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Große Träume. Mwas (Joseph Wairimu) ist Schauspieler und hofft auf den Durchbruch in Kenias Hauptstadt.

© One Fine Day Films

Afrika: Das Gesetz der Straße

Entwicklungshilfe mit der Kamera: „Nairobi Half Life“ ist in Kenia ein Blockbuster und von jungen Leute vor Ort gedreht. Produzent des Gangsterfilms ist Tom Tykwer, die Produktionsfirma ein Ableger von Marie Steinmanns Verein "One Fine Day", der in Workshops für Hilfe zur Selbsthilfe sorgt.

Es gibt in diesem Film eine winzige Szene, die man nach aufreibenden 96 Minuten schon fast wieder vergessen hat. Zwei junge Schauspieler sitzen während der Proben in einer Holzkiste. Der eine widmet sich neben der Schauspielerei einer Karriere als Kleinkrimineller. Er flüstert: „Ich habe ein seltsames Doppelleben.“ Der andere: „Ich weiß, was du meinst.“ Und versucht, ihn zu küssen.

Bei der Benefizpremiere von „Nairobi Half Life“ im ausverkauften Berliner Kino International ist die Szene ein großer Lacher. Für afrikanische Verhältnisse ist sie mutig. Auf gleichgeschlechtlichen Sex stehen auch im relativ fortschrittlichen Kenia bis zu 14 Jahre Gefängnis. So wurde in Kenia viel über die Kussszene diskutiert, während man in Berlin vor allem etwas über die Bedingungen des Filmemachens in dem ostafrikanischen Land erfahren will. Der 31-jährige Regisseur Tosh Gitonga hat seinen Erstling in nur vier Wochen praktisch auf der Straße gedreht. Er habe, verrät er in Berlin, Räuberbanden konsultiert, um deren Handwerk möglichst realistisch darstellen zu können.

Sein Film ist in Kenia ein Riesenerfolg. Das Drama um einen Jungen vom Land, der Schauspieler werden will (aber erst mal Gangster wird), läuft in der sechsten Woche. Für eine kenianische Produktion, in der größtenteils der Ghettoslang Sheng gesprochen wird, ist das außergewöhnlich. Ausländische Filme von Hollywood bis Bollywood dominieren den Markt. Dass „Nairobi Half Life“ sich zwischen ihnen behauptet, liegt zum einen an der Souveränität, mit der Gitonga erzählt. Er schildert Nairobi als erbarmungslose Stadt: zerrissen zwischen Arm und Reich, jeder haut jeden übers Ohr, Diebstähle gehören ebenso zum Alltag wie korrupte Polizisten. Im Volksmund wird Kenias Kapitale nicht umsonst „Nairobbery“ genannt. Der junge Mwas fährt trotzdem hin, um am Theater vorzusprechen. Der Laiendarsteller Joseph Wairimu gibt diesen Mwas als einen der auszog, das Fürchten zu lernen: naiv, zärtlich, gewitzt, mit einem unverschämt-ansteckenden Lächeln ausgestattet. Wie überhaupt das Schauspielerensemble durch wuchtige Präsenz überzeugt.

Zum anderen hat der große Erfolg mit der Produktionsgeschichte zu tun. Wegen ihr platzt auch das International am Mittwochabend aus allen Nähten. Denn Qualität hin oder her – seit wann füllen Filme aus Afrika hierzulande die Kinosäle?

„Nairobi Half Life“ ist ein Beispiel für erfolgreiche Entwicklungshilfe. Er wäre nicht entstanden ohne die deutsche Produktionsfirma One Fine Day Films, einem Ableger von Marie Steinmanns Wohltätigkeitsverein One Fine Day. Steinmann ist mit Tom Tykwer verheiratet, der als Produzent und Supervising Regisseur firmiert. Ihr 2008 gegründeter Verein schult Kinder und Jugendliche in den Slums von Nairobi in Ballett, Malerei, Tanz und Musik. Jährlich gibt es einen Filmworkshop in Kooperation mit der Deutschen-WelleAkademie. Am Ende produzieren die besten Teilnehmer einen Spielfilm. Die Afrikaner sollen ihre Geschichten in einer international konkurrenzfähigen Bildsprache erzählen. Die Entstehung von „Nairobi Half Life“ wurde vom Goethe-Institut und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit unterstützt.

Zwar könnte die Gangstergeschichte genauso gut in Rio, L.A. oder Hamburg spielen. Aber sie beweist doch die Kraft, die in Kenias aufstrebender Filmindustrie steckt. „Wir sitzen jetzt am Steuer“, sagt Gitonga. Wie groß der Realitätsgehalt des Films ist und unter welch heiklen Umständen Filme in Kenia entstehen, zeigte sich bei den Dreharbeiten zur Nachfolgeproduktion. Bei einem Überfall auf den Minibus einiger Crewmitglieder wurde eine Frau vergewaltigt.

– ab 18.10. im Rollberg Kino

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