zum Hauptinhalt
Blick auf den Kindernotdienst in der Gitschiner Straße in Kreuzberg.

© Kitty Kleist-Heinrich

AfD und die Gewalt an Kindern: Storch, Statistik und Stimmung

Die Scharfmacher der AfD wettern gegen Immigranten und ignorieren dabei die vielen tausend Kinder, die jährlich in Deutschland Opfer von Gewalt werden.

Von Caroline Fetscher

Am rechten Rand – der dafür gar nicht so berühmt ist – scheinen Menschenrechte, Frauenrechte eine immer stärkere Rolle zu spielen. Vor „barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden“ warnte Beatrix von Storch in ihrer Twitternachricht zu Neujahr, die inzwischen zur Strafanzeige führte. Schlottern, Zittern, Zähneklappern will das Theater der AfD erzeugen, Wutgeschrei und Empörungsbrodeln. Jeder neue Fall einer Frau, die „begrapscht“ wurde – wie der Tatbestand neuerdings diffus auch in den Medien mit Stammtischvokabular benannt wird –, stachelt von Storch und Konsorten auf.

Nun waren an Silvester massenhafte Übergriffe ausgeblieben, und Storchs Tweet empörte sich stattdessen über mehrsprachige Neujahrswünsche, auch auf Arabisch, der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Es sieht danach aus, als habe diese Szene hoffnungsvoll Polizeinachrichten verfolgt, um dann, enttäuscht, das Ziel der vorbereiteten Attacke ad hoc verrücken zu müssen.

Ohne Zweifel ist jeder Übergriff auf Frauen ein Vergehen oder eine Straftat, ganz gleich wo und von wem begangen. Zu Recht werden aktuell eine Handvoll Fälle verfolgt. Und die MeToo-Kampagne hat einmal mehr die Augen dafür geöffnet, wie endemisch sexualisierte Gewalt im 21. Jahrhundert immer noch ist. Weitverbreitet ist sie auch da noch, wo die angebliche Minderwertigkeit weiblicher Menschen nicht mehr normativ verankert ist. Ohne jeden Zweifel muss es darum gehen, das Frauenbild weiter zu reformieren, bei Deutschen wie bei Russen, Amerikanern, Arabern oder Indern, von Hollywood über Pakistan und bis zu Brennpunktschulen in Europa.

Furcht vor kriminellen Immigranten soll produziert werden

Dem AfD-Theater und dessen Publikum geht es jedoch nicht darum. Im Gegenteil, hantiert wird im Parteiprogramm eher mit Frau-am-Herd-Fresken und anderen neoreaktionären Mustern. Systematisch produziert werden soll vielmehr Furcht vor kriminellen Immigranten, die deutsche Frauen belästigen. Solche gibt es, und sie gehören genauso vor den Kadi wie jeder andere Täter auch. Doch die Kernnachricht, die der Storch-Tweet exemplarisch bietet, zielt auf das Herstellen einer rein virtuellen, zur Stimmungsmache tauglichen Statistik, wonach unbezifferbare „Horden“ aggressiver „Barbaren“ ins Land eingedrungen seien.

Experimentiert wird hier mit dem Suggerieren steil aufsteigender statistischer Kurven. Im selben Tenor sekundierte Storchs Parteigenossin Alice Weidel denn auch mit dem stimmungsvollen Tweet-Text: „Unsere Behörden unterwerfen sich importierten, marodierenden, grapschenden, prügelnden, Messer stechenden Migrantenmobs.“

Man stelle sich vor, „Migrantenmobs“ hätten in Deutschland binnen eines Jahres über 100 Kleinkinder getötet und fast 4000 Minderjährige zu Opfern von Misshandlung gemacht: Wahre, begründbare Panik würde die Bevölkerung erfassen.

2016 wurden in Deutschland 130 Kinder getötet

Aber das ist nicht der Fall. Und trotzdem stimmen diese Zahlen. 2016 wurden in Deutschland 130 Kinder von Erwachsenen getötet. Die Zahlen der Vorjahre sahen ähnlich aus. Vier von fünf der Gewaltopfer waren jünger als sechs, viele unter zwei Jahre alt.

So lautete Mitte 2017 die polizeiliche Kriminalstatistik. Danach wurden 3900 Kinder Opfer körperlicher Misshandlungen, pro Jahr gibt es rund 14000 registrierte Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern. Die Mörder, Totschläger und Misshandler sind in der Regel Väter, Mütter, andere Verwandte oder Lebenspartner, die meisten sind Deutsche. Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, erklärte dazu: „Kinder werden täglich Opfer von Gewalt und Misshandlung. Sie werden vernachlässigt, sexuell missbraucht und die Bilder des Missbrauchs im Internet veröffentlicht.“ Die Zahlen der Statistik, sagte Münch, seien alarmierend.

Die AfD interessiert sich nicht für die ermordeten Kinder

Kinderverachtung dominiert außerdem Abertausende „normaler“ Kindervideos, die frei zugänglich ins Netz gestellt werden. Typisches Beispiel ist ein vor wenigen Tagen auf YouTube hochgeladenes Video, das „Spoiled Kids React to Terrible Christmas Presents!“ verspricht, also die Reaktionen „verwöhnter Kinder“ auf „scheußliche Weihnachtsgeschenke“. Gefilmt wurden das Entsetzen und Erschrecken von Kindern beim Anblick von „Scherzgeschenken“, etwa ein drei Jahre altes Mädchen, das eine schwarze Klobürste ausgepackt hat und verstört in Tränen ausbricht. Binnen weniger Tage wurde das Video etwa 1,3 Millionen Mal aufgerufen und häufig grimmig, sadistisch, schadenfroh kommentiert.

Leider interessieren sich die eifrigen und eifernden Menschenrechtler der AfD ganz und gar nicht für die drei pro Woche in Deutschland ermordeten Kinder – und auch nicht für die reale Statistik zu den Tausenden Kindern, die misshandelt und missbraucht werden. Solcher Missbrauch ist ganz einfach politisch zu nichts zu gebrauchen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false