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Der Zeitzeuge. Am Freitag eröffnet die Akademie der Künste das Archiv des Regisseurs und Schauspielers Eberhard Fechner.

© Absolut Medien

Akademie der Künste würdigt Eberhard Fechner: Zuhören heißt erzählen

Eberhard Fechners Filme haben wortwörtlich Geschichte geschrieben. Jetzt würdigt die Akademie der Künste den Regisseur.

Juli 1991, Eberhard Fechner gibt in der Akademie der Künste am Hanseatenweg ein Dokumentarfilm-Seminar. Zwei Tage in kleiner Runde lernen von einem der wichtigsten Fernsehregisseure der Siebziger und Achtziger, einem der stilprägenden Dokumentaristen des deutschen Nachkriegsfilms. Aufregend! Als gelernter Schauspieler und Theaterregisseur weiß Fechner genau, was ein Auftritt ist und erweist sich beim gemeinsamen Analysieren von Filmszenen trotzdem als zugewandter, ja aufmunternder Zuhörer.

Wenn Fechner vom Handwerk des Dokumentarfilmers erzählt, klingt das wie ein Märchen aus den goldenen Tagen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. An seinem wichtigsten Film, „Der Prozess“, einer Darstellung des Majdanek-Prozesses in Düsseldorf, hat er acht Jahre lang gearbeitet. Im verdienstvollen Berliner Filmverlag Absolut Medien ist der nun zusammen mit den Dokumentationen „La Paloma“ und „Im Damenstift“ erstmals auf DVD erschienen.

Wahrheitsstiftende Wucht

Auch beim erneuten Anschauen hat der Film von 1984 nichts von seiner wahrheitsstiftenden Wucht verloren. Die mittels Aussagen von Richtern, Zeugen, Angeklagten, Archivmaterial und Vor-Ort- Erkundungen betont nüchtern gebaute und dabei dennoch jeden menschlichen Abgrund auslotende Rekonstruktion der NS-Vernichtungsmaschinerie rund um das KZ Majdanek wird bleiben. Ebenso wie Eberhard Fechners ganz anders gelagerte, ebenfalls die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts reflektierende Kempowski-Verfilmung „Tadellöser & Wolff“.

Ahoi, Kameraden. In "La Paloma" (1988), der jetzt ebenfalls erstmals auf DVD vorliegt, erzählen elf Seemänner ihr Leben.
Ahoi, Kameraden. In "La Paloma" (1988), der jetzt ebenfalls erstmals auf DVD vorliegt, erzählen elf Seemänner ihr Leben.

© Absolut Medien

Über seine filmische Ethik diskutieren und aus dem Nähkästchen des Praktikers plaudern, das geht bei ihm im Seminar ohne Federlesens eins ins andere über. Der 1926 im schlesischen Liegnitz geborene Fechner ist ein kluger Kopf, der nach vielen Theaterengagements als Schauspieler sein künstlerisches und politisches Erweckungserlebnis zu Beginn der Sechziger als Regieassistent von Giogio Strehler am Piccolo Teatro in Mailand erlebt. Nach Deutschland zurückgekehrt, engagiert ihn der Norddeutsche Rundfunk. 1968 inszeniert er den Fernsehfilm „Vier Stunden von Elbe 1“, in dem die später als TV-Ulknudel verramschte Helga Feddersen in der Charakterrolle einer Seemannsfrau brilliert. Fechners eigentliche Handschrift als Dokumentarfilmer begründet ein Jahr später „Nachrede auf Klara Heydebreck“ – das posthume Porträt einer 72 Jahre alten Berliner Selbstmörderin.

Mehr als ein Kaffekränzchen. Eberhard Fechners Dokumentarfilm "Im Damenstift" porträtiert 1984 verarmte Adelige.
Mehr als ein Kaffekränzchen. Eberhard Fechners Dokumentarfilm "Im Damenstift" porträtiert 1984 verarmte Adelige.

© Absolut Medien

Hier setzt der „filmende Literat“, wie ihn sein Biograf Egon Netenjakob nennt, erstmals seine spezielle Montagetechnik ein. Er schneidet die Aussagen von Heydebrecks Bekannten so hart aneinander, dass eine Art künstlicher Dialog entsteht. Ein sich ergänzender, sich korrigierender, einander ins Wort fallender Chor der Stimmen, der aus den Lebensfäden Einzelner ein Bild des 20. Jahrhunderts webt. Das verleiht der Spurensuche nach einer Frau, die ihrer sozialen Not stets ein zähes Ringen um musische Bildung entgegensetzte, auf diskrete Weise eine bewegende Tiefe.

Dinge interessieren ihn nicht, Erzählungen umso mehr

„Talking Heads“, die heute eher verpönte, weil nach langweiligem Fernsehinterviewfilm riechende Aneinanderreihung erzählender Zeitzeugen, wird Fechners immer mehr verfeinertes Stilmittel. In „La Paloma“ entsteht aus den Geschichten, den Gesichtern, der Diktion von elf Seemännern ein hinreißendes Panorama der Seefahrt. Obwohl der begnadete Interviewer sie zu Hause besucht, „inszeniert“ er sie dort jedoch nicht. Ein Mensch, ein Sessel, fertig. Darauf in der Akademie der Künste angesprochen, nickt Eberhard Fechner. „Die Menschen richten sich ihre Leben erstaunlich stereotyp ein, alle wohnen irgendwie ähnlich, von Kosten und Geschmacksvariationen abgesehen.“

Adel verpflichtet. Interviewszene aus Eberhard Fechners "Im Damenstift"
Adel verpflichtet. Interviewszene aus Eberhard Fechners "Im Damenstift"

© Absolut Medien

Die Dinge, mit denen sich die Menschen umgeben, interessieren ihn nicht. Umso mehr das, was sie von sich erzählen. Das gilt für die Frauen in seinem Sittenbild verarmter Adelsdamen wie für „Comedian Harmonists“. Mit diesem Zweiteiler von 1976, in dem die durch Krieg und Emigration gegangenen, überlebenden Mitglieder des berühmtesten deutschen Gesangsensembles der Zwanziger ihre Geschichte erzählen, hat der 1992 in Hamburg gestorbene Fechner einen Kinofilm, ein Theaterstück, ja ein ganzes Revival losgetreten. Höchste Zeit also, dass die Akademie der Künste den „Chronisten des Alltäglichen“ jetzt dem drohenden Vergessen mit der Eröffnung seines auch 1500 Stunden Interviewmaterial umfassenden Archivs entreißt. Beim Film- und Gesprächsabend am Freitag ist auch „Tadellöser & Wolff“-Kameramann Gero Erhardt dabei.

Akademie der Künste am Pariser Platz, 1. Dezember, 19 Uhr. Die DVDs von "Der Prozess", "La Paloma", "Im Damenstift" sind bei Absolut Medien erschienen (Infos: www.absolutmedien.de).

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