißen. Die Kathedrale von Schkoder wurde in eine Sporthalle umgebaut, die Fassade nach Art einer Fabrikhalle überformt und mit Porträts von Funktionären verziert. Jetzt herrscht die Arbeiterklasse durch „ihre“ Partei, lautet die Botschaft.

Mittlerweile ist die Kathedrale sorgsam wiederhergestellt. Glocken läuten gelegentlich, während von benachbarten Minaretten der (Lautsprecher-)Ruf des Muezzins ertönt. Man hat jahrhundertelang miteinander gelebt und tut es wieder. Albanien ist kein Hort des Fanatismus. Stattdessen hofft man auf Aufnahme in die EU. Vor Jahren sei Albanien „hochkorrupt“ gewesen, vertraut uns ein Diplomat an, der den Prozess der Überprüfung der Justiz auf rechtsstaatliche Normen begleitet, und setzt hinzu: „Jetzt nur noch korrupt.“

Das Meer übrigens haben die deutschen Besucher nicht gesehen. Die Küste soll schön sein. Die düstere Vergangenheit liegt im Landesinneren. Man muss sie suchen, und doch ist sie stets präsent.

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