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Jane Gardam.

© Victoria Salmon

Abschlussroman der Old-Filth-Trilogie: Vermessung der Erinnerungswelt

Die letzten Zeitzeugen des britischen Empires: Jane Gardam beendet mit dem Roman „Letzte Freunde“ ihre umjubelte Old-Filth-Trilogie.

Das Glück besteht manchmal aus einem Teller Suppe, einer Wärmflasche oder einer Zimmerwirtin, die das Plumeau aufschüttelt. Diese Segnungen erfahren Jane Gardams Figuren immer dann, wenn sie erschöpft auf der Suche nach den Spuren ihres Lebens in einem alten Hotel einkehren, von der Dame des Hauses ins Bett verfrachtet werden und nur noch ihren Gedanken nachhängen. Der Leser der Old-Filth-Trilogie versucht zusammen mit ihnen zu rekonstruieren, wie das war vor 50, 60, 70 Jahren, wie die Freundschaften, Beziehungen, Zerwürfnisse zustande kamen.

Nachdem das Erscheinen des ersten Teils auf dem deutschen Büchermarkt ein kleines Beben auslöste, ist jetzt mit Ungeduld die Übersetzung des dritten Teils erwartet worden, die Entdeckung einer Autorin, die in ihrer englischen Heimat seit Jahren als Star gefeiert wird. Die heute 88-jährige Jane Gardam gilt dort als Nachfolgerin von Rudyard Kipling. Nach dem überwältigenden Erfolg von „Ein untadeliger Mann“ im vergangenen Herbst – zwölf Jahre zuvor im Original erschienen – wurde in diesem Frühjahr „Eine treue Frau“ nachgereicht. „Letzte Freunde“ beschließt nun die Trilogie.

Ein Leben voller Schmerz

Ebenso wie sich die Hauptfigur Edward Feathers, einst Anwalt seiner Majestät in der Kronkolonie Hongkong und im Alter heimgekehrt nach Großbritannien, keineswegs als makellos herausstellt, und auch seine Gattin Betty, deren Leben Teil zwei umkreist, nicht immer die eheliche Treue einhielt, erweisen sich die „Letzten Freunde“ als nicht wirklich verlässlich. Im Kosmos dieser Gesellschaft, der Nachhut des British Empire, ist alles auf Wahrung des Scheins angelegt. Doch hinter der Fassade bröckelt es schon lange, wie sich die Protagonisten in ihrem hohen Alter eingestehen müssen. Einen tiefen Schmerz haben sie ihr Leben lang mit sich herumgetragen: als Kinder zu früh allein gelassen, in Internate abgeschoben, als Erwachsene deshalb zu offenen Gefühlen nicht mehr fähig.

Jane Gardam erzählt mit Mitleid erweckender Liebenswürdigkeit die Geschichten von Feathers, seiner Frau Betty und dem ewigen Konkurrenten, Terry Veneering, ebenfalls Staranwalt, einst Geliebter seiner Gattin und im hohen Alter plötzlich Feathers’ Nachbar in den südenglischen Donheads. Gardams Kosmos bevölkern vor allem greise Menschen, die ihre Macken und Wehwehchen haben, aber großartige Typen sind, die man zu kennen glaubt. Der Leser mag sich nicht von ihnen trennen, auch wenn ihr jeweiliger Tod den Ausgangspunkt bildet.

Aufrechtes Leben in Zeiten des Zwangs

Darin besteht die besondere Finesse jeder Erzählung, ihr Schlusspunkt steht fest, aber die Geschichte gewinnt mit jedem Teil der Trilogie neue Aspekte, andere Wahrheiten kommen ans Licht. Jane Gardam hat Feathers, Old Filth genannt (für „Failed In London, Try Hongkong“) einmal als ihr Alter Ego bezeichnet; das erklärt die Zärtlichkeit der Darstellung und die gewisse Strenge in der Schilderung seines Widersachers Veneering. Um den Emporkömmling des vermeintlich tadellosen Feathers kreist der letzte Teil der Trilogie. Diesmal erfährt man die Hintergründe seiner merkwürdig verbogenen Biografie, die Geschichte vom Sohn einer Kohlehändlerin und eines invaliden Trapezkünstlers, der sich im Nachhinein als russischer Spion erweist. Zweimal entgeht Veneering als Kind im Zweiten Weltkrieg dem Tod: Am Tag, nachdem er die Eltern verlassen hat, um auf ein rettendes Schiff nach Übersee zu gelangen, kommen die Eltern zu Hause im Bombenhagel um. Auch das Schiff nach Kanada verlässt er im letzten Moment, es wird auf hoher See von den Deutschen versenkt.

Gardam ist eine Meisterin im Vor- und Zurückblenden, im Verschränken der verschiedenen Ebenen. Sie springt zwischen Malaysia, Hongkong, Gibraltar, London hin und her. Als deutscher Leser lernt man staunend die Weltläufigkeit, die gesellschaftlichen Usancen und ungewöhnlichen Kümmernisse dieser letzten Zeitzeugen des britischen Empire kennen – fast wie in der TV-Serie „Downton Abbey“. Hier wird noch einmal eine Welt vermessen, die nur noch in der Erinnerung existiert. Jane Gardams Hauptfiguren sind alles andere als Helden, sie haben nur versucht aufrecht zu leben in den Zwängen ihrer Zeit. Zu den Widersprüchlichkeiten passt es deshalb, dass Terry Veneering am Ende daran stirbt, dass er prügelnd die Ehre von Betty zu verteidigen sucht, die sich nur einziges Mal einen Fehltritt erlaubte. Er stürzt und erleidet eine Embolie.

Jane Gardam Letzte Freunde. Aus dem Englischen von Isabel Bogdan. Hanser Berlin, Berlin 2016. 240 Seiten, 22 €.

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