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Schwimmen lernen. Der Drogendealer Juan (Mahershala Ali, nominiert als bester Nebendarsteller) wird zum Ersatzvater für den jungen Chiron (Alex R. Hibbert). Szene aus dem für insgesamt acht Oscars nominierten Drama „Moonlight“.

© dpa(David Bromfriend

Academy Awards 2017: Der Oscar in Zeiten von Trump

Zwischen Politik und Eskapismus: Anmerkungen zur bevorstehenden Oscar-Nacht.

Von Andreas Busche

Man fühlt sich wie in einer Zeitschleife. „Wir lieben Fakten, aber wir leben in fiktiven Zeiten. Eine Zeit mit fingierten Wahlergebnissen, die einen fingierten Präsidenten ins Amt hieven. Wir leben in einer Zeit, in der uns ein Mann unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in einen Krieg schickt.“ Die Worte klingen vertraut, man meint, sie täglich aus den Timelines der sozialen Netzwerke zu fischen – zwischen den Tiraden von Robert De Niro, Meryl Streep und Shia LaBeouf. Tatsächlich ist das Zitat 14 Jahre alt. Es stammt von Michael Moore, der damals mit dem Oscar für seinen Dokumentarfilm „Bowling for Columbine“ ausgezeichnet wurde.

Moores Dankesrede ging in die Annalen der Academy Awards ein: als eher seltenes politisches Statement einer Branche, die sich stets dem Motto „The show must go on“ verpflichtet fühlte. Jetzt erinnert man sich wieder an diesen einsamen Moment der Renitenz: In der Nacht von Sonntag auf Montag werden in Los Angeles zum 89. Mal die Oscars vergeben werden. Eine Preisverleihung, die viele Branchenvertreter schon im Vorfeld als die politischste in der Geschichte der Oscars bezeichnen.

Es dürfte in jedem Fall eine der interessantesten werden. Zumindest sofern man die Meinung vertritt, dass die amerikanische Filmindustrie noch immer – im Positiven wie im Negativen – den Zeitgeist abbildet. Natürlich gibt es auch Amerikanerinnen und Amerikaner (und es sind seit der Wahl Donald Trumps kaum weniger geworden), die Hollywood für den übelsten Auswuchs einer liberalen Weltanschauung halten. Ihr geben sie die Schuld für die wachsende Entfremdung der vermeintlichen Eliten in den Küstenmetropolen von den wahren Amerikanern in den fly-over states, dem Kernland, das diese Eliten allenfalls auf Geschäftsreisen überfliegen.

Der "kulturellen Viefalt" gerecht werden

In diesem Jahr steckt die Branche in einem Dilemma. Einerseits ist ihr die #Oscarssowhite-Debatte, nach zwei Jahrgängen ohne afroamerikanische Nominierungen in den Hauptkategorien, noch in unguter Erinnerung. Es gilt zu verhindern, dass Hollywood durch eine dritte „Whitewashing“-Zeremonie seinen liberalen Ruf endgültig desavouiert. Gleichzeitig ist man besorgt, dass die Omnipräsenz von Donald Trump, der fast täglich mit neuen Hiobsbotschaften von sich hören lässt, die Feierlichkeiten in eine spaßbefreite Politshow verwandelt. Die Sorgen sind durchaus berechtigt. Anfang Februar gab Moderator Jimmy Kimmel in einem Interview vorsichtig zu verstehen, dass Hollywood weitaus konservativer sei, als es die Öffentlichkeit gemeinhin annimmt.

Dennoch dürften sich viele von Meryl Streeps couragierter Rede bei den Golden Globes im Januar – Trumps Reaktion via Twitter: „Meryl Streep. Vollkommen überschätzt“ – angespornt fühlen. Ein Satz wie „Wenn die Mächtigen ihre Macht dazu nutzen, um andere zu schikanieren, verlieren wir alle“, motivierte bereits die Preisträger der Screen Actors Guild (SAG), mit deutlichen Worte die Politik der Trump-Regierung zu kritisieren. Diese Stimmungslage gibt den Ton für die Oscars vor.

Nun besteht immer noch ein signifikanter Unterschied zwischen dem Wort und der Tat. Nie war das deutlicher zu sehen als bei der Oscar-Verleihung im vergangenen Jahr, als die Defizite in der kulturellen Vielfalt die Anmoderationen, Musikeinlagen und Dankesreden beherrschten – und die Preise dann konsequent an weiße Künstlerinnen und Künstler gingen. Eine hochgradig schizophrene Darbietung, die sich in diesem Jahr nicht wiederholen darf. Die Voraussetzungen sind allerdings gut. Mit „Hidden Figures“, „Moonlight“ und „Fences“ befinden sich gleich drei aussichtsreiche Kandidaten mit afroamerikanischen Darstellerinnen und Darstellern unter den Nominierten für den besten Film.

Die Aufstockung der Nominierungen auf zehn Titel hat der „kulturellen Vielfalt“ gut getan. So finden sich unter den Anwärtern auch zwei Filme, die man bereits als Reaktion auf die Trump-Ära deuten könnte. Mel Gibsons Kriegs-/Splatterdrama „Hacksaw Ridge“ und der staubtrockene Genrefilm „Hell or High Water“ handeln vom Verlust eines sehr amerikanischen Selbstverständnisses. Nimmt man noch Kenneth Lonergans psychologisch nuancierteres Melodram „Manchester by the Sea“ hinzu, das den Plot „Traumatisierter weißer Mann sucht seinen Platz in der Gesellschaft“ ausspinnt, bilden die Oscars auch das vorherrschende Trump-Narrativ facettenreich ab.

Es ist jedoch bezeichnend für die Filmbranche, dass auf allen Favoritenlisten mal wieder eine Produktion ganz oben steht, die wie keine andere die selbstvergessene Nostalgie und den Eskapismus Hollywoods versinnbildlicht. Mit 14 Nominierungen in 13 Kategorien (zwei für den besten Song) sollte es sehr verwundern, wenn „La La Land“ nicht als großer Gewinner aus dieser Nacht hervorgeht. Schon bei den Golden Globes war Damien Chazelles Filmusical mit sieben Auszeichnungen der Abräumer.

Ein erneuter Durchmarsch wäre eine Bankrotterklärung der Academy – allerdings auch konsistent mit den Entscheidungen vergangener Jahre. Es gehört zu den ungeschriebenen Gesetzen Hollywoods, dass sich Filme, in denen sich die Branche selbst beweihräuchert, gegen solche von gesellschaftlicher Relevanz durchsetzen. 2012 gewann „The Artist“ gegen das Rassismus-Drama „The Help“, 2015 „Birdman“ gegen das Martin-Luther-King-Biopic „Selma“.

Wie junge Afroamerikaner heute leben

In einer Zeit, in der afroamerikanische Männer in zunehmender Zahl Opfer von Polizeigewalt werden, ist „Moonlight“ von Barry Jenkins, das Coming-out eines jungen Schwarzen über einen Zeitraum von 20 Jahren, der künstlerisch und thematisch bedeutendere Film. „Moonlight“ erzählt von der Erfahrung afroamerikanischer Maskulinität, die viele Weiße noch immer als Bedrohung empfinden. Und im Gegensatz zu „Hidden Figures“ und „Fences“, die den historischen Rassismus in den USA behandeln, beschäftigt sich Barry Jenkins mit der heutigen Lebenswirklichkeit junger Afroamerikaner. Möglicherweise sind diese drei Filme als Signal zu verstehen, dass die Obama-Ära endlich auch in Hollywood Spuren hinterlässt – wenn sie nicht sogar schon wieder die frühen Ausläufer dieser Ära markieren. Die jüngsten Wahlen in Europa und den USA haben jedoch bewiesen, dass man die Verlässlichkeit von Prognosen nicht überbewerten sollte. Auch wenn „La La Land“ als Favorit ins Oscar-Rennen geht, ist seit dem Erdrutschsieg bei den Golden Globes ein Stimmungwandel zugunsten des Außenseiters „Moonlight“ zu beobachten. Was sich unter anderem an der vermehrten Kritik an „La La Land“ für seine „weiße“ Deutung der Jazzgeschichte bemerkbar macht. Dass uns ausgerechnet Ryan Gosling erklärt, wie echter Jazz zu klingen hat, ist eine Anmaßung. Branchenkenner erwarten nun ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Um einige Namen wird man in diesem Jahr nicht herumkommen. Viola Davis erhält nach zwei gescheiterten Anläufen höchstwahrscheinlich den Oscar für die beste weibliche Nebenrolle in „Fences“. Und Mahershala Ali wird nach seiner bewegenden Rede bei den SAG-Awards der Oscar für die beste männliche Nebenrolle kaum zu nehmen sein.

Dass die diesjährige Verleihung ein Politikum ist, bekommt vermutlich auch Maren Ade schmerzlich zu spüren. Das ganze Jahr über wurde „Toni Erdmann“ auf einer Welle der Euphorie durch die internationale Filmpresse getragen. Erst auf den letzten Metern macht Trumps Moslem-Bann ihren Hoffnungen womöglich einen Strich durch die Rechnung. Nach der Absage von Asghar Farhadi, dessen „The Salesman“ mit „Toni Erdmann“ um den Auslands-Oscar konkurriert, liegen alle Sympathien bei dem iranischen Regisseur. Ein Oscar für „The Salesman“ wäre geradezu eine Pflicht für die guten Patrioten von der Academy.

Eins ist zumindest sicher: Sonntagnacht werden sich weitere „vollkommen überschätzte“ Hollywood-Akteure für Donald Trumps Hassliste empfehlen.

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