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© María Linares

Aktionskunst: Wie die Künstlerin María Linares Passanten provoziert

María Linares hätte sich kein besseres Antwortschreiben wünschen können: Diese Schriftzüge, hieß es da, die Sie auf T-Shirts drucken lassen wollen, überschreiten die Grenzen des guten Geschmacks.

Die T-Shirts seien ethisch bedenklich und diskriminierend. Als Linares dem Online-Shop erklärte, dass sie die T-Shirts für eine Kunstaktion brauche, bekam sie sie zugesandt. Doch die anfängliche Absage war eine Bestätigung, dass sie alles richtig machte. Die Künstlerin spielt mit Vorurteilen.

So kann es nun sein, dass man auf der Vergnügungsmeile Oranienburger Straße demnächst einer polnischen Frau begegnet, auf deren T-Shirt „Nutte“ steht. Oder einem polnischen Mann, der sich um Fahrräder herumdrückt. Wird er gleich ein Schloss aufknacken? Zumindest trägt er den Stempel „Dieb“. María Linares schickt sie raus, Polinnen und Polen, Afrikaner und Araber, gebrandmarkt, im Hinterkopf eine ganze Liste von Klischees über ihre Nationalität. Entsprechend sollen sich die Kunstfiguren verhalten – und abwarten, was passiert. Linares steht etwas abseits und fotografiert, damit die künstliche Situation nicht zurückkippt in eine reale. Linares will Ironie, will Distanz. Wann und wo sie mit ihren Stereo-Typen auftaucht, verrät sie nicht. Denn sie macht explizit kein Straßentheater, sondern eine spontane Intervention im öffentlichen Raum.

Das verbindet sie mit den zehn anderen Künstlern und Künstlergruppen, die derzeit im Projektraum des Deutschen Künstlerbunds zusammentreffen. „Urgent Urban Ambulance. Zustandsraum Stadt“ heißt die Ausstellung – obwohl Ausstellung eigentlich der falsche Begriff ist: Der Raum in der Rosenthaler Straße in Mitte ist eine Zentrale, ein Sammellager für Utensilien und Werkzeuge, die die Aktionskünstler brauchen, um in die Stadt auszuschwärmen.

Berlin sei zwar die Stadt der Galerien, sagt Georg Winter, Initiator des Projekts und Mitglied der Künstlergemeinschaft Forschungsgruppe F. „Aber machen die noch die nötigen, interessanten Aussagen?“ Also muss seiner Meinung nach die sogenannte Stadtambulanz ausrücken. Das Wort leitet er aus dem Lateinischen ab: Ambulare heißt umherziehen, wandern. Die Kunst kommt zum eiligen Passanten, damit der für einen Moment innehält, sich die Augen reibt, lacht, grübelt.

Winter hat alle Künstler mit einer quietschgelben Multifunktionsleiter ausgestattet, deren Trittflächen sich auch zu einem kleinen Karren umklappen lassen. Was sie mit diesen Rettungswagen anstellen, ist ihre Sache. Die Berliner Bildhauerin Ulrike Mohr, Jahrgang 1970, benutzt ihn, um zwischen Häusern und auf der Straße Holz zu sammeln und es anschließend in einem selbst gebauten Ofen zu köhlern – ein beinahe ausgestorbenes Handwerk. Der Neuköllner Christian Hasucha, der schon seit über 25 Jahren in den öffentlichen Raum eingreift, transportiert darauf metallene Poller, wie sie zum Beispiel zur Begrenzung von Einfahrten verwendet werden. Er implantiert sie an Orten in der Stadt, wo sie für ihn einen Sinn ergeben – auch wenn sie eben dort keine Funktion haben. Wer will, kann sogar selbst aktiv werden, auf eigene Verantwortung. Die nötige Ausstattung stellt Hasucha im Projektraum bereit: Spaten, Erdbohrer, Poller.

Für María Linares ist die Leiter ein Requisit. Ihre Figuren sollen sie im Spiel einsetzen. Der Terrorist kann darauf verdächtiges Gepäck umherziehen, die Nutte kann sich darauf setzen, wenn sie auf Freier wartet. Wenn die Künstlerin und das Team aus Laien das Wägelchen nicht abholen, was ein, zwei Mal in der Woche passiert, dann steht es im Projektraum. Daneben laufen Videos – eine Arbeit aus dem letzten Jahr, die Vorstufe zur jetzigen Aktion. Die gebürtige Kolumbianerin fragte in Deutschland und Kolumbien auf der Straße und in Ausstellungen die bekanntesten Vorurteile auf Fragebögen ab. Daraus erstellte sie eine Datenbank. Vierzehn fiktive Lebensläufe hat sie daraus gestrickt, die sie Migranten aus Moabit vor der Kamera erzählen ließ. Eben jene, die sich nun auch die T-Shirts überziehen.

Geboren ist María Linares in Bogotá, seit 12 Jahren lebt sie in Deutschland. In Nürnberg absolvierte sie den Aufbaustudiengang Kunst im öffentlichen Raum. Schon damals ging es ihr nicht um die Menschen, die in Galerien oder Museen gehen, sondern um solche, die sie unter freiem Himmel überraschen kann. Schon lange interessiert sie sich für Zwischenmenschliches. 2004 entwickelte die Künstlerin für die Biennale der Karibik in der Dominikanischen Republik einen doppelten Sonnenschirm, mit dem der Träger Passanten im Vorbeilaufen Schatten spenden konnte und kurz mit ihnen plauderte. In der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (NGBK) spannte sie in einem kleinen Raum mehrere Hängematten auf und beobachtete, wie sich die Besucher diesen Ort eroberten. Doch statt des Dialogs sucht sie nun seit einem Jahr die Konfrontation zwischen den Menschen.

„Ich habe zu spät damit angefangen, mich in meiner Kunst mit Vorurteilen auseinanderzusetzen“, sagt Linares. Auslöser für die Beschäftigung war ihr Wunsch, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Das ändere aber nichts daran, dass sie wie eine Kolumbianerin fühle und denke, sagt sie. Also begann die Künstlerin, über Identität nachzudenken. Zumal sie selbst immer wieder mit denselben Stereotypen konfrontiert wird. Zum Beispiel, dass alle kolumbianische Frauen Mulas seien, Drogenkuriere. Noch ist María Linares nicht eingebürgert. „Aber wenn es soweit ist“, verspricht sie, „dann mache ich aus dem Akt eine Performance.“ Leben und Arbeit trennt sie nicht.

Urgent Urban Ambulance. Zustandsraum Stadt. Projektraum des Deutschen Künstlerbunds, Rosenthaler Str. 11, Di-Fr 14-18 Uhr. Finissage 29. Mai, ab 19 Uhr. www.deutscher-kuenstlerbund.de

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