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In der Biografie der Filmemacherin Ines Johnson-Spain kommen Familiengeschichte, DDR-Geschichte und Weltgeschichte zusammen.

© Privat

Afrodeutsch in der DDR: Hautfarbe ist keine Laune der Natur

Die in Ostberlin geborene Ines Johnson-Spain folgt in "Becoming Black" den Spuren ihrer Herkunft. Ihr Film läuft auf dem "Achtung Berlin"-Festival.

Ines Johnson-Spains Dokumentarfilm „Becoming Black“ handelt von einer Selbstwerdung. In ihrem Fall, in der DDR mit ihrer antirassistischen Staatsdoktrin als Tochter eines Studenten aus Togo auf die Welt zu kommen – nach einem Seitensprung der Mutter, der in der Familie ausgeblendet wird. Und später immer wieder zu hören, ihre Hautfarbe sei „Zufall“.

Johnson-Spain beginnt das mit zwölf zu begreifen. Es folgt eine komplizierte Suche nach Zugehörigkeit, der Bemächtigung der eigenen Geschichte.

Das Meer hat bei bedecktem Himmel diese besondere Farbe zwischen hellgrün, blau und türkis. Am Horizont wird das Blau dunkler, und der Sand schimmert hell-ocker durch die Wellen, die sich am Strand brechen.

Eine klangvolle Stimme spricht über das Rauschen: „Ich bin vielleicht zehn Jahre alt, meine Mutter und ich sind allein in unserer Wohnung in Ostberlin. Ohne mich anzuschauen und ohne Ankündigung beginnt sie plötzlich zu reden. Als spräche nicht sie zu mir, sondern als käme etwas, das sie nicht länger zurückhalten kann, einfach aus ihr heraus.“

Völkerverständigung in die DDR

Die Mutter erzählt von einem Wintertag an der Hochschule Bernau, als sich die Nachricht verbreitet, dass Präsident Lumumba ermordet worden ist. Die afrikanischen Studenten versammeln sich auf der verschneiten Straße, sie liegen sich in den Armen und weinen. „Sie ist selbst so berührt, dass sie mitweint."

Mit dem Gefühl für den Rhythmus emotionaler Untiefen entsteht eine winzige Pause, dann spricht Johnson-Spain weiter: „Erst viele Jahre später, als sie schon lange tot ist, wird mir klar, dass das der Moment gewesen ist, in dem sie mir beinahe gesagt hätte, warum ich eine andere Hautfarbe habe.“

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Noch bevor die Szene am Strand kommt, hat sich mit ihren Worten die Bewegung des Films geöffnet, von der Gegenwart in die 1960er Jahre, vom Strand nach Ostberlin, zu den 94 afrikanischen Studenten, die von der Regierung im Zuge der Völkerverständigung in die DDR eingeladen worden waren.

Patrice Lumumba, der erste Präsident des unabhängigen Kongo, war im Januar 1961 mit Unterstützung der CIA und seines Rivalen Mobutu ermordet worden. Ein weiter Bogen: Familiengeschichte, DDR-Geschichte, Weltgeschichte.

Ihr Großvater kämpfte gegen das Kolonialsystem

Ines Johnson-Spain ist Filmemacherin, Bühnenmalerin, Ausstatterin, Autorin und in Ostberlin aufgewachsen. Ihr voriger Film „L’Esprit de Madjid“ von 2009 ist das dialogische Porträt eines jungen schwulen Mannes aus Togo, der seinen Alltag über die Beziehung zu verschiedenen Voodoo-Geistern definiert. An „Becoming Black" hat sie über sieben Jahre gearbeitet.

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Ursprünglich sollte er von ihrem Großvater handeln, einem Widerstandskämpfer gegen das französische Kolonialsystem. Doch etwas stimmte nicht, ein befreundeter Filmemacher riet ihr schließlich, bei ihrer eigenen Geschichte anzufangen. „Die Kamera auf mich selbst zu richten, bedeutete auch“, erzählt Johnson-Spain im Gespräch, „bewusst Situationen wiederherzustellen und diesem klassifizierenden Blick von außen ausgesetzt zu sein, unter dem ich Jahrzehnte gelitten hatte. Dieses Mal selbstbestimmt, in einer Art selbst arrangierter Laborsituation.“

Ines Johnson-Spain spricht mit ihrer Tante Alfreda über ihre Familiengeschichte in Togo.
Ines Johnson-Spain spricht mit ihrer Tante Alfreda über ihre Familiengeschichte in Togo.

© Privat

Die Kamera als Katalysator. Auch für die komplizierten Gespräche über das viele Unausgesprochene, wie mit ihrem Ziehvater, der mit der Mutter entschieden hatte, der Tochter die Vorgeschichte ihrer Zeugung zu verheimlichen. Und damit der jungen Ines auferlegte, die Geschichte ihrer Herkunft selbst herauszufinden. „Ich wusste von Anfang an, dass ich diese Begegnungen auf eine Weise inszenieren wollte, bei der wir beide in derselben Situation von Verletzlichkeit sind.“

Dualität vom Sichtbaren und Unsichtbaren

Das Schweigen, Nach-Worten-Suchen, Warten auf die Antworten – eine sehr greifbare Stille wird zum plastischen Raum zwischen den Personen. Später benennt ihr Onkel in Togo mit seiner besonderen Stimme „die Dualität vom Sichtbaren und Unsichtbaren“ und die Beziehung zum anderen, die immer Grundlage der Selbstfindung ist. Johnson-Spain schildert „was ich geglaubt habe zu sein, was mir durch meine Umgebung gespiegelt wurde, um mich dann davon auch wieder befreien zu können“.

Noch weiter gehen die transnationalen Bewegungen. Da sind Verwandte und Bekannte ihrer DDR-Eltern, die nie auf die Idee kamen, das Offenkundige anzusprechen. Und die in Togo und Benin verzweigte Familie, die Ines mit großzügiger Wärme bei sich aufnimmt.

In einem Ritual findet das Foto ihres leiblichen Vaters, der als Arzt im Ruhrgebiet lebte, endlich auch den Platz in der Ahnengalerie. Willkommen Zuhause. Und wir folgen ihr. Auch zu einem sommerlichen Picknick mit ihren vielen afrodeutschen Geschwistern in Deutschland.

Der Film schafft immer wieder Räume, Idealisierungen und Identitätskonstruktionen zu hinterfragen. Die Wirkmächtigkeit von race weder zu leugnen noch aufrechtzuerhalten. Da sind Schmerz und Erstaunen, das Differente zwischen familiärer Gemeinschaft und Eigensinn. „Becoming“ als unabgeschlossenes Werden. Gewidmet hat Ines Johnson-Spain ihren Film „meinen Müttern und Vätern“.
Am 19./20. 9. auf dem „Achtung Berlin“ Festival (16.–20. 9.), ab 22. 9. in Lichtblick und Klick, ab 26. 9. im fsk

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