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Kultur: "Achtung! Wir kommen!": Flüstern und Schneiden

Dokumentarfilmer sind Nachnutzer. Sie leben von Anderen, verwerten fremde Bemühungen und verschwinden hinter ihrem Objekt.

Dokumentarfilmer sind Nachnutzer. Sie leben von Anderen, verwerten fremde Bemühungen und verschwinden hinter ihrem Objekt. Der ideale Dokumentarfilmer ist unsichtbar und leidet still. Des Dokumentarfilmers Rente ist sein Archiv, sein größtes Glück der unerwartete Spekulationsgewinn, die späte Wertsteigerung. Der Dokumentarist wird fröhlich, wenn der Medienbasar seine Objekte anfordert. Dann klopft er den Staub des Archivars aus dem Hut und darf Künstler sein.

Im kleinen Friedrichshainer Kino "Tilsiter Lichtspiele" läuft seit einigen Tagen die Geschichte des Ostberliner Undergrounds, der die Welt erobert und Popgeschichte schreibt. "Achtung! Wir kommen!" ist ein schönes Beispiel für den Sieg des Materials über den Filmer. Seine Geschichte wäre - wie so oft - der bessere Film, und ist nie gedreht worden.

1987 produziert Roland K.G. Gernhardt für die Defa den Musikfilm "Flüstern und Schreien". Der Film ist ein Auftragswerk, die DDR - die Jugend will Musikfilme und soll nicht nur amerikanische konsumieren. In das identitätsstiftende Projekt drückt Gernhardt eine gerade gegründete Kapelle, Feeling B. Das Trio, die erste professionelle Punkcombo der DDR, wird zu den eigentlichen Protagonisten des Films. Gitarrist Paul Landers übernimmt die Tonmischung und den Schnitt, Sänger Aljoscha Rompe die Reklamearbeit, weil "der Direktor der Defa herzkrank war, und nicht aufgeregt werden durfte". "Flüstern und Schreien" wird nach Verbotsgerüchten ein Straßenfeger, Feeling B zur Initiation einer Generation. Konzerte waren echte Volksfeste, komischerweise zog der ausgesprochene Dilettantismus Intellektuelle und Trinker gleichermaßen an. Feeling B durften die erste Punk-Platte der DDR aufnehmen, setzten die Amigastudios ins Chaos und produzierten 1989 mit "Hea Hoa" die bis heute bemerkenswerteste deutsche Punkscheibe. Aljoscha Rompe wird endgültig General des Ostberliner Undergrounds und Roland K.G. Gernhardt sein Hausfilmer. Er filmt ihn bei der Besetzung des Tacheles, der Installation des Piratensenders "Radio P", bei Veranstaltungen des Runden Tisches, filmt Interviews, Konzerte und auch das Ende der Band. Paul Landers wird Gründungsmitglied von Rammstein, Gernhardt filmt erste Proben, Plattenaufnahmen und Konzerte.

Drei Jahre später kommt Gernhardt aus Bolivien zurück und stellt fest, dass Rammstein zur Weltband gewachsen sind. Er realisiert auf eigene Kosten eine Fortsetzung von "Flüstern und Schreien". Die Arbeitsversion heißt "Wir kriegen euch alle!". Wie mit "Flüstern und Schreien" will Gernhardt damit in die großen Kinos, das Rammstein-Management verbietet ihm die Verwendung des Materials für diesen Film. Die Gründe sind nachvollziehbar, der Film ist wirr, nur verkaufbar über die Popularität dieser einen Band und zeigt sie als nette Ostberliner Jungs, ein Image, dass zur neuen deutschen Härte, mit der die Band sich erfolgreich verkauft, nicht passt. Am 9. November 1999 stürzt Christoph Zimmermann in Mexiko mit dem Flugzeug ab. Zimmermann, Bassist der ersten Feeling-B-Besetzung, war ein zentraler Motor der Ostberliner Szene, er spielte mit allen wichtigen Bands. Rammstein, die Blind Passengers, Tanzwut und In Extremo verdanken ihm erste Erfolge in Lateinamerika. In Berlin wird ein Gedenkkonzert organisiert, die Freunde wollen sich verabschieden. Gernhardt dreht mit dreizehn Kameras und findet die dramaturgische Klammer für sein immenses Archiv. Er schneidet ein Jahr, lässt Interviews führen und hat ein Arbeitsergebnis, das die Erfolgsgeschichte des Ostberliner Undergrounds erzählen könnte. Am Tage der letzten Bildbearbeitung erreicht ihn die Nachricht von Rompes Tod. Sein Film ist hinfällig. Er hat wieder umzuschneiden und seinen toten Protagonisten zu berücksichtigen.

"Achtung! Wir kommen!" ist das Resultat dieser Suche nach der richtigen Verwendung unzähliger Kilometer Material. Der Film besteht hauptsächlich aus Bruchstücken der ersten Version "Wir kriegen Euch alle". Die Hauptfigur Aljoscha Rompe verbindet die unzähligen Geschichten. Der Film lebt von originellen Interviews. Doch der hilflose Eindruck des Gesamtwerkes resultiert aus der absichtslosen Verwendung des unbezahlbaren Materials. Gernhardt steht hilflos vor seinen Schätzen und will nichts weiter, als sie präsentieren. Wegen des Rechtstreit mit Rammstein schnitt er nachträglich zwei hübsche Frauen zusammen, die so tun, als hätten sie den Film gedreht. So hat Gernhardt ständig die Anwesenheit der Damen zu erklären, anstatt die Haltung seiner Protagonisten.

Der enorme internationale Erfolg von Bands, die im Prinzip alle aus einer Kneipe stammen, ist das Märchen, das zu erzählen wäre. Das tut der Film leider nicht. In einer Woche, in der drei Bands des Films sehr erfolgreich neue Platten veröffentlichen - die Blind Passengers, die Inchtabokatables und Rammstein - trifft die Hilflosigkeit des Regisseurs auf Realitäten, die er noch nicht archivierte. "Achtung! Wir kommen!" ist trotzdem sehenswert, der Film vereint: In Extremo, die Skeptiker, Rammstein, Blind Passengers, Inchtabokatables und natürlich Feeling B. Allein die Musikaufnahmen lohnen die Kinokarte.

Heinrich Hecht

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