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Einer der Favoriten bei den Oscars: Der Netflix-Film "Roma" von Regisseur A. Cuaron

© dpa

Academy Awards: Dieser Oscar schreibt Geschichte

Bei den 91. Oscars ist vieles anders: Ein Streaming-Film könnte abräumen, nach #OscarssoWhite und #Metoo gibt es mehr Vielfalt – und der Moderator fehlt.

Nach der Berlinale ist vor den Oscars. Ein bisschen ist es wie bei dem Schlager „Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da?“. Die Umwälzungen in der Filmbranche, die aktuellen Streitpunkte, sie sind alle wieder da. Sei es der Zwist um den Einstieg der Streamingdienste ins Filmgeschäft, die Angst vor dem Sterben des Kinos, die Balance zwischen Arthouse und Mainstream oder die Frauenfrage, das Bemühen um mehr Diversität. Wohin geht die Berlinale, wie verändern sich die Oscars? Die Bilder gleichen sich.

Acht Filme treten bei der Gala am Sonntag in der Königsdisziplin „Bester Film“ an. Spitzenreiter mit je zehn Nominierungen sind Alfonso Cuaróns autobiografisches Schwarz-Weiß-Drama „Roma“ und Yorgos Lanthimos’ royale Frauen-Machtkampf-Tragikomödie „The Favourite“.

Das gab’s noch nie: Ein spanischsprachiger Netflix-Film und das Werk eines griechischen Autorenfilmers mit Hollywoodstars wie Emma Stone und Rachel Weisz sind Favoriten bei der weltweit begehrtesten Filmtrophäe. Wobei nicht zum ersten Mal eine fremdsprachige Produktion antritt. Bisher gab es dann jedoch immer „nur“ Auslands-Oscars, bei „Z“, „Das Leben ist schön“, „Tiger and Dragon“ und Michael Hanekes „Liebe“ im Jahr 2013.

Dominante Streamingdienste

Furore macht schon der Favoriten-Status von Cuaróns sehr persönlicher Geschichte um das Hausmädchen (s)einer Mittelstandsfamilie. Handelt es sich doch um ein doppeltes Novum: „Roma“ ist auch der erste aussichtsreiche Oscar-Anwärter, der wenig auf der großen Leinwand zu sehen war.

Netflix brachte den Löwen-Gewinner von Venedig nur eingeschränkt in die Kinos, vor dem OnlineStart für die Streamingkunden. Die Festivals sind sich bekanntlich uneins beim Umgang mit den neuen Playern, viele Kinos boykottieren die Filme von Netflix – und wie hält es die Oscar-Academy?

„Green Book“ mit Viggo Mortensen und Mahershala Ali haben Chancen.
„Green Book“ mit Viggo Mortensen und Mahershala Ali haben Chancen.

© dpa/Universal

Die Frage ist auch deshalb spannend, weil Netflix, Amazon, Apple und Co. gerade kräftig in die Produktion einsteigen und mit Buy-out-Verträgen den traditionellen Filmlizenzhandel mit fester Verwertungskette obsolet machen. Schon beim Sundance Festival im Januar wurde weniger über die Filme geredet als über die Rekord-Deals.

Amazon investierte 46 Millionen Dollar in fünf Independent-Produktionen, die großen Studios hatten das Nachsehen. Netflix annoncierte während der Berlinale erstmals die Produktion deutscher Spielfilme, auch Tom Tykwers Firma X-Filme produziert jetzt für die Amerikaner. Und ab September zahlt Netflix in den hiesigen Filmfördertopf ein, nach langem, zähem Kampf.

Geschäft verändert sich dramatisch

Auch wenn das deutsche Kinojahr 2018 verheerende Bilanzzahlen aufweist, ähnlich wie das jüngste Feiertagswochenende in den USA: Das Kino stirbt bei alledem so wenig wie bei der Verbreitung des Fernsehens vor 50 Jahren. Aber die Geschäfte verändern sich dramatisch. Facebook will in den Ticketverkauf einsteigen. Produzenten, Verleiher, Händler, Kinobetreiber, sie leben in wilden Zeiten.

Die Oscars hatten sich eine Weile aufs publikumsträchtige Arthouse-Kino konzentriert. Wunderbare Filme wie „Moonlight“ oder zuletzt „ The Shape of Water“ trugen den Sieg davon, machten aber wenig Kasse. Jetzt sind wieder Blockbuster dabei: Die Comic-Adaption „Black Panther“ mit dem afroamerikanischen Star Chadwick Boseman (7 Nominierungen) sowie die Musiker-Biopics „A Star is Born“ mit Lady Gaga (8 Nennungen) und „Bohemian Rhapsody“ mit Rami Malek als Freddie Mercury (5 Nennungen) treten ebenfalls in der Hauptkategorie an.

Allein Ryan Cooglers Superheldenfilm „Black Panther“ spielte in Amerika 700 Millionen Dollar ein. Mit der Dick-Cheney-Politsatire „Vice“, den Rassismus-Erzählungen „Green Book“ und „BlacKkKlansman“ (von Spike Lee) belaufen sich die acht Kandidaten zusammen auf eine US-Box-Office-Summe von 1,35 Milliarden Dollar. Laut dem Branchenblatt „Variety“ gab es das seit 2010 nicht mehr.

Dabei ist das „Roma“-Einspiel nicht einmal mitgezählt: Netflix, berüchtigt für seine intransparente Firmenpolitik, veröffentlicht keine Zahlen.

 „The Favourite“ mit Olivia Colman
„The Favourite“ mit Olivia Colman

© Tw. Century Fox

„Roma“ oder „Black Panther“? Das immense Spektrum der Filme sorgt für zusätzliche Spannung in diesem Jahr. Oder gewinnt doch das Feelgood-Movie „Green Book“ über einen afroamerikanischen Konzertpianisten und seinen italoamerikanischen Fahrer in den Südstaaten der 60er Jahre? Der Rassismus wird dabei zu einer Art Naturphänomen erklärt, das von gutherzigen Menschen überwunden werden kann. Spike Lees Geschichte über einen schwarzen Polizisten beim Ku-Klux- Klan zeigt dagegen die strukturelle Diskriminierung in den USA auf.

Bemühen um Vielfalt

Wie reagiert die Academy auf solche extrem unterschiedlichen Narrative, zumal sie ja selbst deutlich diverser geworden ist nach der #OscarsSoWhiteKampagne 2016? Seit bekannt wurde, dass über 90 Prozent der Mitglieder Weiße sind und Drei Viertel männlich, kamen über 2000 Akademisten neu hinzu. Mehr Frauen, mehr Afroamerikaner, mehr Ausländer. Bis zum vergangenen Dienstag konnten die jetzt rund 8000 Mitglieder ihr Votum abgeben.

Dieser Oscar schreibt Geschichte: Viele Vorberichte sind von diesem Tenor geprägt. Nicht nur wegen Netflix, nicht nur wegen der ersten Comic-Verfilmung bei den Top-Titeln oder weil der Jahrgang nach #OscarsSoWhite und MeToo tatsächlich vom Bemühen um Vielfalt geprägt ist (nur dass bei der Regie wieder keine Frau dabei ist). Sondern auch, weil die Kamera-Oscars beinahe in die Werbepause verbannt worden wären. Und wegen Kevin Hart.

Erstmals ohne Moderator

Erstmals seit 30 Jahren geht die Gala im Dolby Theatre in Los Angeles ohne Moderator über die Bühne. Der schwarze Comedian sollte für Stimmung sorgen, aber seine homophoben Tweets und Show- Sprüche von vor zehn Jahren (Beispiel: Er hoffe nicht, dass sein Sohn schwul werde) sorgten stattdessen für Kritik. Erst als Hart seinen Rückzug bekannt gab, entschuldigte er sich für die „unsensiblen Worte aus der Vergangenheit“.

Er wolle nicht ablenken durch seine Präsenz. Nun präsentieren etliche Stars und frühere Oscar-Gewinner die Academy Awards, darunter Javier Bardem, Daniel Craig, Frances McDormand, Michael Keaton, Jennifer Lopez und Charlize Theron.

Die Macht und wie man sie erringt. Die Einsamkeit dabei. Die Machtlosen und wie sie sich behaupten – davon handeln die Oscar-Anwärter. Die Musikfilme verfolgen den Aufstieg zweier Superstars und deren Mühe, menschlich zu bleiben. Adam McKays bitterböse Farce „Vice“ zeigt die Korruptheit und Skrupellosigkeit mächtiger Politiker: Dick Cheney als schweigsamer Vorgänger von Trump. „The Favourite“ verlegt den Machtkampf an den britischen Hof, samt Machtmissbrauch und sexueller Gewalt unter Frauen. Und die Rassismus-Filme erzählen vom Kampf, nicht länger ausgeschlossen zu sein. Einsam sind sie alle. Auch das Dienstmädchen in „Roma“, das nur so lange zur Familie gehört, wie gerade keine Wäscheberge anfallen.

Szene aus "Roma"
Szene aus "Roma"

© Carlos Somonte/Netflix

Should win, will win – sollte gewinnen, wird gewinnen: Es ist ein beliebtes Spiel der US-Medien, Listen von wahrscheinlichen und gewünschten Siegern zu erstellen. Wird gewinnen: Glenn Close als beste Darstellerin und „Frau des Nobelpreisträgers“, sie ist zum siebten Mal dabei, vielleicht klappt es endlich mal.

Sollte gewinnen: Olivia Colman als kränkliche, mürrische Queen Anne in „The Favourite“, die ihre intriganten Hofdamen austrickst, eine wahre Souveränin. Bei den Männern wetten die meisten auf Rami Malek als Queen-Star in „Bohemian Rhapsody“, wobei etliche Christian Bales Understatement im Dick-Cheney-Fatsuit in „Vice“ besser finden. Nur machte dummerweise Gary Oldman als Winston Churchill in „Die dunkelste Stunde“ eine ähnlich tumb-geniale Figur, und der trug erst im Vorjahr die Trophäe davon.

Hier das Meisterstück, dort das konventionelle Wohlfühlkino

Bei den nicht-englischsprachigen Filmen ist es schwer, Wetten abzuschließen. Gewinnt „Roma“ nicht den Hauptpreis, trägt Cuarón die Auslands-Trophäe davon – es sei denn, sein Werk macht sich selber derart Konkurrenz, dass es in keiner Kategorie die meisten Stimmen erhält.

Dann hätte Pawel Pawlikowskis EuropäischerFilmpreis-Sieger „Cold War“ die besten Chancen – oder vielleicht doch der in Hollywood seit seinem Oscar für „Das Leben der Anderen“ so beliebte deutsche Anwärter Florian Henckel von Donnersmarck? Die hiesige Debatte um sein gediegenes Künstlerdrama „Werk ohne Autor“, um Moral und Geschichtsklitterung des Films spielte in den USA kaum eine Rolle.

Und der Hauptpreis? Die Experten bescheinigen „Roma“ die besten Chancen, der Irrwitz von „The Favourite“ steht in den USA weniger hoch im Kurs als in Europa. Auch „Green Book“ gilt als Spitzenkandidat, mancher hofft auf „Black Panther“. Wunsch und Wirklichkeit, davon erzählt das Kino seit jeher, sie prägen auch die jährlichen Oscar-Spekulationen.

Hier das Meisterstück, dort das konventionelle Wohlfühlkino: Eins haben „Roma“ und „Green Book“ gemeinsam. Es sind die stilleren Filme unter den acht Kandidaten. Die Zeiten sind laut genug.

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